Flumazenil bei Überdosierung mit Benzodiazepinen
Die Arzneimittelgruppe der Benzodiazepine wird bei einer Vielzahl verschiedener Indikationen eingesetzt. Ein Hauptanwendungsgebiet sind Schlafstörungen. Bei Einschlafstörungen werden vorwiegend Substanzen mit kurzen Halbwertszeiten wie Triazolam und Midazolam eingesetzt. Arzneistoffe mit längerer Wirkung wie Lormetazepam und Temazepam sind auch zur Behandlung von Durchschlafstörungen geeignet.
Die Substanzen dürfen nur kurzzeitig mit einer maximalen Anwendungsdauer von zwei bis vier Wochen eingenommen werden. Das gilt bei Schlafproblemen und auch für alle anderen Anwendungsgebiete. Bei keiner Indikation sind Benzodiazepine zur Langzeitbehandlung vorgesehen. Selbst bei niedrigen Dosen kommt es rasch zu einer Toleranzentwicklung und Abhängigkeit. Beim Absetzen treten Reboundeffekte und Entzugserscheinungen auf.
Weiterhin werden Benzodiazepine bei Epilepsie sowie zur Beruhigung bei akuter Angst und in belastenden Lebenssituationen eingesetzt. Bei Angsterkrankungen und Panikstörungen sind sie nicht empfehlenswert aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials.
Bei akuten Krampfanfällen bei Kindern und Jugendlichen kann Diazepam als Notfallmedikament rektal angewendet werden. Eine Alternative ist auch eine Lösung zur Anwendung in der Mundhöhle mit Midazolam. Diazepam kann zudem bei der stationären Behandlung eines Alkoholentzugs zur Bekämpfung von auftretenden Krampfanfällen eingesetzt werden.
Gut zu wissen: 5-K-Regel bei Verordnung von Benzodiazepinen
Zur Verordnung von Benzodiazepinen ist die sogenannte 5-K-Regel zu beachten:
Die Substanzen sollten nur bei klarer Indikation, in der kleinstmöglichen Dosis und über einen kürzest möglichen Zeitraum angewendet werden. Dabei müssen entsprechende Kontraindikationen beachtet werden und die Wirkstoffe ausschleichend ausgesetzt werden, also kein abruptes Absetzen.
Pharmakologische Wirkung von Benzodiazepinen
Chemisch gesehen handelt es sich bei Benzodiazepinen um bizyklische Substanzen – einer der beiden Kohlenstoffringe ist eine heterocyclische Verbindung aus sieben Atomen mit Stickstoffatomen an Position 1 und 4 („Diazepin“). Die Wirkung der Verbindungen ist an diesen intakten Siebenring gebunden.
Benzodiazepine greifen am Gamma-Aminobuttersäure-System an. Die körpereigene Substanz Gamma-Aminobuttersäure (GABA) gehört zu den wichtigsten hemmenden Neurotransmittern im zentralen Nervensystem. GABA entfaltet seine Wirkung durch Bindung an GABAA-Rezeptoren. Durch einen folgenden Einstrom von Chlorid-Ionen in die Zelle und einer damit verbundenen Hyperpolarisation kommt es zu einer verminderten Erregbarkeit.
Benzodiazepine binden ebenfalls an diese GABAA-Rezeptoren und wirken dort als allosterische Agonisten, d. h., sie erhöhen die Affinität von GABA zu seinen Bindungsstellen und verstärken damit die hemmende Wirkung des Neurotransmitters. Alle Substanzen dieser Arzneimittelgruppe haben ein ähnliches Wirkungsprofil und zeigen in niedriger Dosierung eine anxiolytische (angstlösende), antiepileptische sowie in höheren Dosen eine sedierende (beruhigende), hypnotische und muskelrelaxierende (muskelentspannende) Wirkung.
Gut zu wissen: Z-Substanzen wirken ähnlich
Die Wirkstoffe Zolpidem und Zopiclon, die auch als Z-Substanzen bezeichnet werden, besitzen einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Benzodiazepine. Sie gehen allerdings nur mit einer bestimmten Untereinheit des GABAA-Rezeptors – die für die sedierende Wirkung zuständig ist – eine Wechselwirkung ein.
Z-Substanzen werden daher ausschließlich als Schlafmittel eingesetzt. Antiepileptische und anxiolytische Effekte treten bei diesen Substanzen in therapeutischen Dosen nicht auf.
Benzodiazepine: große therapeutische Breite
Benzodiazepine können ihre Wirkung nur bei Vorhandensein von Gamma-Aminobuttersäure entfalten. Folglich können sie also nicht stärker wirken, als die physiologische Substanz in hoher Konzentration. Benzodiazepine weisen damit einen sogenannten Ceiling-Effekt auf. Dies bedeutet, dass es auch bei einer Dosissteigerung zu keiner weiteren Zunahme der Wirkung kommt.
Bei einer versehentlichen oder beabsichtigten Überdosierung besitzen Benzodiazepine eine große therapeutische Breite – eine tödliche Atemdepression tritt durch Benzodiazepine allein nicht auf.
Barbiturate wie Phenobarbital wirken im Unterschied dazu direkt mit dem GABA-Rezeptor und entfalten auch ohne Vorhandensein des Neurotransmitters eine hemmende Wirkung. Sie besitzen daher ein deutlich höheres Risiko für eine Überdosierung mit auch tödlichen Folgen und werden im medizinischen Alltag kaum noch eingesetzt.
Gut zu wissen: Ist ein BtM-Rezept nötig?
Grundsätzlich unterliegen alle Verbindungen aus der Arzneimittelgruppe der Benzodiazepine sowie Zolpidem dem Betäubungsmittelgesetz und sind in der Anlage III unter verkehrsfähige und verschreibungspflichtige Betäubungsmittel zu finden.
In therapeutisch üblichen Dosen können Benzodiazepine jedoch auf einem normalen Rezeptformular verschrieben werden. Sie gelten dann als ausgenommene Zubereitungen. So gilt beispielsweise Oxazepam als ausgenommene Zubereitung, wenn eine Darreichungsform ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I bis III in abgeteilter Form bis zu 50 mg Oxazepam enthält.
Das trift allerdings nicht auf das Benzodiazepin Flunitrazepam zu. Diese Verbindung muss aufgrund ihres hohen Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzials immer auf einem BtM-Rezept verordnet werden.
Kognitive Beeinträchtigung unter Benzodiazepinen
Bei der Einnahme von Benzodiazepinen kommt es häufig zu Müdigkeit auch am Tag, verbunden mit einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und des Reaktionsvermögens. Durch Muskelschwäche, Schwindelgefühl und auch Verwirrtheit ist gerade bei Senioren die Sturzgefahr deutlich erhöht.
Werden Benzodiazepine zusammen mit Opioiden eingenommen, verstärken sich die zentraldämpfenden Wirkungen und das Risiko für eine Atemdepression und damit folglich Koma und Tod steigen deutlich.
Wann sind Benzodiazepine kontraindiziert?
Bei depressiven Erkrankungen, Leberinsuffizienz und schweren Atemfunktionsstörungen dürfen Benzodiazepine nicht eingesetzt werden. Auch bei Patienten, die bereits eine Arzneimittelabhängigkeit in der Vorgeschichte aufweisen, sind die Substanzen kontraindiziert. Bei diesen Personen besteht die Gefahr, noch schneller eine Toleranz und Abhängigkeit zu entwickeln.
Auch Patienten mit bestehender Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie chronischen Schlafstörungen weisen ein hohes Risiko für eine Benzodiazepin-Abhängigkeit auf.
Benzodiazepin-Überdosierung: schwere, teils tödliche Atemdepression
Aufgrund der großen therapeutischen Breite ist eine Überdosierung von Benzodiazepinen alleine normalerweise nicht lebensbedrohlich. Anders sieht es dagegen aus, wenn die Substanz zusammen mit Alkohol oder Barbituraten eingenommen wird.
Durch die deutliche Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung kann es zu schweren, teilweise tödlichen Atemdepressionen kommen. Zunächst äußerst sich eine Überdosierung in
- Benommenheit,
- undeutlichem Sprechen
- und Verwirrung.
Im weiteren Verlauf kann es zum Abfall des Blutdrucks, zentraler Atemdepression und Kreislaufversagen kommen.
Flumazenil als Antidot
Besteht beim Auffinden einer bewusstlosen Person ein Verdacht auf eine Überdosierung mit Benzodiazepinen, steht mit Flumazenil ein spezifisches Antidot zur Verfügung. Bei der Substanz handelt es sich chemisch ebenfalls um eine Benzodiazepin-Verbindung, allerdings mit antagonistischer Wirkung am GABAA-Rezeptor.
Flumazenil hat zudem eine hohe Bindungsaffinität zum GABAA-Rezeptor und kann andere Benzodiazepine von ihrer Bindungsstelle verdrängen. Die verstärkte, hemmende Wirkung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure wird aufgehoben und das Membranpotential der entsprechenden Zelle nimmt wieder normale Werte an.
Flumazenil hilft auch bei einer Überdosierung mit Z-Substanzen, bei einer Vergiftung mit Barbituraten jedoch nicht.
Intravenöse Gabe von Antidot Flumazenil
Aufgrund seines hohen First-Pass-Effekts kann Flumazenil nicht oral verabreicht werden, die Behandlung erfolgt auf intravenösem Weg. Die Substanz steht als Injektionslösung 0,1 mg/ml Injektionslösung zur Verfügung, beispielsweise in Anexate® 0,5 mg/5 ml und Anexate® 1 mg/10 ml.
Eine Anwendung ist bereits bei Kindern ab 1 Jahr möglich. Zu Beginn werden 0,3 mg Flumazenil intravenös innerhalb von 15 Sekunden appliziert. Bei einer Vergiftung mit Benzodiazepinen kommen die Patienten normalerweise innerhalb von Sekunden zu Bewusstsein. Falls die Behandlung keinen Erfolg aufweist, werden nach 60 Sekunden weitere 0,1 mg Flumazenil i.v. verabreicht.
Bleibt der Patient bewusstlos, muss an eine andere Art der Vergiftung gedacht werden. Flumazenil hat eine relativ kurze Halbwertszeit (HWZ), daher kann die Wirkung der Benzodiazepine, die meist eine deutlich längere HWZ als Flumazenil haben, wieder auftreten. Die Patienten müssen also eine ausreichend lange Zeit überwacht werden. Quellen:
- https://www.cheplapharm.com/media/user_upload/gi_anexate_0.5_mg-5_ml_2018-10.pdf
- Fachinformation Anexate®
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-35-2023/nicht-mehr-schlaflos-durch-die-nacht
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-51-2020/beratungswissen-zu-z-substanzen-und-benzodiazepinen