Zum Kindersicherheitstag am 10. Juni: So werden Medikationsfehler bei Kindern vermieden
Wie können PTA zur sicheren Arzneimittelversorgung bei Kindern beitragen? Das britische „Pharmaceutical Journal“ hat einen Übersichtsartikel zu diesem Thema überarbeitet. Welche Medikationsfehler kommen in der Pädiatrie häufig vor und wie kann man diese künftig verhindern?
Medikationsfehler häufiger und negative Folgen wahrscheinlicher
Die Autoren gehen davon aus, dass rund 13 Prozent der Verordnungen für Kinder von Medikationsfehlern betroffen sind. Dabei würden Fehler nicht nur öfter vorkommen, sondern auch wahrscheinlicher negative Folgen haben als bei Erwachsenen.
Zwar ist es, wie fast überall in der Pädiatrie, im Vergleich mit der Erwachsenenmedizin um die Evidenz eher schlecht bestellt, dennoch haben die Autoren einige wichtige Punkte zu Medikationsfehlern bei Kindern aus der vorhandenen Literatur für die Praxis zusammengetragen.
Medikationsfehler durch missverständliche Verordnungen
So seien im Krankenhaus viele pädiatrische Medikationsfehler auf unvollständig ausgefüllte Verordnungen und auf die unsachgemäße Verwendung von Abkürzungen zurückzuführen.
Eine US-amerikanische Sammlung von gefährlichen Abkürzungen bietet dazu einen Überblick: Die Einheit µg kann demnach leicht mit mg verwechselt werden, die Abkürzung IU für Internationale Einheiten könne (handschriftlich) auch als i.v. fehlinterpretiert werden – daneben gibt es einige weitere Beispiele, die sich jedoch nicht direkt auf den deutschsprachigen Raum übertragen lassen.
Medikationsfehler am häufigsten bei der Dosierung
Dennoch: Wenn Fehler passieren, dann am wahrscheinlichsten bei der Dosierung. Das lässt sich wohl darauf zurückführen, dass in der Pädiatrie und Neonatologie sehr individuell – nach Gewicht und Alter – dosiert werden muss.
Dabei geht es nicht immer um Rechenfehler und verrutschte Kommastellen. Teils wird die Dosis auch nicht entsprechend dem zunehmenden Alter und Gewicht eines Kindes angepasst oder nicht beachtet, dass ein Kind über- oder untergewichtig ist.
Allerdings lässt sich die Dosierung nicht immer einfach linear zum Körpergewicht anpassen, so heißt es beispielsweise auch auf „Kinderformularium.de“:
„Gerade Medikamente mit einer geringen therapeutischen Breite und einem geringen Verteilungsvolumen müssen bei adipösen Kindern nach dem idealen Körpergewicht (IBW) dosiert werden, um Überdosierungen zu vermeiden. […] Im Gegensatz zur Dosierung nach IBW kann es bei Medikamenten mit geringem Verteilungsvolumen und breitem therapeutischem Fenster sowie bei Medikamenten mit großem Verteilungsvolumen und enger therapeutischer Breite sinnvoll sein, nach angepasstem Körpergewicht (AdjBW) zu dosieren. Ferner muss dann je nach Wirkstoffklasse das individuelle Risiko einer Über- oder Unterbehandlung berücksichtigt werden.“
Beispielsweise ist für Ibuprofen und Paracetamol laut dem Kinderformularium zur Berechnung der Dosis bei adipösen Kindern das angepasste Körpergewicht zu verwenden.
Und als allgemeine Regel gilt, „dass die gewichtsbasierte Dosierung bei Kindern bis zu 40 kg Körpergewicht erfolgen sollte. Bei schwereren Kindern kann ebenfalls nach Gewicht dosiert werden, allerdings darf dabei die maximale Tagesdosis für Erwachsene nicht überschritten werden.“
Weitere Details dazu finden sich auf der Internetseite des Kinderformulariums.
Medikationsfehler durch Verwechslung der Dosierangaben
Wie gefährlich die Verwechslung von Dosierungsangaben in Milligramm (mg) mit Angaben in Milliliter (ml) werden kann, zeigt auch ein deutsches behördlich genehmigtes Schulungsmaterial mit der „Blauen Hand“ für „Paracetamol Kabi 10 mg/ml Infusionslösung®“. Dort heißt es seit Juli 2021:
„Bei Paracetamol 10 mg/ml Infusionslösung besteht ein Risiko für eine lebensbedrohliche Überdosierung durch Verwechslung von Dosierungsangaben in Milligramm (mg) mit Angaben in (ml). Dies betrifft insbesondere Kinder und Erwachsene mit einem Gewicht bis 50 kg Körpergewicht und kann den Tod des Patienten zur Folge haben.“
Bei der Verordnung müsse deshalb sowohl die Dosis in Milligramm als auch das entsprechende Volumen in Milliliter eindeutig angeben werden.
Für reife Neugeborene und Kinder bis 10 kg Körpergewicht gibt das Schulungsmaterial zudem folgende besondere Hinweise:
„Die Dosis pro Anwendung beträgt 7,5 mg/kg entsprechend 0,75 ml/kg Körpergewicht. Das benötigte Volumen kann sehr gering sein. [...] Die maximale Tagesdosis beträgt 30 mg/kg (entsprechend 3 ml/kg). Das Originalbehältnis darf nicht direkt zur Infusion verwendet werden. Das zu verabreichende Volumen muss aus dem Behältnis entnommen und in Natriumchloridlösung 9 mg/ml (0,9%) oder Glucoselösung 50 mg/ml (5%) bis auf ein Zehntel (1 Volumeneinheit Paracetamol 10 mg/ml Lösung auf 9 Volumeneinheiten Verdünnungslösung) verdünnt werden. Zum Abmessen des zu verabreichenden Volumens sollte hierbei eine 5 oder 10 ml Spritze verwendet werden. Alternativ kann eine Verabreichung mit einer Spritzenpumpe erfolgen.“
Weitere Fehlerquellen in der Pädiatrie
Ein Fehler kommt selten allein und so braucht es meist mehrere Faktoren – stressige Arbeitsumgebung, schlechte Kommunikation usw. – die zusammenkommen, bis ein tatsächlicher Medikationsfehler auftritt, betonen die Autoren im „Pharmaceutical Journal“. Solche Fehler treten nicht nur in der Pädiatrie, sondern auch in der Erwachsenenmedizin auf und seien oft weniger fehlendem Wissen als der Komplexität einzelner Situationen geschuldet.
Neben der individuellen Dosierung in der Pädiatrie gibt es dennoch weitere für die Pädiatrie spezifische Fehlerquellen. Dazu zählen
- das Verordnen außerhalb der Zulassung,
- andere Darreichungsformen,
- die Kommunikation mit Kindern und Eltern sowie
- mangelnde Erfahrung des Gesundheitspersonals in der Arbeit mit Kindern.
Der Off-Label-Use ist in der Pädiatrie aufgrund von mangelnder Evidenz leider eine Notwendigkeit – häufig müssen dann (flüssige) kindgerechte Darreichungsformen in der Apotheke als Rezeptur angefertigt werden. Das bietet Raum für Fehler, wenn beispielsweise Milligramm in Milliliter umgerechnet werden müssen.
Aber auch sonst kann es herausfordernd sein, wenn ein Wirkstoff in verschiedenen Darreichungsformen mit verschiedenen Konzentrationen angeboten wird. Teils könne ein (falsch) angegebenes Volumen dann zwar plausibel erscheinen, aber dennoch zu einer gefährlichen Überdosierung führen, heißt es im „Pharmaceutical Journal“.
Wird keine Rezeptur hergestellt – Tabletten müssen aber geteilt, zerkleinert und/oder von den Eltern dispergiert werden – eröffnet auch dies Fehlerquellen. Weiterhin sei auch an für Kinder ungeeignete Hilfsstoffe zu denken.
Alkoholgehalt in der Pädiatrie beachten
Als Beispiel: In einem Rote-Hand-Brief wurde darüber informiert, dass das Zytostatikum „Cyclophosphamid beta 500 mg/ml, 1000 mg/2 ml, 2000 mg/4 ml Konzentrat zur Herstellung einer Injektions-/Infusionslösung“ bei Kindern und Jugendlichen sowie in der Schwangerschaft kontraindiziert ist – aufgrund des Alkoholgehalts.
Cyclophosphamid beta wurde zum 1. Juni 2023 neu in den Markt eingeführt. Auch bei asiatischen Patienten mit mutiertem ALDH2-Genotyp sollte das genannte Arzneimittel nicht angewendet werden, erklärte die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK).
Auf Kinderformularium.de wird betont, dass im (oralen) OTC-Bereich für Kinder die durch eine Einzeldosis bedingte Blutalkoholkonzentration nicht höher als bei 0,125 g/L (≙ circa 0,125 ‰) liegen sollte. Eine Tabelle wird für die Berechnung als Hilfestellung zur Verfügung gestellt. Zudem wird darauf hingewiesen, dass bei Neugeborenen auch mit einer signifikanten kutanen Resorption von Ethanol zu rechnen ist.
Umfassend über Dosierung aufklären
Grundsätzlich können nicht nur auf der Ebene der Verordner, der Abgebenden und der Anwendenden im Krankenhaus Fehler entstehen und verhindert werden, sondern auch bei der Verabreichung der Arzneimittel durch die Betreuungspersonen im häuslichen Umfeld.
Kennen diese als Dosierungsangabe beispielsweise nur eine Milliliter-Zahl, müsse ihnen auch die korrekte Dosis in Milligramm vermittelt werden, betonen die Autoren im „Pharmaceutical Journal“. Sie empfehlen, Dosisänderungen immer schriftlich festzuhalten und Dosisangaben nicht aus dem Gedächtnis heraus niederzuschreiben, sondern immer die Literatur zu konsultieren.
Eine wertvolle Ressource für den deutschen Arbeitsalltag sind hier sicherlich die Internetseite Kinderformularium.de und die „Pädiatrischen Dosistabellen“ in Buchform.