Vor Weihnachten: Atemwegserkrankungen nehmen weiter zu
Die Vorweihnachtszeit in Deutschland wird getrübt durch weiter zunehmende Infektionszahlen bei akuten Atemwegserkrankungen. Corona, Erkältungen und auch Grippe sind immer noch oder zunehmend auf dem Vormarsch, wie aus Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) hervorgeht.
Im Bericht zur Lage in der Woche bis 10. Dezember ist von hochgerechnet etwa 7,9 Millionen akuten Atemwegserkrankungen (vorheriger Bericht: 7,1 Millionen) bundesweit die Rede, unabhängig von Arztbesuchen.
Nachdem vor allem Corona schon länger dominiert, rief das RKI jüngst noch den Beginn der RSV-Welle aus. Nun nehmen auch Grippe-Nachweise deutlich zu.
Corona und Influenza: Dunkelziffer ist hoch
Nach RKI-Definition hat die Grippewelle aber noch nicht begonnen. „Von Influenzaerkrankungen sind bisher vornehmlich Kinder im Schulalter und junge Erwachsene betroffen“, heißt es im Bericht.
Die Meldezahl, also im Labor bestätigte Fälle von Influenza, ist mit rund 1.400 für die Vorwoche bundesweit noch relativ niedrig. Sie hat sich aber im Wochenvergleich mehr als verdoppelt.
Corona wird hierzulande noch sehr viel häufiger festgestellt: Rund 26.850 Erkrankte wurden für die vergangene Woche gemeldet. Die Meldezahlen sind bei beiden Erkrankungen als Spitze des Eisbergs zu verstehen. Das bedeutet, es ist davon auszugehen, dass viele Infektionen gar nicht offiziell gemeldet wurden, weil die Erkrankten zum Beispiel sich nicht offiziell testen lassen.
Nachholeffekt bei Infektionen immer noch möglich
Insgesamt schätzt das RKI, dass vorige Woche pro 100.000 Einwohner 9.500 eine akute Atemwegserkrankung hatten (Bericht der Vorwoche: rund 8.500). Vor einem Jahr um diese Zeit war die Rate noch höher – in mehreren der Vorjahre niedriger, was aber teils auch an damaligen Corona-Maßnahmen liegen dürfte.
Bei Atemwegserkrankungen kann sich die Entwicklung ohnehin von Saison zu Saison erheblich unterscheiden. Bei den derzeit hohen Werten könnte Fachleuten zufolge immer noch ein kleiner Nachholeffekt eine Rolle spielen: Das bedeutet, dass sich gerade womöglich noch etwas mehr Menschen mit Erregern anstecken, mit denen sie in den Pandemie-Jahren nicht oder seltener als üblich in Kontakt kamen.
„Aber man muss natürlich auch beachten, dass wir jetzt einen Erreger für Atemwegserkrankungen mehr haben“, sagt Immunologe Carsten Watzl. Wenn man den derzeit relativ hohen Anteil von SARS-CoV-2 an allen Atemwegsinfektionen betrachte, so sei es kein Wunder, dass die gesamte Inzidenz über dem Niveau der Jahre vor der Pandemie liege.
Mythos: Immunsystem ist geschwächt
„Zudem ist von einer höheren Aufmerksamkeit in der Bevölkerung auszugehen“, sagt Epidemiologe Hajo Zeeb. Und damit tendenziell auch von mehr Arztbesuchen wegen Atemwegserkrankungen, die sich auch in der Statistik beziehungsweise den Arbeitsunfähigkeitszahlen niederschlagen könnten.
Watzl widerspricht vehement Behauptungen, wonach die Hygienemaßnahmen in der Pandemie dem Immunsystem geschadet haben könnten. Dies stimme einfach nicht. „Ich muss mein Immunsystem nicht durch Infektionen trainieren, damit es überhaupt erst aktiv ist.“ Dass vermiedene Infektionen von damals nun nachgeholt werden, bedeute keine Schwächung des Immunsystems.
Impfung gegen Corona und Grippe sinnvoll
Trotz der Grundimmunität durch Impfungen und Infektionen in der Bevölkerung sind schwere Verläufe nicht völlig passé. Eine Corona-Infektion könne „noch ganz schön“ krank machen, sagt der Charité-Experte Leif Sander.
Gründe könnten etwa eine länger zurückliegende Impfung oder keine gute Immunisierung sein. Einen gewissen Grad an Vorsicht halte er daher für geboten: Freiwillig eine Maske zu tragen, sei etwa in einer sehr vollen U-Bahn vernünftig – auch zum Schutz vor anderen Viren.
Die Corona-Warnungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hält der Chef der Kassenärzte, Andreas Gassen, jedoch „in der Dringlichkeit für überzogen. Wir haben schließlich keine pandemische Lage mehr“.
Früher habe man auch nicht wegen Erkältungen oder der Grippe überall zum Maskentragen und zum Verzicht auf Weihnachtsfeiern in Innenräumen geraten. „Was Sinn macht, ist die Impfung gegen Corona und Grippe für alle Älteren und Risikogruppen“, sagt Gassen. Quelle: dpa / mia