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Barmer-Arzneimittelreport 2023 : Häufig vermeidbare Fehler bei der Schmerztherapie

Tabletten-Blister und lose Tabletten auf einem Tisch
Bild: USeePhoto / AdobeStock

Wer Schmerzen hat, wünscht sich eine möglichst rasche Analgesie. Doch welches Schmerzmittel ist in welchem Fall geeignet? Mitunter überwiegen die Risiken eines Präparats dessen Nutzen. Diese Aspekte sollten in der Praxis noch mehr berücksichtigt werden, wie Analysen der Barmer nahelegen.  

In ihrem Arzneimittelreport 2023 beleuchtet die Krankenkasse die ambulante Therapie mit Schmerzmitteln bei erwachsenen Versicherten ohne Tumordiagnose im Jahr 2021.  

Jeder dritte Barmer-Versicherte ohne Tumordiagnose (32,7 Prozent) erhielt im Jahr 2021 eine Verordnung über eine medikamentöse Schmerztherapie. Bei den über 80-Jährigen war es sogar mehr als jeder Zweite (51,5 Prozent). Die mit Abstand am häufigsten verschriebenen Nichtopioid-Wirkstoffe waren Ibuprofen, Metamizol und Diclofenac.

Verordnung unpassender Wirkstoffe

Laut Analyse der Barmer erhielten auch zahlreiche Versicherte, die an Herzinsuffizienz litten, ein NSAR (fast jeder Zehnte zwischen 65 und 79 und jeder Fünfte ab 80 Jahren). Davon raten jedoch medizinische Leitlinien ab. So kann bei Herzinsuffizienz-Patienten schon ein kurzfristiger Einsatz von NSAR die Herzleistung deutlich verschlechtern. Das liegt daran, dass NSAR verstärkt Flüssigkeit im Körper zurückhalten.  

Als weitere Gefahrenkonstellation führt die Barmer die Verordnung von NSAR trotz Niereninsuffizienz an. Da die Niere unter einer NSAR-Therapie schlechter durchblutet werde, könne es bei bereits eingeschränkter Nierenfunktion leichter zu einem akuten Nierenversagen kommen. Zwar werde dieses Risiko von verordnenden Ärzten überwiegend ernst genommen. Dennoch habe jeder neunte Versicherte ab 80 Jahren, der ein NSAR erhielt, eine dokumentierte Niereninsuffizienz.

Oft fehlende Begleittherapie 

Der Barmer-Arzneimittelreport 2023 weist außerdem darauf hin, dass es unter einer NSAR-Einnahme zu gastrointestinalen Blutungen kommen kann, insbesondere bei Kombination mit verschiedenen Arzneimitteln. 

Durch die Gabe von Protonenpumpenhemmern (PPI) könne dieses Risiko reduziert werden. Dennoch erhielten jeweils 40 Prozent der Patienten mit gleichzeitiger Verordnung von NSAR und Antikoagulanzien bzw. NSAR und Thrombozytenaggregationshemmern bzw. NSAR und Glukokortikoiden keinen PPI.  

Auch bei der Therapie mit Opioiden deckt der Arzneimittelreport vermeidbare Fehler auf. Einer davon ist die Verordnung von Opioiden ohne Laxanzien. Laut Arzneimittelreport erhielten 30 Prozent der Patienten mit Langzeit-Opioidtherapie keine Verordnung eines Abführmittels, wie es medizinische Leitlinien vorsehen. Das Risiko für einen Darmverschluss sei dadurch um das Fünffache erhöht.

Gefährliche Kombinationen 

Der Barmer-Report macht zudem darauf aufmerksam, dass es riskant ist, gleichzeitig Opioide und Tranquilizer wie Benzodiazepinen oder Z-Substanzen einzusetzen. Diese Kombination müsse wegen der Gefahr schwerer Nebenwirkungen vermieden werden. Dennoch hätten 40.100 Barmer-Versicherte (circa jeder Zehnte) entgegen der Leitlinienempfehlungen in 2021 eine solche riskante Arzneimittelkombination verordnet bekommen.  

Den Ergebnissen des Arzneimittelreports zufolge kommt es auch bei der Verordnung von Metamizol immer wieder zu riskanten Konstellationen. Im Jahr 2021 bekamen immerhin rund 959.000 erwachsene Barmer-Versicherte Metamizol verschrieben. In Einzelfällen kann das Analgetikum eine schwere Störung der Blutbildung (Agranulozytose) verursachen. 

Dieses Risiko erhöht sich erheblich, wenn gleichzeitig Methotrexat eingenommen wird – insbesondere bei über 80-Jährigen. Zumindest für diese Altersklasse bezeichnet der Barmer-Report die gleichzeitige Gabe von Metamizol und Methotrexat als „No-Go“. Dennoch erhielten in 2021 immerhin 1,1 Prozent der Versicherten genau diese Kombination, wobei 22,4 Prozent von ihnen 80 Jahre und älter waren.

Appell für digitale Unterstützung

Der Barmer-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. med. Christoph Straub fordert angesichts der Arzneimittelreport-Ergebnisse, unbedingt Medikationspläne und digitale Helfer in der Arzneimittel-Versorgung einzusetzen. 

Denn meist bekämen Patienten ihre Medikamente von mehreren Ärzten verschrieben. Nur mit digitaler Unterstützung könne man die Gesamtmedikation und alle Neben- und Wechselwirkungen überblicken, zumal sich Patienten zusätzlich rezeptfreie Analgetika kauften. 

Patienten müssten ebenfalls über Risiken Bescheid wissen. Hier sollten auch Apotheken zur Aufklärung beitragen. Quelle: Barmer  

Schmerzmitteltherapie bei Barmer-Versicherten

  • Im Jahr 2021 erhielten 16,7 Prozent der Versicherten eine Verordnung von Ibuprofen, 14 2 Prozent eine Verordnung von Metamizol und 5,7 Prozent eine Opioid-Verordnung.  
  • Frauen erhielten in allen Altersgruppen mehr Tagesdosen von nichtopioiden Analgetika und Opioiden als gleichaltrige Männer. Der Unterschied betrug insgesamt rund 20 Prozent.  
  • Die Anzahl verordneter Tagesdosen steigt mit zunehmendem Lebensalter. Bei den über 80-Jährigen lag sie in 2021 um 81 Prozent über der von Patienten bis 64 Jahren.