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Mikrobiom im Mund: Bakterien fas­zinieren Forschung

Frau putzt sich die Zähne
Corynebakterien sind für den Zahnbelag verantwortlich. | Bild: W. Heiber Fotostudio / AdobeStock

Die Bakterien der Art Corynebacterium matruchotii sind grampositive Bazillen (also „Stäbchenbakterien“) mit langen Fäden und kurzen dicken Endstücken. 

Diese Corynebakterien mit ihrem typischen „Peitschengriff“-Aussehen sind Begleiter der Menschen von frühester Kindheit an: Ungefähr ab dem dritten Lebensmonat besiedeln sie unsere Mundhöhle und sind bei praktisch 100 Prozent der jungen Erwachsenen und bis ins hohe Alter weltweit zu finden. Sie gehören damit zur Stammbesatzung der Mundflora.

Ihre Rolle im Mund-Mikrobiom ist dabei allerdings ein bisschen zwiespältig. Auf der einen Seite gelten sie als ein Indikator für eine gesunde Mundflora und sogar einen „kariesfreien“ Status. Auf der anderen Seite scheinen sie aber das wesentliche Grundgerüst zu bilden für Zahnbelag und letztlich auch für Zahnstein.

Bakterien im Mund: Kariesschutz, aber auch Zahnbelag

Zum Gesundheitsaspekt gehört, dass die Besiedelung mit C. matruchotii im Zusammenhang mit Erkrankungen des Mundes oft zurückgeht – und es gibt sogar Hinweise darauf, dass die Bakterien bösartige Plattenepithelkarzinome des Mundes verhindern können.  

Aber es hat auch eine einzigartige Eigenschaft, die bewirkt, dass sich der als Zahnbelag bekannte Biofilm praktisch unmittelbar nach dem Zähneputzen neu bildet. 

Außerdem sind die Bazillen als kalzifizierend bekannt und sorgen daher mit dafür, dass sich aus nicht entferntem Zahnbelag Zahnstein bildet – oft die Vorstufe einer Zahnfleischentzündung (Parodontitis).

Forschung fasziniert vom Mund-Mikrobiom

Biologen allerdings sind recht begeistert von dem Organismus. Hundert Jahre nach seiner Erstbeschreibung im Jahr 1925 finden sie immer neue Details zur Rolle des Bakteriums in der gesunden Mundflora.  

„Riffe haben Korallen, Wälder haben Bäume, und der Zahnbelag in unserem Mund hat Corynebakterien. Die Corynebacterium-Zellen im Zahnbelag sind wie ein großer, buschiger Baum im Wald; sie schaffen eine räumliche Struktur, die den Lebensraum für viele andere Bakterienarten um sie herum bietet“, erklärt Jessica Mark Welch, leitende Wissenschaftlerin am American Dental Association Forsyth Institute und assoziierte Forscherin am Marine Biological Laboratory an der Universität Chicago.  

Außerdem ist sie Mitautorin einer Studie von Forschenden der beiden Institute, die unter dem sehr sachlichen Titel „Spitzenverlängerung und gleichzeitige Mehrfachspaltung in einem filamentösen Bakterium“ im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen ist.

Einzigartige Zellteilung bei Corynebakterien

Hinter dem spröde klingenden Titel verbirgt sich die Besonderheit von C. matruchotii, die von entscheidender Bedeutung für die Etablierung des Biofilms im Mund ist. 

Anders als praktisch alle anderen Bakterien teilen sich die Bazillen nicht einfach bei jeder Zellteilung in zwei neue Individuen. „Wir zeigen, dass sich die Zellen von C. matruchotii an einem Pol durch Ausdehnung der Spitzen verlängern, ähnlich wie bei der Wachstumsstrategie von bodenbewohnenden Streptomyces-Bakterien. Die Filamente verlängern sich schnell, und zwar mehr als fünfmal so schnell wie bei anderen eng verwandten Bakterienarten.  

Nach der Dehnung bilden sich gleichzeitig viele Septen, und jede Zelle teilt sich in drei bis 14 Tochterzellen, je nach Länge des Mutterfilaments“, erklären die Autoren. 

Diese Tochterzellen bilden dann in der nächsten Teilung erneut den Ausgangspunkt einer solchen schnellen Vermehrung.

Biofilme im Mund gleichen Regenwäldern

Mit ihrer außergewöhnlichen Teilungsstrategie, die als multiple Spaltung bezeichnet wird, bilden die Bakterien ein Netzwerk, das „Igel“ genannt wird. „Diese Biofilme sind wie mikroskopische Regenwälder. Die Bakterien in diesen Biofilmen interagieren, während sie wachsen und sich teilen. 

Wir denken, dass der ungewöhnliche Zellzyklus von C. matruchotii es dieser Art ermöglicht, diese sehr dichten Netzwerke im Kern des Biofilms zu bilden“, sagt Scott Chimileski, MBL-Forscher und Hauptautor der Studie.

Und Regenwald ist ein durchaus passender Vergleich – Schätzungen gehen von mehr als 500 verschiedenen Spezies aus, die in diesem Netzwerk das Mund-Mikrobiom bilden. 

C. matruchotii gilt dabei nicht als Pathogen und dürfte auch eine Rolle dabei spielen, durch Konkurrenz um Nahrung und Platz andere Spezies, die etwa durch die Ausscheidung von Säuren Karies mitverursachen, kleinzuhalten. Andererseits kann seine Rolle als Kalzifizierer zur Bildung von Zahnstein führen.

Rasantes Wachstum der Corynebakterien

Zahnärzte empfehlen, (mindestens) zweimal am Tag die Zähne zu putzen, um insbesondere den Zahnbelag zu entfernen – und damit es erst gar nicht zur Zahnsteinbildung kommt. Dass der Biofilm aber zurückkommt, egal wie gründlich geputzt wird, ist eben wohl vor allem C. matruchotii zu verdanken.  

Bei ihren Experimenten beobachteten die Forschenden die Zellen live mit Zeitraffermikroskopie an lebenden Zellen und fluoreszierenden D-Aminosäuren zur Markierung der Zellwandsynthese – eine Technik, die die MBL-Forscher ursprünglich für Bakterien etwa mariner Lebensräume entwickelt hatten.  

Bei den neuen Experimenten konnten sie in Mikrometer pro Sekunde messen, wie schnell der Bakterienfilm wächst. Sie konnten extrapolieren, dass die Kolonien von C. matruchotii bis zu einem halben Millimeter pro Tag wachsen können – und das bei einer Größe der einzelnen Zellen von nur zwischen 3 und 5 Mikrometern, also dem Tausendstel eines Millimeters.

Arzneimittel-Metabolisierer und Stromproduzenten

Die gesunde Mundflora hat noch eine weitere Eigenschaft, die erst seit jüngerer Zeit wieder ins Licht der Forschung rückt. Denn bereits die Bakterien der Mundflora können etwa oral aufgenommene Arzneimittel metabolisieren und dabei neue wirksame Verbindungen erzeugen. Für C. matruchotii konnte das bereits gezeigt werden.  

Außerdem könnte auf C. matruchotii in Zukunft noch eine ganz andere Rolle zukommen, und zwar im Zusammenhang mit Anwendungen von Bioelektronik. Die Bazillen gehören nämlich zu denjenigen, die durch extrazellulären Elektronentransport (EET) einen messbaren Strom erzeugen. Quellen:
https://doi.org/10.3390/microorganisms8111780 https://www.mdpi.com/2076-2607/8/11/1780
https://www.frontiersin.org/journals/microbiology/articles/10.3389/fmicb.2022.940643/full
https://doi.org/10.1080/21655979.2022.2078556 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21655979.2022.2078556#abstract
https://doi.org/10.1073/pnas.2408654121 https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2408654121
https://www.mbl.edu/news/open-wide-human-mouth-bacteria-reproduce-through-rare-form-cell-division
DOI: 10.1021/acschembio.3c00798; https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acschembio.3c00798
https://doi.org/10.3390/molecules25143141 ; https://www.mdpi.com/1420-3049/25/14/3141