Wie gefährlich ist die Vogelgrippe für Menschen?
Mit der Ausweitung der Vogelgrippe wächst die Gefahr für eine Ausbreitung unter den Menschen – davor warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Das ist kein Anlass zur Panik“, sagt Sylvie Briand, Direktorin der WHO-Abteilung für die Vorbereitung auf Infektionsgefahren. „Aber wir müssen prüfen, wie gut wir vorbereitet sind.“
Weltweit befällt die Vogelgrippe Tiere
Die Vogelgrippe grassiert derzeit in bislang nicht bekanntem Ausmaß: Nicht nur in Australien und der Antarktis – Nachweise gibt es auf allen Kontinenten. Millionen Tiere starben bereits, insbesondere Seevögel.
Zudem ist das Virus bei rund 30 Säugetierarten entdeckt worden. Nerze, Füchse, Waschbären, Marder, Bären und andere Tiere wurden infiziert und getötet. Auch bei einem Schweinswal in der Ostsee war das Virus im vergangenen Sommer nachgewiesen worden, wie Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bei Greifswald sagt.
„Das Virus breitet sich nicht nur aus, es überspringt auch leichter die Artenschranken“, sagt Briand. „Das stellt ein höheres Risiko auch für Menschen dar.“ Je stärker sich ein Virus ausbreite, desto höher sei auch die Gefahr, dass es sich verändere und für den Menschen gefährlicher werden könne.
Vorbereitungen für Vogelgrippe-Impfstoff laufen
Der WHO wurden seit den ersten tödlichen H5N1-Fällen bei Menschen in Hongkong 1997 insgesamt 873 Fälle gemeldet. 458 der Infizierten starben, sagt der niederländische Virologe Ron Fouchier. Er warnt aber davor, daraus abzuleiten, dass das Virus beim Menschen oft zum Tod führt. Denn Ansteckungen ohne oder mit milden Symptomen würden in der Regel nicht gemeldet und daher bei der Berechnung nicht gezählt.
„Eine Pandemie steht vielleicht nicht direkt vor der Tür, aber es wäre keine schlechte Idee, die Notfallpläne zu überprüfen“, sagt Fouchier. Bei der derzeit kursierenden H5N1-Entwicklungslinie 2.3.4.4b ist nach FLI-Angaben erst ein Todesfall bei Menschen erfasst: Im Oktober starb eine 38-jährige Chinesin nach Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel.
Vorarbeiten für einen Impfstoff für potenzielle Massenimpfungen liefen zwar, sagt Richard Webby vom St. Jude Kinderkrankenhaus in Memphis in den USA. Aber ohne die genaue Art zu kennen, die sich im Menschen vermehren kann, sei es nur möglich, die ersten Bausteine für Impfstoffe anzufertigen.
Wachsende Gefahr durch Zoonosen
Das Ebola- und das Mpox-Virus sowie höchstwahrscheinlich auch das Coronavirus SARS-CoV-2 sind alle von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Doch warum wächst die Gefahr solcher Zoonosen?
„Das hat mit dem menschlichen Verhalten zu tun“, sagt Tierärztin May Hokan von der Umweltstiftung WWF. Die Ausweitung der Wohngebiete, des Straßennetzes, die Entwaldung – das schränke den Lebensraum wilder Tiere immer mehr ein. Wichtig seien mehr Schutzgebiete als Rückzugsraum für Wildtiere.
Abgesehen von der Gefahr für den Menschen ist die Wissenschaft auch so über die Ausbreitung des Virus unter Wildvögeln besorgt: Denn das Virus befalle viele Arten. „Es löscht ganze Kolonien aus, wir müssen mit schweren Folgen für die Biodiversität rechnen“, sagt Wildtier-Expertin Ursula Höfle von der Universität Kastilien-La Mancha in Spanien.
Optimierungsbedarf bei der Tierhaltung
Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt müsse auf allen Regierungsebenen viel stärker zusammen gedacht werden, verlangt die WHO. Sie treibt den Ansatz One Health (Eine Gesundheit) mit der Vernetzung mit den UN-Organisationen für Agrar (FAO), Umwelt (UNEP) und Tiergesundheit (WOAH) voran. Auch hat die WHO Regierungen in aller Welt dazu aufgerufen, diesen Grundsatz in ihrer eigenen Politik umzusetzen. Sie sei zuversichtlich, dass dieses Bewusstsein nach der COVID-Pandemie auch in der deutschen Politik angekommen sei, sagt Hokan.
Mareike Petersen vom Verein ProVieh fordert, die Tierhaltung müsse dringend auf kleinere Gruppen geändert werden. Das verringere die Ausbreitung von Krankheiten und erlaube den Tieren arteigene Verhaltensweisen auszuleben: freies Laufen, Flattern und ungestörtes Ruhen. Die Bedeutung der Geflügelhaltung hält auch FLI-Experte Harder für zentral. Dort gebe es die größten Schnittstellen mit dem Menschen und das Risiko, dass das Virus direkt auf den Menschen überspringe.
Virus der Vogelgrippe weiter beobachten
„Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Aktivitäten, dem Virus auf der Spur zu bleiben und vor allen Dingen die Infektionen aus Haltungen – klein oder groß – herauszuhalten“, sagt Harder. Er leitet das Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza am FLI. In Deutschland sei das Infektionsgeschehen zurzeit geringer als bei früheren Infektionswellen während der kalten Jahreszeit. Das könne ein Hinweis auf eine Teilimmunität sein, die sich inzwischen bei einigen Vögeln herausgebildet habe.
Allerdings: Je größer die Verbreitung des Virus sei, desto wahrscheinlicher sei ein tatsächliches Überspringen. Deshalb müsse es um die Reduzierung der Infektionen gehen. „Das ist das Ziel der Tierseuchenbekämpfung.“
Bei Wildvögeln, die sehr mobil und unterschiedlich seien, sei eine Prävention ungleich schwieriger. „Es ist schon eine besondere Situation, die wir eigentlich weltweit haben, und die so noch nicht aufgetreten ist.“
Jahrelang grassierte die Vogelgrippe hierzulande im Zusammenhang mit dem Vogelzug nur saisonal. Zuletzt gab es ganzjährig Infektionen. Das FLI registriere derzeit etwa 20 bis 40 Fälle bei Wildvögeln in Deutschland pro Woche. „Erstmal deutet sich da kein Nachlassen an“, so Harder. Quelle: dpa / mia