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Ganz sicher? – Medizinprodukte sollen in Deutschland künftig besser kontrolliert werden

Die jüngst veröffentlichten "Implant Files" kritisieren die derzeitigen Kontrollmechanismen für Medizinprodukte – inbesondere für Implantate. | Bild: alimyakubov / Adobe Stock

Nach dem Willen der SPD im Landtag in Schleswig-Holstein müssten für Medizinprodukte künftig vergleichbare Sicherheitsstandards wie bei Medikamenten gelten. Die Landesregierung solle sich dafür im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz und im Bundesrat einsetzen, sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Bernd Heinemann. Die Hersteller und der Handel mit Medizinprodukten müssten engen Zulassungsregelungen unterworfen und nach klaren Kriterien überwacht werden.

Medizinprodukte werden nicht ausreichend kontrolliert

Hintergrund des SPD-Antrags sind die „Implant Files“ eines weltweiten Recherchenetzwerks über Zulassung, Kontrolle und Fehlermanagement von Medizinprodukten. Daran waren in Deutschland NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung beteiligt. Der Kernvorwurf lautet: Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die vor der Zulassung genauestens geprüft werden, würden Medizinprodukte nicht von staatlichen Stellen kontrolliert und Probleme nicht systematisch erfasst. Das System sei „manipulierbar, fehlerhaft und verantwortlich für ungezählte Tote“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Die „Implant Files“ bezogen sich insbesondere auf Implantate wie Herzkatheter, Kniegelenke oder Insulinpumpen. Nach eigenen Angaben wurden innerhalb von eineinhalb Jahren Recherche in 36 Ländern Anfragen eingereicht, Tausende Akten gesichtet und mit Hunderten Patienten und Experten gesprochen.

Der Unterschied zu Arzneimitteln

Medizinprodukten sind Apparate, Instrumente, Gegenstände u. v. m., die zur medizinischen Anwendung am Menschen gedacht sind und ihre Hauptwirkung weder pharmakologisch, immunologisch noch metabolisch entfalten. Kurz gesagt handelt es sich dabei meist um Produkte mit einer vorwiegend physikalischen Wirkungsweise.

Anders als bei Arzneimitteln werden Medizinprodukte nicht durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen, sondern von sogenannten „benannten Stellen“ (z. B. TÜV oder DEKRA) bewertet und anschließend mit dem „CE“-Kennzeichen versehen. Der Hersteller muss in diesem Verfahren lediglich nachweisen, „dass sein Produkt sicher ist und die technischen und medizinischen Leistungen auch so erfüllt, wie sie von ihm beschrieben werden“, so das BfArM. Teil des Bewertungsverfahrens sei aber „immer eine klinische Bewertung, in bestimmten Fällen auch eine eigene klinische Prüfung“.

Nach Aussage eines vom Recherchenetzwerk zitierten Gesundheitswissenschaftlers sei das von den „benannten Stellen“ vergebene Kennzeichen jedoch „kein Gütesiegel für den Patientennutzen, sondern ein Vermarktungssiegel“. Viele Anträge werden den Recherchen zufolge zudem nur auf dem Papier geprüft.

Politik reagiert auf Vorwürfe

„Anders als bei Medikamenten, die einem strengen Regelwerk einer evidenzbasierten Qualitätsprüfung und umfassenden internationalen und nationalen Sicherheitsstandards unterliegen, kommt es bei Medizinprodukten in umfänglichem Ausmaß immer wieder zu Pfusch und Materialfehlern, die bei Patienten nach Einsetzen der Produkte zu massiven Beeinträchtigungen und nachhaltigen Schäden führen oder schon geführt haben“, heißt es in dem SPD-Antrag. Diese Ungleichbehandlung müsse beendet werden.

Auch das Bundesgesundheitsministerium nehme den Bericht sehr ernst, hieß es am Montag bei der Bundespressekonferenz. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte der Rheinischen Post, das BfArM habe bei Problemen mit einem Medizinprodukt keinen Gesamtüberblick über vergleichbare Fälle und auch keine Chance, Patienten gezielt zu warnen: „Das wollen wir ändern."

Ein einheitliches Implantat-Register und höhere Anforderungen an Zertifizierungsstellen

Laut Gesundheitsministerium wird eine industrieunabhängige Stelle aufgebaut, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen. Außerdem plant der Bund seit längerem ein staatliches Register, um die Qualität von Brustimplantaten, Herzklappen und Herzschrittmachern zu ermitteln. Das Register soll zeigen, wie lange Implantate halten – anhand von Daten zu Implantationen und Folge-OPs für Korrekturen, die Kliniken, Krankenkassen und Hersteller verpflichtend liefern sollen.

Führen soll es das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Dimdi). Ab Mai 2020 muss auch eine neue Europäische Medizinprodukte-Verordnung umgesetzt werden. Darin gelten unter anderem höhere Anforderungen an die Zertifizierungsstellen; Hochrisikoprodukte müssen bei der klinischen Bewertung von internationalen Experten beurteilt werden. Quelle: dpa/BfArM/sn