Polio-Viren im Abwasser deutscher Städte nachgewiesen
In Proben aus dem Abwasser sieben deutscher Städte sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) Polio-Viren nachgewiesen worden. Zunächst waren nur München, Bonn, Köln und Hamburg betroffen.
Nun gab es auch positive Tests aus Klärwerken in Dresden, Düsseldorf und Mainz, wie das RKI mitteilt. Damit wurde der Erreger in allen insgesamt sieben regelmäßig untersuchten Städten nachgewiesen. Die Testungen werden seit 2021 durchgeführt. Bisher wurden keine Polio-Verdachtsfälle oder -Erkrankungen an das Bundesinstitut übermittelt.
Bei den gefundenen Erregern handelt es sich nicht um den Wildtyp des Polio-Virus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen.
Die kursierenden Erreger wurden wahrscheinlich von Menschen eingeschleppt, die in ihrem Land die vor allem in Afrika und Asien noch weit verbreitete Schluckimpfung erhalten haben.
Zur Erinnerung: Was ist Poliomyelitis?
Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, die durch Polio-Viren (Enterovirus) verursacht wird und hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren befällt. Die Viren werden vor allem fäkal-oral durch Schmierinfektion übertragen. Die Erkrankung breitet sich vor allem dort aus, wo schlechte hygienische Bedingungen vorherrschen.
Häufig verläuft Poliomyelitis so harmlos wie ein grippaler Infekt. Kritisch wird die Erkrankung, wenn das Zentralnervensystem befallen wird. Dann kann es zu den bleibenden Lähmungen kommen, die der Erkrankung den Namen „Kinderlähmung“ gegeben haben. Die Krankheit kann nicht geheilt werden, man kann jedoch eine Infektion mit einer Polio-Impfung verhindern.
Eine häufige Spätfolge der Kinderlähmung ist das Post-Polio-Syndrom: Jahrzehnte nach der akuten Erkrankung kommt es zu Muskelschwund, Lähmungen, Atemproblemen etc.
Bisher geringes Erkrankungsrisiko in Deutschland
Das RKI weist darauf hin, dass hierzulande bei anhaltender Zirkulation des Erregers einzelne Erkrankungen unter nicht ausreichend geschützten Menschen möglich sind. Die Wahrscheinlichkeit sei aber aufgrund der allgemein hohen Impfquoten von bundesweit 90 Prozent und guten Hygienebedingungen in Deutschland gering.
„Der Nachweis an verschiedenen Orten weist auf eine Zirkulation dieser Viren hin“, hieß es vom RKI. Die Landesbehörden aller Bundesländer und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien über die Nachweise informiert worden.
Auch in Spanien (Barcelona) und Polen (Warschau) sei das Virus kürzlich in Abwasserproben nachgewiesen worden.
Vermehrung der Polio-Impfviren birgt Risiko
Erhält jemand die Schluckimpfung, können sowohl der Impfling selbst als auch Kontaktpersonen – in sehr seltenen Fällen – an sogenannter Impf-Polio erkranken. Die Symptome sind von Polio durch Wildviren nicht zu unterscheiden.
Eine fortlaufende Vermehrung der Impfviren birgt das Risiko, dass sich der abgeschwächte Erreger verändert und das Nervensystem infizieren kann – mit den poliotypischen Lähmungen als mögliche Folge.
Polio-Erkrankungen in anderen Ländern
Schluckimpfstoff-abgeleitete Polio-Viren waren in den vergangenen Jahren auch in anderen hochentwickelten Regionen wie dem US-Bundesstaat New York, London und Jerusalem nachgewiesen worden. Auch Erkrankungen wurden gemeldet.
Da eine Infektion nach RKI-Angaben nur in etwa einem von 200 Fällen zu den für Polio typischen irreversiblen Lähmungen führt, und das zudem nur bei Ungeimpften, kann ein solcher Fall hunderte Infizierte ohne Symptome in der Region bedeuten.
Polio: Schluckimpfung vs. Spritze
Vor der Einführung von Schutzimpfungen gegen Polio gab es allein in Deutschland tausende Erkrankte und hunderte Todesfälle jährlich. Inzwischen existieren weltweit zwei Arten von schützenden Impfstoffen:
- Eine Schluckimpfung, die abgeschwächte vermehrungsfähige Impfviren enthält (OPV), und
- ein inaktivierter Polio-Impfstoff (IPV), der in den Muskel gespritzt wird.
In Deutschland wird seit 1998 ausschließlich IPV-Impfstoff verimpft.
Doch wenn es eine ungefährliche Alternative gibt, warum ist die Schluckimpfung dann überhaupt noch im Einsatz? Ursache ist vor allem eine Eigenheit der inaktivierten Polio-Impfstoffe: Sie verhindern zwar Erkrankungen sehr gut, nicht aber eine Infektion und die Weitergabe des Erregers. In der Folge kann das Virus unbemerkt weite Kreise ziehen. Gerade in Ländern mit niedriger Impfquote kann das gefährlich werden.
Vor allem in Afrika und Asien wird darum noch verbreitet auf die Schluckimpfung gesetzt, die auch vor Ansteckung und damit vor einer großflächigen Weitergabe schützt. Das sehr geringe Risiko eines Impf-Polio-Falls wird in Kauf genommen, zugunsten einer großflächigen Immunisierung der Bevölkerung.
Impfungen wurden häufig unterbrochen – Erkrankungsrisiko steigt
Das Ziel, nach der Ausrottung der Pocken 1980 auch Polio Geschichte werden zu lassen, wurde bislang verfehlt, auch wenn Polio-Wildviren fast nur noch in Pakistan und Afghanistan zirkulieren.
Ein Problem ist, dass Routine-Impfungen wie die gegen Polio in den Pandemie-Jahren in vielen Ländern unterbrochen wurden. Dadurch stieg auch das Risiko, dass Polio sich international wieder ausbreitet. Quelle: dpa / vs