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Barmer Arzneimittelreport 2022: Arzneimitteltherapie mit digitaler Hilfe sicherer machen

Mit steigendem Alter nimmt oft auch die Zahl der verordneten Medikamente zu. Wie soll man da den Überblick behalten? Mit digitaler Hilfe, sagt die Barmer. | Bild: Solid photos / AdobeStock

Mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen geht es nicht so schnell voran, wie viele sich wünschen – und so lassen auch die hierdurch erhofften Verbesserungen und Effizienzsteigerungen in der Versorgung auf sich warten. 

Die Barmer will sich in ihrem vorgestellten Arzneimittelreport 2022 jedoch nicht auf die Defizite fokussieren, sondern darauf, wie Digitalisierung im Bereich der Arzneimitteltherapie erfolgreich und akzeptanzfindend gestaltet werden kann. Gerade hier sei eine digitale Unterstützung nämlich unabdingbar, meint Barmer-Chef Christoph Straub. Denn Arzneimitteltherapien sind oft so komplex, dass es anderweitig kaum möglich sei, den Überblick zu behalten und Risiken einzuschätzen.

Ab 80-Jährige erhielten durchschnittlich 27 Wirkstoffe

Wie komplex es um die Therapien bestellt ist, zeigt der aktuelle Barmer-Arzneimittelreport mit dem Untertitel „Arzneimitteltherapie 2025. Sicher. Digital.“ In diesem werden erstmals Arzneimittelverordnungen über eine ganze Dekade analysiert. Und zwar die von Versicherten ab 40 Jahren. Das bringt einige interessante Durchschnittswerte zutage:  

  • Demnach hat ein solcher Versicherter innerhalb von zehn Jahren 21 Ärzte aufgesucht und 37 Diagnosen bekommen.
  • Er hat im Schnitt 76 Rezepte erhalten, die bei sechs Apotheken eingelöst wurden.
  • 20 verschiedene Wirkstoffe und 113 Arzneimittelpackungen wurden verordnet.
  • Mit zunehmendem Alter steigt auch die Zahl der durchschnittlich verordneten Wirkstoffe – bei den ab 80-Jährigen sind es bereits 27. Und unter den 10 Prozent der Versicherten, die über zehn Jahre besonders häufig medizinische Leistungen in Anspruch nahmen, sind es sogar 38 verschiedene Wirkstoffe.

So weit die Analyse – aber die Barmer will auch zeigen, dass Digitalisierung die Arzneimitteltherapie effizienter und sicherer macht – und zwar mit einem Konzept, das auf drei von ihr initiierten Innovationsfonds-Projekten basiert: AdAM, TOP und eRIKA.  

AdAM: Medikationsmanagement von Patienten mit Polypharmazie

Bei AdAM („Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management“) steht das Medikationsmanagement von Patienten mit Polypharmazie durch Hausärzte im Fokus. 

In dem Projekt mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, das von Juli 2017 bis Juni 2021 lief, haben rund 940 Hausärzte mehr als 11.000 Patienten betreut – Apotheken waren in das Projekt nicht eingebunden. 

Mit Einverständnis der Patienten wurden die Hausarztpraxen digital mit vollständigen Informationen zur Vorgeschichte versorgt, die aus Routinedaten der Krankenkasse stammen. So wurden die Behandelnden vollständig über Vorerkrankungen und Arzneimittel informiert. Zusätzlich gab es Hinweise auf vermeidbare Risiken der Therapie, wie zum Beispiel gefährliche Wechselwirkungen. 

Die unabhängige Evaluation des Projektes habe gezeigt, dass AdAM das Risiko zu versterben signifikant gesenkt habe, erklärte Straub. „Bei flächendeckender Anwendung durch die niedergelassenen Ärzte kann AdAM jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermeiden“, so der Kassenchef.

TOP unterstützt Arzneimitteltherapie in Krankenhäusern

Mit TOP wurde dann der AdAM-Ansatz auf die stationäre und die sektorenübergreifende Arzneimitteltherapie übertragen. Denn gerade bei Notfallpatienten im Krankenhaus fehlen häufig behandlungsrelevante Informationen. Und diese liefert auch TOP aus Abrechnungsdaten der Krankenkasse. Dies erspare dem Krankenhaus den zeitaufwendigen – im Durchschnitt 22 Minuten pro Patient erfordernden – Prozess des Recherchierens, erläuterte Professor Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Autor des Barmer-Arzneimittelreports. 

Bei TOP setzt man auch auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Krankenhausapothekern und den behandelnden Ärzten. Sie bekommen ebenfalls die von der Barmer gespeicherten Abrechnungsdaten zur Verfügung gestellt.

eRIKA: Auf Basis des E-Rezepts Medikationsfehler vermeiden

Mit dem Anfang Oktober gestarteten Projekt eRIKA ergänzt die Barmer nun die beiden Projekte AdAM und TOP. Ziel ist, mithilfe des E-Rezepts die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) kontinuierlich zu gewährleisten. 

Das E-Rezept und die bei der Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke entstehenden Daten werden dafür für eine zentrale elektronische Dokumentation der Arzneimitteltherapie genutzt. „Jeder Patient, dem ein Arzneimittel verordnet wird, hat immer einen aktuellen und vollständigen Medikationsplan, und das ohne Zusatzaufwand für Ärzte, Apotheker oder Patienten“, so Grandt. 

Eine manuelle Dokumentation der Medikation ist laut Report auch gar nicht zu schaffen – und darüber hinaus fehleranfällig. Nach einer Hochrechnung würde es 3,7 Millionen ärztliche Arbeitsstunden pro Jahr erfordern, um für alle gesetzlich Krankenversicherten die verordneten Arzneimittel in einer elektronischen Patientenakte zu erfassen.

Apotheken für Arzneimittelsicherheit unerlässlich

Ausdrücklich setzt die Barmer jetzt also auch auf die Zusammenarbeit mit den Apotheken. Bei AdAM blieben diese noch außen vor – doch bereits bei TOP habe sich das geändert. Hier seien Stationsapotheker fest in das Projekt eingebunden, erläuterte Grandt. Bei eRIKA gehe man noch einen Schritt weiter und etabliere eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Apothekern und Ärzten. 

Grandt betonte zudem, dass eine effektive pharmazeutische Beratung nur dann möglich sei, wenn die Apotheker die Gesamtmedikation kennen. Bedenke man, dass gerade auch Patienten mit komplexer Medikation ihre Medikamente in mehreren Apotheken erhalten, sei das nicht so einfach. Mit eRIKA werde der Apotheke jedoch tatsächlich ein Gesamtüberblick ermöglicht. „Damit schaffen wir die Voraussetzung, dass der Apotheker seine pharmazeutische Expertise sinnstiftend anwenden kann“, so Grandt.  

Straub erhofft sich jetzt, dass alle drei Projekte in die Regelversorgung überführt werden. Aus seiner Sicht ist dies auch zeitnah möglich – wenn zuvor noch einige Voraussetzungen geschaffen werden. So müsste man beispielsweise, um Abrechnungsdaten der Krankenkassen zur Behandlungsunterstützung zu nutzen, deren gesetzlich festgelegte Zweckbestimmung erweitern. Auch ein für den ambulanten und den stationären Sektor geeigneter Standard für die maschinenverarbeitbare Abbildung von Arzneimitteltherapien inklusive deren Dosierung müsste festgelegt und verbindlich gemacht werden.