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Kann eine Grippe Alzheimer begünstigen?

Senior schaut krank auf Fieberthermometer
Stehen Alzheimer und Grippe in einem kausalen Zusammenhang? | Bild: Graphicroyalty / AdobeStock

Dass Viren den Körper neurologisch schädigen können, zeigte nicht erst die Corona-Pandemie„Science: „Nervous system consequences of COVID-19“ . Auch das Eppstein-Barr-Virus steht aktuellen Erkenntnissen zufolge im ursächlichen Zusammenhang mit einer späteren Multiplen Sklerose (MS): Das Virus erhöht das Risiko für MS um das 32-Fache.

Eine nun im Fachjournal „Neuron“(„Virus exposure and neurodegenerative disease risk across national biobanks“)  veröffentlichte Studie legt nahe, dass auch andere Viruserkrankungen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz, vaskuläre Demenz, ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) und Parkinson zusammenhängen. 

Die Wissenschaftler hinter der Studie hatten dafür Patientendaten aus Finnland (300.000) auf die Frage hin untersucht, ob bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen auch gehäuft eine prä-, peri- oder postdiagnostische Virusinfektion beschrieben ist. Die Ergebnisse dieser Auswertung verglichen sie dann – um sie zu bestätigen – mit einem Datensatz von 500.000 Patienten aus dem Vereinigten Königreich (UK).

Zusammenhang von viraler Enzephalitis und Alzheimer

Auf den ersten Blick ist der Befund recht eindeutig: Die Daten aus Finnland ergaben 45 mögliche Zusammenhänge zwischen neurodegenerativen Erkrankungen und Virusinfektionen. Allerdings ließen sich mit den Daten aus UK nur 22 dieser Zusammenhänge bestätigen. 

Am augenscheinlichsten war der Zusammenhang zwischen einer durch Viren ausgelösten Enzephalitis (Entzündung des Gehirns) und einer Alzheimer-Demenz: Laut den finnischen Daten entwickelten 24 von 406 Menschen mit einer viralen Enzephalitis später eine Alzheimer-Erkrankung, was einer Prävalenz von 5,9 Prozent entspricht. Diese liegt damit annähernd doppelt so hoch wie die allgemeine Alzheimer-Prävalenz mit 3 Prozent. 

Zur Erinnerung: Was bedeuten Prävalenz und Inzidenz?

Unter der Prävalenz versteht man die gesamte Anzahl von Krankheitsfällen in einem betrachteten Teil der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraums. Die Prävalenz einer bestimmten Erkrankung wird meist als Prozentsatz angegeben (Anteil der erkrankten Personen an der Gesamtbevölkerung).

Die Inzidenz hingegen bezeichnet lediglich die Anzahl neu auftretender Fälle in einer betrachteten Population zu einer bestimmten Zeit. Eine übliche Einheit für die Inzidenz ist die Anzahl an Neuerkrankungen pro 100.000 Personen pro Jahr.

Grippe mit fünf neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert

Signifikant (das heißt: nicht durch Zufall erklärbar) und am häufigsten scheint jedoch eine Influenzainfektion (mit oder ohne Lungenentzündung) mit späteren neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung zu stehen, und zwar mit Alzheimer, ALS, Demenz, vaskulärer Demenz und Parkinson – nicht aber MS. 

Auch für Darminfektionen, Varizella-Zoster-Erkrankungen sowie eine virale Enzephalitis war der Zusammenhang mit späteren neurodegenerativen Erkrankungen signifikant.

Begünstigt eine Demenz eine Virusinfektion?

Doch in welche Richtung ist der Zusammenhang zu betrachten? Begünstigt eine Virusinfektion eine neurodegenerative Erkrankung wie Alzheimer oder erleichtert vielleicht eine bereits bestehende (nicht klinische) Alzheimer-Demenz eine Virusinfektion?

Denkbar wäre der letzte Fall, da neurodegenerative Prozesse schon zehn bis 20 Jahre vor der eigentlichen Diagnosestellung begonnen haben. Die Wissenschaftler gingen in ihrer jetzigen Datenerhebung auf der Suche nach Virusinfektionen jedoch nur 15 Jahre vor Diagnosenstellung zurück: „Es ist beispielsweise möglich, dass ein Krankenhausaufenthalt wegen Grippe mit Lungenentzündung, der fünf Jahre vor einer neurodegenerativen Erkrankungs-Diagnose verzeichnet wird, in Wirklichkeit fünf Jahre nach Beginn des degenerativen Prozesses erfolgt“, überlegen die Wissenschaftler. 

Sie geben jedoch gleichzeitig zu bedenken, dass dann auch nach Diagnosenstellung gehäuft Viruserkrankungen zu „sehen“ sein müssten. Das sei aber nicht bei allen Viren der Fall: So erhöhte eine Influenzadiagnose das Risiko für eine Alzheimerdiagnose im nächsten Jahr deutlich stärker, als wenn die Alzheimerdiagnose der Influenzadiagnose vorausgegangen war.

Helfen Impfungen?

Interessant ist auch, dass man gegen manche der Viruserkrankungen bereits impfen kann: gegen Influenza oder das Herpes-Zoster-Virus (Shingrix). „Obwohl Impfstoffe nicht alle Krankheitsfälle verhindern, ist bekannt, dass sie die Zahl der Krankenhausaufenthalte drastisch reduzieren“, erklären die Studienautoren dazu. Dies deute darauf hin, dass die Impfung ein gewisses Risiko für die Entwicklung einer neurodegenerativen Erkrankung mindern könne, was durch jüngere Forschungsarbeiten unterstützt werde. 

So verringere eine Impfung gegen Grippe und Varizella Zoster (dem Erreger der Windpocken und Gürtelrose) das Risiko, an einer Demenz oder Parkinson zu erkrankenQuellen:
„Journal of Alzheimers Disease“: „Risk of Alzheimer's Disease Following Influenza Vaccination: A Claims-Based Cohort Study Using Propensity Score Matching“
„Alzheimer´s Dementia“: „Reduced dementia incidence after varicella zoster vaccination in Wales 2013-2020“
„Discovery Medicine“: „Vaccination Reduces Risk of Alzheimer's Disease, Parkinson's Disease and Other Neurodegenerative Disorders“)
 
. In diesem Bereich sei weitere Forschung erforderlich.

Schwerere Verläufe durch Virusinfektionen?

In der aktuellen Studie haben die Wissenschaftler lediglich untersucht, ob nach Viruserkrankungen gehäuft neurodegenerative Erkrankungen auftreten. Unklar ist aber, ob Virusinfektionen in der Vergangenheit auch Unterschiede im Schweregrad der Erkrankung bewirken.

Die Studienautoren raten abschließend, Berichte über neurologische Symptome, die mit Virusinfektionen einhergehen, ernst zu nehmen. Zudem sollten Risikopatienten überwacht werden, um herauszufinden, ob sie in Zukunft ein höheres Risiko für neurodegenerative Erkrankungen haben.