Substitutionsbehandlung in der Apothekenpraxis – ein Update
Substitution in der Praxis
Auch in der Stuttgarter Westend-Apotheke werden hauptsächlich Methadon, Levomethadon und Buprenorphin abgegeben: als „Sichtbezug“ oder als „take-home“.
Bei der Substitution opioidabhängiger Patienten im sogenannten Betäubungsmittelersatzprogramm gibt es grundsätzlich zwei Versorgungsmodelle:
- Der Patient erhält sein Substitutionsmittel zur unmittelbaren Einnahme unter Aufsicht: Sichtbezug.
- Der Patient bekommt seine Substitutionsmittel zur eigenverantwortlichen Einnahme mit nach Hause: „take-home“.
Jeder neue Patient im Substitutionsprogramm startet im Sichtbezug. Grundsätzlich sollen betäubungsmittelabhängige Patienten im Rahmen der Substitutionsversorgung ihre Ersatz-Arzneimittel auch sofort einnehmen, so schreibt es die Betäubungsmittel- verschreibungsverordnung (BtMVV § 5 Absatz 7):
„Dem Patienten ist das vom Arzt verschriebene Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch (…) zu überlassen.“
Das bedeutet: Diese Patienten substituieren ihre Betäubungsmittel unter Aufsicht. Diese Einnahme kann in der Arztpraxis stattfinden. Aber auch das pharmazeutische Personal der Apotheke darf die Betäubungsmittel-Einnahme des Substitutionspatienten überwachen. Der Sichtbezugspatient bekommt sein BtM-Rezept vom Arzt nicht selbst in die Hand. Meist liegt die Arztpraxis nahe an der Apotheke, die den Sichtbezug durchführt. „So ist das optimal“, sagen Apotheker Hansdieter Beck und Apothekerin Ulrike Strehl, die die Westend-Apotheke leiten: „Wenn es Probleme mit den Patienten gibt, können wir sie direkt in die Praxis schicken, zum Beispiel wenn sie alkoholisiert zum Sichtbezug kommen oder wir aus anderen Gründen die Abgabe verweigern müssen.“
Wie sehen Substitutionsrezepte aus?
Substitutionsrezepte müssen vom verordnenden Arzt besonders gekennzeichnet werden. Diese BtM-Rezepte tragen als zusätzlichen Hinweis der Substitutionstherapie den Buchstaben „S“. Außerdem unterscheiden sich Ausnahme-Verordnungen bei Sichtbezugspatienten von Take-home-Rezepten: Ausnahme-Verordnungen im Sichtbezug muss der Substitutionsarzt mit „SZ“, bei take-home mit „ST“ kennzeichnen.
Wie läuft die Vergabe in der Praxis?
Nachdem sie die Identität des Patienten geklärt und sichergestellt hat, dass der Patient keinen Alkohol getrunken hat, überprüft PTA Ursula Reiff die Verordnung des Arztes sowie die Eintragungen in den Wochenplan. Dort ist für jeden Tag vermerkt, welcher Patient welches Substitutionsmittel erhält und ob die Dosen jeden Tag eingenommen wurden. Dann sucht sie das Substitutionsmittel heraus. In diesem Fall bekommt der Patient Levomethadon-Lösung. Zur gleichen Zeit füllt der Patient ein Formular zu seinem derzeitigen Zustand aus. Dann schluckt er die Lösung vor den Augen der PTA, kann mit Wasser nachspülen und darf die Apotheke verlassen. PTA Ursula Reiff trägt noch den Abgang der Levomethadon-Lösung ein.
Sichtbezug: Einnahme unter Aufsicht
Für den Patienten bedeutet „Sichtbezug“, dass er sein Substitutionsmittel unter Aufsicht in der Apotheke, beim Arzt oder einer Methadonambulanz einnehmen muss. Liegt also für einen Suchtkranken beispielsweise ein Rezept über Methadonlösung in der Apotheke vor, stellt diese die Lösung nicht nur her, sondern der Patient muss auch eine bestimmte Menge vor den Augen der PTA zu sich nehmen und schlucken. In diesem Moment hat die PTA neben der Dokumentation des Abgangs der Menge Methadon vor allem die Aufgabe, zu kontrollieren, dass die Lösung auch tatsächlich geschluckt wird und nicht zur späteren Injektion vor der Apotheke wieder ausgespuckt wird. Die PTA in der Westend-Apotheke haben damit keine Schwierigkeiten: „Wir sprechen mit den Patienten, denn Sprechen und etwas im Mund behalten funktioniert nicht. Bei der Verabreichung von Sublingualtabletten achten wir darauf, dass wir die Leute etwa 5 Minuten dabehalten, denn so lange dauert es, bis der Wirkstoff durch die Mundschleimhaut resorbiert wird“, sagt PTA Ursula Reiff. Außerdem müssen PTA oder Apotheker, bevor sie das Substitutionsmittel zur Verfügung stellen, die Identität feststellen und kontrollieren, ob der Patient alkoholisiert ist oder offensichtlich unter dem Einfluss von Drogen steht. „Wenn ich Alkoholgeruch wahrnehme, lasse ich die Patienten immer einen Atemalkoholtest machen. Die wissen genau, dass sie nichts bekommen, wenn sie alkoholisiert sind. Im Zweifel werden sie dann einfach zum Arzt geschickt“, so Reiff. Während der Patient seine Lösung einnimmt, füllt die PTA mehrere Formulare aus. Zum einen, wie bereits erwähnt, den mengenmäßigen Abgang des Methadons in mg, zum anderen hakt sie in der Liste ab, dass der Patient an diesem Tag um beispielsweise 9:15 Uhr da war. Danach wird eingetragen, in welchem Zustand er zum Sichtbezug erschienen ist (hierzu dient eine Schulnoten-Skala von 1–6), ob Alkohol konsumiert wurde, ob er höflich und pünktlich war und ob sonstige Beobachtungen gemacht wurden. Gleichzeitig füllt auch der Suchtkranke einen kurzen Fragebogen zu seinem Befinden aus. Zudem muss er angeben, ob er Alkohol getrunken und in den letzten zwölf Stunden Entzugserscheinungen gespürt hat. „So haben die Patienten auch etwas zu tun, während wir die Dokumentation machen“, so die PTA Ursula Reiff in der Westend-Apotheke. Neben der Dokumentationsarbeit, die direkt während der Abgabe stattfindet, wird auch eine BtM-Kartei für alle Betäubungsmittel in der Apotheke geführt. Hier wird jede einzelne Menge von Methadon zu- und abgebucht.
„take-home“ für bis zu 30 Tage möglich
Verläuft die Substitutionsbehandlung eines Opiatsüchtigen unter Sichtbezug korrekt und ist der Patient kooperativ, kann der Arzt eine Lockerung des vielfach als zeitlich und persönlich belastenden Sichtbezuges vornehmen. Das bedeutet, dass der Patient eine Verordnung für die bis zu sieben Tagen benötigte Menge an Substitutionsmitteln bekommt, die ihm in der Apotheke ausgehändigt und die von ihm selbstständig zu Hause eingenommen wird. Durch entsprechende Zusätze wie Farbstoffe in den kräftigen Warnfarben Blau, Gelb oder Grün, Verdickungsmittel, Aromazusätze und Glycerol oder Zucker soll dann bei Rezepturen zur oralen Einnahme die Injektion verhindert werden. Die Apotheke gibt die Tagesdosen in Einzelbehältnissen mit kindersicherem Verschluss ab. „Bei unserem Arzt ist es so, dass auch die „Take-home“-Patienten eine Dosis pro Woche in der Apotheke im Sichtbezug einnehmen. Für den Rest der Woche bekommen sie dann ihre Tagesdosen mit nach Hause. Das hat den Hintergrund, dass vermieden werden soll, dass sich die Patienten zu Hause selbstständig herunterdosieren, also stetig weniger einnehmen, und den Rest entweder „für schlechte Zeiten“ horten oder gar verkaufen. Uns würde im Sichtbezug gleich auffallen, wenn einer der Patienten nicht die ganze Dosis einnimmt oder eine andere Ausrede findet, warum er nicht die ganze Menge austrinken oder einnehmen will“, erklärt uns PTA Ursula Reiff. Die Änderung der BtMVV hat den Take-home-Patienten noch weitere „Freiheiten“ ermöglicht. Seit Inkrafttreten der neuen BtMVV im Oktober 2017 dürfen Ärzte „in begründeten Einzelfällen“ eine Take-home-Verordnung auch für 30 Tage ausstellen. Unter „begründet“ fallen hier medizinische (schwererkrankt, immobil), berufliche (Montage) oder Gründe, die „seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ betreffen. Das können auch Urlaubsreisen sein. Take-home-Einnahmen erleichtern die Resozialisierung der Substitutionspatienten und ermöglichen ihnen, ihr Leben freier zu gestalten – denn sie müssen nicht täglich zu einer bestimmten Uhrzeit in die Arztpraxis oder Apotheke, um ihre Substitutionsmittel zu erhalten. Wie sieht es bei Patienten im Sichtbezug aus? Gibt es auch hier „Ausnahmen“ für eine eigenverantwortliche Einnahme? Mittlerweile, ja.
Ausnahmen auch für Patienten mit Sichtbezug
Auch Substitutionspatienten mit einer grundsätzlichen Einnahme ihrer Substitutionsmittel im Sichtbezug dürfen ausnahmsweise einmal, zum Beispiel an Wochenenden und Feiertagen, ihre Substitutionsarzneimittel eigenverantwortlich einnehmen. Diese Ausnahmeverordnungen im Rahmen des Sichtbezugs fallen nicht unter die klassische „Take-home-Regelung“, da sich diese Substitutionspatienten für eine dauerhafte, selbständige Einnahme ihrer Substitutionspräparate nicht eignen oder zumindest noch nicht. Die Grenzen für diese „Freiheiten“ der Sichtbezugspatienten hat der Gesetzgeber deswegen auch enger und strikter gesteckt als bei typischen und bereits bewährten Take-home-Patienten. Auch dies wurde erst nach der Änderung der BtMVV im Oktober des vergangenen Jahres möglich. Seither dürfen Patienten im Sichtbezug ausnahmsweise Wochenenden oder Feiertage in der eigenverantwortlichen Einnahme überbrücken.
Im Rahmen der sogenannten „SZ“-Verordnung erhält der Substitutionspatient die Dosen nur für zwei aufeinanderfolgende Tage und nicht wie im Take-home-Programm für sieben. Das können zwei Werktage sein oder auch die Wochenendtage Samstag und Sonntag. Abweichend davon, darf der Substitutionsarzt eine „SZ“-Verordnung für maximal fünf Tage ausstellen, wenn dem Wochenende direkt Feiertage vorausgehen oder folgen. Auch hier gibt es wieder eine Ausnahme: Normalerweise erhalten Sichtbezugspatienten ihr Rezept nicht selbst in die Hand. Im Rahmen von „SZ“-Verordnungen ist dies jedoch möglich.
Substitutionsrezepte richtig taxieren
Im Rahmen der Substitutionstherapie sind vor allem die Regelungen des § 5 der BtMVV sowohl für den verschreibenden Arzt als auch für die beliefernde Apotheke relevant. Man unterscheidet zwischen Rezepten NUR mit Sichtbezug (SB), Rezepten NUR mit „take-home“ (TH) und Mischrezepten mit SB und TH.
Bsp. 1: Rezept mit 21 Tagen Sichtbezug außerhalb von Baden-Württemberg**
Bei diesem SB-Rezept wird einmal die Summe der Kosten für das Substitutionsmittel für 21 Tage und einmal die BtM-Gebühr abgerechnet.
Bsp. 2: Rezept mit 7 Tagen „take-home“, der Abgabe von 4 Dosen am Montag und 3 Dosen am Freitag
Bei diesem TH-Rezept wird die Summe der Kosten für das Substitutionsmittel für 7 Tage und zweimal die BtM-Gebühr (pro Abholung einer Teilmenge) abgerechnet.
Bsp. 3: Mischrezept mit 5 Tagen SB und als TH jeweils eine Abenddosis
Bei diesem Mischrezept wird die Summe der Kosten des Substitutionsmittels für SB und TH sowie 6-mal die BtM-Gebühr abgerechnet (einmal für den SB und pro Abholung einer Teilmenge TH).
Unterstützung bei der Abrechnung und Rezeptbelieferung
Eine Übersicht, wie Sie bei der Belieferung von Rezepten zur Substitutionstherapie (lt. §§ 5, 9 BtMVV) korrekt vorgehen müssen, und viele weitere Informationen bzw. Arbeitshilfen finden Sie unter folgendem Link:
Arbeitshilfe: Belieferung von Rezepten zur Substitutionstherapie (LT. §§ 5, 9 BTMVV)