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Nikotinbeutel: TikTok-Trend mit Risiken

Teenager schiebt sich Nikotinbeutel unter die Oberlippe
Sollten Nikotinbeutel reguliert werden? | Bild: sir270 / AdobeStock

Bereits im Dezember 2024 wurde in den Medien darauf aufmerksam gemacht, dass sich Nikotinbeutel erneut großer Beliebtheit unter jungen Menschen erfreuen. Jetzt machte jüngst „ZDFheute“ auf diesen fragwürdigen Trend aufmerksam. Dort heißt es, dass Experten eine neue Generation von Süchtigen befürchteten.

Es wird weiter eine Studie im Auftrag der Krankenkasse DAK zitiert, gemäß derer etwa jeder siebte Schüler im Alter von 16 und 17 Jahren bereits Nikotinbeutel ausprobiert hat. Soziale Medien könnten sie hierzu ermuntern.

Nikotinbeutel dank TikTok immer beliebter

„Ist das ein Fasan? Ist es ein Falke? Nein, das ist ein kleiner Zuckersegler, der direkt auf meinem Unterdeck landet“, ruft ein junger US-Amerikaner in seinem TikTok-Video, während er sich ein Nikotinpäckchen der Marke „Zyn“ hinter die Unterlippe schiebt. 

In sozialen Medien gehen tausende solcher Videos der sogenannten „Zynfluencer“ um die Welt. „Zyn“ gehört dem Tabakkonzern Philip Morris International, der beteuert, niemanden für die Videos zu bezahlen.

Viele Nutzer hören auf TikTok zum ersten Mal von den Produkten, probieren sie aus und werden zum Teil abhängig. Schätzungen zufolge nutzen eine halbe Million junger Amerikaner regelmäßig Nikotinbeutel. In Deutschland haben die Suchanfragen nach Marken wie „Zyn“ laut „Google Trends“ deutlich zugenommen.

Nikotinbeutel nicht verkehrsfähig, aber leicht erhältlich

Die Nikotinbeutel der Marken „Zyn“, „Lyft“ oder „Velo“ bestehen aus Nikotinsalzen, Trägerstoffen wie Cellulose und Aromen mit Menthol-, Kaffee- oder Fruchtgeschmack. Die Überwachungsbehörden in Deutschland stufen tabakfreie Nikotinbeutel als neuartiges Lebensmittel ein. 

Gut zu wissen: Was sind neuartige Lebensmittel?

„Unter neuartigen Lebensmitteln werden gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel Food-Verordnung) solche Lebensmittel verstanden, die vor dem Stichtag 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind und bestimmten, in der genannten Verordnung aufgeführten Lebensmittelgruppen zugeordnet werden können. […] Neuartige Lebensmittel dürfen in der EU nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie zugelassen worden sind.“ Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 19.10.2020 

Doch weil Nikotin nicht als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen ist, dürfen die Beutel nicht in Verkehr gebracht werden. Trotzdem bieten manche Kioske in deutschen Städten die Marken an – und falls nicht, kann man sich die Produkte in Internetshops bestellen und nach Hause liefern lassen.

Nikotinbeutel steigert Gefahr von Überdosierungen

Bei starken Varianten gelangt durch die Beutel mehr Nikotin ins zentrale Nervensystem als beim Rauchen einer Zigarette – mit einer nur leicht langsameren Anflutungsgeschwindigkeit. 

Das Suchtpotenzial könnte daher vergleichbar sein. Berichte über akute Nikotinüberdosierungen per Beutel werden häufiger – allerdings ist noch kein Fall mit schwerem Ausgang bekannt.

Nikotinbeutel weniger schädlich als Zigaretten?

Das Risiko für Krebs scheint Nikotin allein nicht zu erhöhen – anders als tabakspezifische Nitrosamine, die das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in der Hälfte der verfügbaren Produkte fand. 

Für zwei dieser Stoffe ist der kausale Zusammenhang für eine krebserzeugende Wirkung nachgewiesen. Sie entstehen bei der Fermentation von Tabakblättern, aus denen das Nicotin teils gewonnen wird. Der Nitrosamingehalt einiger Nikotinbeutel betrug aber etwa ein Hundertstel des Gehalts in Zigaretten – und im Gegensatz zu ihnen ist es möglich, sie nitrosaminfrei herzustellen.

Es scheint klar, dass die Beutel weniger schädlich sind als Zigaretten. Für Raucher könnten sie daher eine Schadensbegrenzung darstellen, wenn sie dank der Beutel den Absprung vom Glimmstängel schaffen. 

Für Nichtraucher, Kinder, Jugendliche, Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schwangere stehen laut BfR eher die Risiken im Vordergrund. Um diese bei Langzeitkonsum abschätzen zu können, fehlen jedoch groß angelegte und unabhängige Studien.

Regulierung könnte Nikotinbeutel sicherer machen

Sicherer könnten Nikotinbeutel werden, wenn sie in die EU-Tabakproduktrichtlinie aufgenommen und dort reguliert würden. 2023 richtete das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung ein Schreiben an die Europäische Kommission, um eine Regulierung anzustoßen. Doch noch geht jedes EU-Land seinen eigenen Weg.

Auch die Tabakindustrie drängt auf eine Regulierung. In den USA, wo die Vermarktung von „Zyn“ und Co. legal ist, kündigte Philip Morris International im August 2024 an, für 600 Millionen Dollar eine Produktion für Nikotinbeutel der Marke „Zyn“ aufzubauen.

Der Tabakriese möchte die steigende Nachfrage auch in Europa bedienen. „Die deutsche Politik verhindert seit Jahren, dass Nicotin-Beutel als schadstoffreduzierte Alternative für erwachsene Raucher zur Verfügung stehen“, sagte Torsten Albig von Philip Morris Deutschland gegenüber „Lebensmittelpraxis“. 

Unerwähnt ließ er, dass Umsätze für den Konzern nicht nur bei den Rauchern warten, die auf Nikotinbeutel umsteigen. Sondern auch in einer neuen, durch TikTok motivierten Zielgruppe, die zu Dauerkunden werden könnten. Quellen:
https://www.tiktok.com/@frathealth/video/7333409957703994670?lang=de-DE
https://www.nytimes.com/2024/10/31/style/zyn-nicotine-pouch-masculinity.html?searchResultPosition=2
https://publications.aap.org/pediatrics/article-abstract/154/1/e2023064268/197471/Super-Nicotine-Pouches-The-Need-for-Intervention?redirectedFrom=fulltext
https://trends.google.de/trends/explore?date=today%205-y&geo=DE&q=Zyn&hl=de
https://www.bundestag.de/resource/blob/1030110/0d51e80bbad21dc2d5336071a85bbe6b/WD-8-074-24-pdf.pdf
https://bpspubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2125.1985.tb02637.x
http://tobaccocontrol.bmj.com/lookup/pmidlookup?view=long&pmid=38378209
https://www.bundestag.de/resource/blob/1030110/0d51e80bbad21dc2d5336071a85bbe6b/WD-8-074-24-pdf.pdf
https://lebensmittelpraxis.de/industrie-aktuell/40903-international-philip-morris-investiert-in-nikotinbeutel-produktion.html