Antikörper in „klein“ (Teil 2 von 2): Wie weit sind Nanobodies bei Corona?
Derzeit sind in der EU als therapeutische Antikörper gegen COVID-19 lediglich „klassische“ – also Y-förmige IgG-Antikörper – zugelassen, im Zulassungsverfahren oder im Rolling Review. Doch vielleicht geht es auch mit einfacher gebauten Antikörpern – besser gesagt Antikörperfragmenten: sogenannten Nanobodies.
Sie lassen sich aus Schwerketten-Antikörpern von Lamas, Alpakas, Dromedaren oder Haien isolieren, sind stabiler als konventionelle Antikörper und erreichen vor allem auch Antigenstrukturen, zu denen größere Antikörper nicht vordringen.
Könnten diese Nanobodies bei Corona eine Alternative zu konventionellen Antikörpern sein? Ihr Potenzial wird derzeit in verschiedenen Projekten untersucht.
Nanobodies bei Corona – an Hamstern erfolgreich erprobt
Bereits im Mai veröffentlichten Wissenschaftler der University of Pittsburgh (USA) ihre Forschung zu einem inhalativen Nanobody zur Behandlung und Vorbeugung von COVID-19 im Fachjournal „Science Advances“ („Inhalable Nanobody (PiN-21) prevents and treats SARS-CoV-2 infections in Syrian hamsters at ultra-low doses“) : Erhielten mit SARS-CoV-2 infizierte Hamster direkt nach Infektion den intranasalen Nanobody PiN-21 (Dosis von 0,6 mg/kg), so verringerte dieser verglichen mit der Kontrollgruppe „erheblich“ die Viruslast der Tiere in den oberen und unteren Atemwegen und schützte die Hamster vor Gewichtsverlust (Symptom einer robusten Infektion).
Bereits zwei Tage nach Infektion ließen sich bei mit PiN-21 behandelten Hamstern keine Viren mehr in den oberen Atemwegen nachweisen, während bei unbehandelten Tieren zu diesem Zeitpunkt noch „unterschiedliche Mengen infektiöser Viren vorhanden waren“, erklären die Wissenschaftler. Auch seien fünf von sechs mit PiN-21 behandelten Tieren vier Tage nach SARS-CoV-2-Infektion vor einer nachweisbaren Infektion geschützt gewesen.
Die Wissenschaftler sehen in diesen Ergebnissen bestätigt, dass die bereits in vitro beobachtete Neutralisationskraft von PiN-21 auch in vivo zu sehen ist. PiN-21 könne Hamster wirksam vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützen, indem es die virale Vermehrung sowohl in den oberen wie auch unteren Atemwegen „schnell und drastisch“ unterdrücke.
Inhalativer Nanobody könnte Ansteckung reduzieren
Eine gute Wirksamkeit zeigte der Nanobody auch, wenn Hamster diesen nicht intranasal, sondern inhalativ – als Aerosol – sechs Stunden nach Infektion erhielten (geringere Dosis von 0,2 mg/kg). Bemerkenswert war, dass PiN-21-behandelte Hamster drei Tage nach Infektion nicht nur kein Gewicht verloren, sondern im Mittel sogar 2 Prozent zunahmen, während die Kontrollgruppe 5 Prozent ihres Körpergewichts abnahm.
Bei inhalativer Verabreichung gelang es, die Zahl infektiöser Viren im Lungengewebe sowie in der Nase und im Rachen zu reduzieren: „Dies deutet darauf hin, dass die inhalative Verabreichung des Nanobodys die Übertragung von SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch einschränken kann“, schlussfolgern die Wissenschaftler.
Deutlich weniger Virus in der Lunge
Ein weiterer Nanobody wurde ebenfalls bereits an Hamstern geprüft – die Ergebnisse zu C5 veröffentlichten die Wissenschaftler der Universität Oxford im September in „Nature Communications“ („A potent SARS-CoV-2 neutralising nanobody shows therapeutic efficacy in the Syrian golden hamster model of COVID-19“) : 24 Stunden nach SARS-CoV-2-Infektion (Tag 0) – wenn sich COVID-19 in den Hamstern also bereits klinisch manifestiert hat – erhielt ein Teil der Tiere den intranasalen Nanobody. An Tag zwei erreichten die behandelten Tiere ihr Ausgangsgewicht bereits wieder, während die unbehandelten Hamster am siebten Tag 20 Prozent ihres Körpergewichts verloren hatten.
Manche Hamster wurden auch prophylaktisch – zwei Stunden vor SARS-CoV-2-Infektion (Präexpositionsprophylaxe) – mit C5 behandelt und zeigten dann überhaupt keine Gewichtsveränderung. Auch war die Viruslast in den Lungen der behandelten Tiere signifikant geringer als bei unbehandelten.
Die Wissenschaftler betonen neben der kostengünstigen Herstellung und der Stabilität von Nanobodies auch deren Vorteil bei der inhalativen Verabreichung: „Die lokale Verabreichung von Nanoantikörpern kann nicht nur die Krankheit behandeln, sondern durch Verringerung der Viruslast auch die Infektiosität schnell und deutlich senken.“
Alpaka-Nanobodies aus Deutschland
Auch deutsche Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut in Göttingen sind bei der Nanobody-gegen-Corona-Forschung aktiv und haben mithilfe von Alpaka-Immunbibliotheken 45 infektionshemmende Nanoantikörper isoliert.
Wie auch bei den anderen in Entwicklung befindlichen SARS-CoV-2-Nanoantikörpern adressieren die Nanobodies der Göttinger Forscher die Rezeptorbindedomäne von SARS-CoV-2, also die Struktur, die das Virus zum Eintritt in die menschliche Zelle unbedingt benötigt.
Im Juli teilte das Max-Planck-Institut mit, dass bereits seine „einfachsten Mini-Antikörper (…) bis zu 1.000 Mal stärker an das Spikeprotein“ bänden als zuvor entwickelte Nanobodies gegen COVID-19. Dies gelte vor allem auch an mutierten Rezeptor-Bindedomänen der Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Stämme. Omikron gab es damals noch nicht.
Auch hier planen die Wissenschaftler eine inhalative Verabreichung, um die Infektion möglichst direkt in den Atemwegen einzudämmen. „Da sie (Anm. d. Red.: die Nanoantikörper) sehr klein sind, können sie zudem leicht ins Gewebe eindringen und das Virus direkt am Infektionsort an einer weiteren Ausbreitung hindern“, erklärte Prof. Dr. Matthias Dobbelstein vom Institut für Molekulare Onkologie Universitätsmedizin Göttingen. Ihre Arbeit haben die Forscher im August im „The EMBO Journal“ („Neutralization of SARS-CoV-2 by highly potent, hyperthermostable, and mutation-tolerant nanobodies“) veröffentlicht.
Warum Nanobody-Dreierpacks wirksamer sind
Noch besser war die Bindung der Göttinger Nanoantikörper an ihr Antigen, wenn die Wissenschaftler drei identische Nanoantikörper zu „Nanobody-Dreierpacks“ verknüpften, sodass sie „zur Symmetrie des Spikeproteins passen“ – denn auch das Spikeprotein besteht aus drei identischen Bausteinen mit drei Bindedomänen.
Idealerweise soll sich jeder Nanobody des Dreierpacks an eine der drei Bindedomänen des Spikeproteins anlagern: „So entsteht eine praktisch irreversible Bindung. Der Dreierpack lässt das Spikeprotein nicht wieder los und neutralisiert das Virus sogar bis zu 30.000-fach besser als die Einzel-Nanobodies“, so die Erklärung der Wissenschaftler.
Als weiterer Vorteil kommt hinzu, dass die Dreier-Nanobodies dann „gerade groß genug“ sind, damit die Niere sie nicht innerhalb von wenigen Stunden direkt wieder ausscheidet – was ihre Wirkdauer verlängert und damit ihre Wirksamkeit erhöht.
DIOS-202 und DIOS-203
Wissenschaftler der Universität Bonn und des Bonner Unternehmens DiosCURE haben ebenfalls zwei erfolgversprechende Nanobodies entwickelt. Die Single-Domain-Antikörper DIOS-202 und DIOS-203 binden beide an das Spikeprotein von SARS-CoV-2, aber an zwei verschiedenen Epitopen (= kleiner Molekülabschnitt auf der Oberfläche des Antigens, an den der Antikörper bindet).
Diese doppelte Ausrichtung führt laut DiosCURE zu einer vorzeitigen Aktivierung der „Fusionsmaschinerie“, wodurch die Virionen nicht infektiös würden. „Multivalente Nanobodies neutralisieren das Virus viel wirksamer als einzelne Nanobodies, und multivalente Nanoantikörper, die zwei Epitope binden, verhindern die Entstehung von viralen Escape-Mutanten“, erklärten die Bonner Forscher bereits im Januar anhand der präklinischen Daten in „Science“ („Structure-guided multivalent nanobodies block SARS-CoV-2 infection and suppress mutational escape“) . Dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) zufolge soll die klinische Erprobung eines Arzneimittels mit DIOS-202 und DIOS-203 noch 2021 starten.
Wenn konventionelle Antikörper nicht reinpassen
Auch Wissenschaftler der Ohio State University sehen in Nanobodies potenzielle Alternativen zu konventionellen Antikörpern in der Vorbeugung und Behandlung von COVID-19, da sie „Epitope erkennen können, die für herkömmliche Antikörper oft unzugänglich sind“, erklärten sie in ihrer im Juni 2021 veröffentlichten Arbeit in „Nature“.
Sie isolierten zwei Gruppen von „hochneutralisierenden“ Nanoantikörpern gegen die Rezeptorbindedomäne von SARS-CoV-2 von Lamas und von Mäusen. Gruppe eins ihrer Nanoantikörper umgehe „die antigene Drift“, indem sie eine Rezeptorbindedomäne (RBD)-Region erkenne, die in Coronaviren hoch konserviert sei, aber nur selten von menschlichen Antikörpern angegriffen werde. Die zweite Gruppe der Nanobodies neutralisiere dagegen keine SARS-CoV-2-Varianten, die Mutationen wie in der Alpha-Variante oder in der Delta-Variante tragen.
Allerdings scheinen auch hier die Nanobody-Dreierpäckchen wirksam: „Die Nanokörper der Gruppe zwei behalten jedoch ihre volle Neutralisierungsaktivität gegen diese Varianten, wenn sie als Homotrimere exprimiert werden, was sie konkurrenzfähig mit den stärksten Antikörpern gegen SARS-CoV-2, die bisher hergestellt wurden, mache“, so die Wissenschaftler.
Somit könnten multivalente Nanobodies Mutationen bei Coronaviren durch zwei separate Mechanismen überwinden:
- Sie binden an Stellen, die für menschliche Antikörper weitgehend unzugänglich sind,
- und sie binden stärker an die Bindungsdomäne von SARS-CoV-2, die für die Infektion menschlicher Zellen entscheidend ist.
Damit könnten Nanoantikörper „vielversprechende Instrumente“ gegen COVID-19 sein, wenn neue SARS-CoV-2-Mutanten die Impfstoffwirksamkeit beeinträchtigten.
Und es geht noch kleiner
Dass es noch kleiner, noch abgespeckter geht, zeigt ein Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten und die im April 2020 begonnene Zusammenarbeit des deutschen Unternehmens Ethris und des schweizerischen Unternehmens Neurimmune: Sie wollen – analog den mRNA-Impfstoffen – keine Antikörper oder Nanobodies verabreichen, sondern die mRNA dazu, sodass der menschliche Körper die Antikörper anhand der Erbinformation sodann selbst herstellt.
Ethris und Neurimmune planen sogar die inhalative Applikation, was die Antikörper in spe direkt an den Ort der Infektion katapultieren würde. Der vfa sieht durchaus einen Vorteil in mRNA-basierten Antikörperpräparaten: Man könne so wahrscheinlich schneller große Mengen an Arzneimitteln (mRNA) produzieren, als wenn man die Antikörper direkt herstellen müsse. Nachteilig sei jedoch, dass es bislang noch keine zugelassenen Antikörperpräparate auf mRNA-Basis gebe.