Antibiotika: schwere Hautnebenwirkungen möglich
Zu den schwersten Arzneimittelnebenwirkungen zählen das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN). Dabei kommt es zu Fieber, Schmerzen, Hautausschlag und einer Ablösung der Epidermis. Beschränkt sich Letztere auf weniger als 10 Prozent der Körperoberfläche, liegt ein SJS vor, bei mehr als 30 Prozent eine TEN und bei der Mischform sind zwischen 10 und 30 Prozent der Körperoberfläche betroffen. Die medizinische Versorgung ähnelt der von Verbrennungspatienten, eine intensivmedizinische Versorgung kann erforderlich werden.
Laut jüngsten Forschungsergebnissen steht mehr als jeder vierte Fall von Stevens-Johnson-Syndrom und toxisch epidermaler Nekrolyse im Zusammenhang mit bestimmten Antibiotika.
Gut zu wissen: Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und toxische epidermale Nekrolyse
Das Stevens-Johnson-Syndrom und die toxische epidermale Nekrolyse sind schwere, lebensbedrohliche Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut. Auslöser sind meist Arzneimittel, vor allem Sulfonamide, andere Antibiotika sowie Antiepileptika. Die Krankheit kommt sehr selten vor, etwa 2 Fälle je 1 Million Menschen pro Jahr.
Die Krankheit beginnt häufig mit Fieber, grippeähnlichen Symptomen und Beschwerden an den Schleimhäuten und den Augen. Nach 1–3 Tagen kommt ein roter, masernartiger Hautausschlag im Gesicht und am Hals dazu, der sich schnell über die Extremitäten ausbreitet und zu Blasenbildung und stellenweise auch zur Ablösung der Haut führen kann.
Studie über Ursachen von SJS und TEN
Dass nicht nur Infektionen, sondern auch die Einnahme bestimmter Arzneimittel diese heftigen Reaktionen auslösen können, ist bekannt. Hierzu zählen neben Phenytoin, Carbamazepin und Allopurinol auch verschiedene Antibiotika.
Eine internationale Forschungsgruppe rund um Professor Elizabeth Jane Phillips hat in einer Übersichtsarbeit die globale Prävalenz (Gesamtanzahl der globalen Krankheitsfälle zu einem Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraums) der Antibiotika-assoziierten SJS und TEN (inklusive Mischformen) ausgewertet(Lee et al. Worldwide Prevalence of Antibiotic-Associated Stevens-Johnson syndrome and Toxic Epidermal Necrolysis. 2023. doi:10.1001/jamadermatol.2022.6378) .
Hierfür identifizierten die Forscher in einer Literaturrecherche 38 Studien mit insgesamt 2.917 Patienten, die in 20 Ländern durchgeführt wurden. Sie werteten die Studien hinsichtlich der jeweiligen Fälle und angenommenen Ursachen von SJS/TEN, aber auch hinsichtlich der Anfälligkeit für Biases (Verzerrungen) und dem Sicherheitsgrad der Evidenz (certainty of evidence) aus.
Jeder vierte Fall von SJS/TEN verbunden mit Antibiotika
Die Forscher kamen zu folgenden Ergebnissen: 86 Prozent aller in den Studien beschriebenen Fälle von SJS/TEN waren mit einem einzelnen Arzneimittel assoziiert. Hinter den anderen 14 Prozent steckten vermutlich Infektionen, aber auch Arzneimittelkombinationen.
Bei mehr als jedem vierten Fall von SJS/TEN (28 Prozent) bestand eine Assoziation zu der Einnahme eines Antibiotikums. Die Aussagekraft für dieses Ergebnis geben die Forscher mit „moderate certainty of evidence“, also einer mittleren Evidenzsicherheit, an.
Darüber hinaus gelang es, die Klasse der Antibiotika noch weiter aufzuschlüsseln: Jeder dritte Fall von Antibiotika-assoziiertem SJS/TEN betraf die Einnahme eines Sulfonamids (32 Prozent), bei jedem fünften war es ein Penicillin (22 Prozent).
Aber auch für Cephalosporine (11 Prozent), Fluorchinolone (4 Prozent) und Makrolide (2 Prozent) wurden SJS/TEN-Assoziationen beobachtet. Hierbei merkten die Forscher eine Heterogenität der Ergebnisse der 20 Einzelstudien an.
Zahl der Antibiotikaverordnungen könnte eine Rolle spielen
Einen möglichen Erklärungsansatz lieferte eine nach geografischen Regionen eingeordnete Subgruppenanalyse. Zum einen seien in den untersuchten Regionen verschiedene Muster in der Antibiotikaverordnung sowie in den Vorerkrankungen zu erwarten. Zum anderen wiesen die Populationen unterschiedliche Verteilungen der Humanen Leukozytenantigen (HLA)-Allele (Gewebsmerkmale auf weißen Blutzellen) auf. Für einige dieser sei bekannt, dass sie mit einem erhöhten Risiko für SJS/TEN einhergingen.
Insgesamt sei ihre Studie einmal mehr ein Appell, Antibiotika im Allgemeinen und speziell Sulfonamide rational und sparsam einzusetzen, schlussfolgern Phillips und Kollegen. Immerhin: Seit dem Jahr 2000 ginge der Einsatz von Sulfonamiden weltweit bereits zurück.