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Gutachten des CHMP: Risiko für Meningeom unter hochdosierter Antibabypille?

Laut dem Humanarzneimittelausschuss der EMA soll hochdosiertes Nomegestrol und hochdosiertes Chlormadinon so niedrig und so kurz wie möglich angewendet werden. | Bild: Towfiqu / AdobeStock

Seit dem 2. September informiert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Homepage über ein Gutachten des Humanarzneimittelausschusses der EMA (CHMP) zu den beiden Gestagenen Nomegestrol und Chlormadinon. Demnach hat der CHMP empfohlen, „dass Arzneimittel, die hochdosiertes Nomegestrol (3,75–5 mg) oder hochdosiertes Chlormadinon (5–10 mg) enthalten, in der niedrigsten wirksamen Dosis und für die kürzest mögliche Dauer angewendet werden sollen, und zwar nur dann, wenn andere Maßnahmen nicht geeignet sind.“ 

Gemeint sind damit also nicht klassische und in Deutschland übliche Verhütungspräparate wie Belara, Zoely und Generika: Belara enthält beispielsweise nur 2 mg Chlormadinonacetat und 0,03 mg Ethinylestradiol, Zoely 2,5 mg Nomegestrolacetat und 1,5 mg Estradiol. Es heißt weiter, dass  solche niedrig- und hochdosierten nomegestrol- oder chlormadinonhaltigen Arzneimittel nicht von Patientinnen angewendet werden dürfen, die ein Meningeom haben oder hatten. Neue Daten laut dem PRAC (Pharmakovigilanzausschuss der EMA) und dem CHMP zeigen, dass das Risiko für Meningeome mit zunehmender Dosis und Dauer unter Nomegestrol- oder Chlormadinon-Behandlung ansteigt.

Zur Erinnerung: Was ist ein Meningeom?

Bei einem Meningeom handelt es sich um einen Hirntumor, der aus der Hirnhaut entsteht. In aller Regel ist er gutartig, wächst langsam und hat eine günstige Prognose. Allerdings kann die Lage des Meningeoms im Gehirn und Rückenmark in „seltenen Fällen ernste Probleme“ verursachen, erklärt der PRAC.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt Meningeome in drei Grade:

  • WHO-Grad I: > 85 Prozent aller Meningeome, gutartig, operativ meist komplett entfernbar und prognostisch günstig.
  • WHO-Grad II: etwa 10 Prozent aller Meningeome, erhöhtes Wachstumspotenzial, hohe Rezidivrate nach OP.
  • WHO-Grad III: 2–3 Prozent aller Meningeome, sogenanntes anaplastisches Meningeom, bösartig, Metastasierung möglich, Strahlentherapie postoperativ indiziert, ungünstige Prognose.

Da Meningeome meist langsam wachsen, können Symptome – wie Kopfschmerzen, Gang-, Seh-, Sprech- und Sensibilitätsstörungen oder neurologische Ausfälle wie Krampfanfälle – erst im Verlauf der Erkrankung auftreten. 

Patienten auf Symptome eines Meningeoms überwachen

Der CHMP hat „nicht nur die Verwendung der hochdosierten Arzneimittel eingeschränkt, sondern auch empfohlen, die behandelten Patientinnen auf Symptome eines Meningeoms zu überwachen“, erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weiter. Zu diesen Symptomen gehören

  • Sehstörungen,
  • Hörverlust oder Klingeln im Ohr,
  • Geruchsverlust,
  • Kopfschmerzen,
  • Gedächtnisverlust,
  • Krampfanfälle und 
  • Schwäche in Armen oder Beinen.

Wird ein Meningeom diagnostiziert, muss das Arzneimittel dauerhaft abgesetzt werden. Doch um welche Arzneimittel und Anwendungsgebiete geht es dabei? Gibt es in Deutschland überhaupt hochdosierte Nomegestrol- oder Chlormadinon-Präparate?

Kein hochdosiertes Präparate mit Nomegestrol in Deutschland

Laut Lauer-Taxe (Stand 12.09.2022) enthält kein deutsches Präparat hochdosiertes Nomegestrol. Damit ist hierzulande lediglich für Zoely zu beachten, dass diese „Pille“ nicht von Patientinnen angewendet werden darf, die ein Meningeom haben oder hatten. Beispielsweise in Frankreich ist aber das Präparat Lutenyl mit 5 mg Nomegestrolacetat im Handel

Anwendungsgebiete von hochdosiertem Chlormadinon 

Mit Chlormadinon sind laut Lauer-Taxe in Deutschland zahlreiche (niedrig dosierte) Verhütungspräparate im Handel, bei denen somit auch darauf geachtet werden muss, dass diese nicht von Patientinnen angewendet werden, die ein Meningeom haben oder hatten. Für die hochdosierte Einnahme ist hierzulande lediglich das Präparat „Chlormadinon 2 mg fem Jenapharm Tabletten“ geeignet – und das eigentlich nur in einer Indikation. Es hat verschiedene Einsatzgebiete:

  • Zusatz zur Substitutionstherapie mit Estrogenen, zum Beispiel in der Postmenopause, bei Gonadendysgenesie
  • Sekundäre Amenorrhoe nach positivem Gestagentest
  • Dysfunktionelle Blutungen insbesondere nach der ersten Menstruation oder in den Wechseljahren
  • Unregelmäßige Zyklen und Menstruationsbeschwerden, z. B. Oligomenorrhoe, Polymenorrhoe, Hypermenorrhoe, Zwischenblutungen, prämenstruelle Schmierblutungen und Dysmenorrhoe
  • Mastodynie

Hochdosiert wird Chlormadinon laut Fachinformation bei kürzer als drei Wochen bestehenden Dauerblutungen eingenommen (6 mg Chlormadinonacetat pro Tag über 10 Tage). Eine langfristige hochdosierte Einnahme ist nicht vorgesehen. 

2–4 mg Chlormadinonacetat pro Tag vom 16. bis 25. Zyklustag können jedoch laut Fachinformation generell bei unregelmäßigen Zyklen und Menstruationsbeschwerden zum Einsatz kommen. Auch wenn das noch nicht in den vom CHMP als „hochdosiert“ betitelten Bereich fällt, erscheint hier ein möglichst niedrig dosierter und kurzer Einsatz dennoch ratsam.

Frankreich: Chlormadinon hochdosiert bei Endometriose 

Neben hochdosiertem Nomegestrol in Lutenyl ist in Frankreich auch Chlormadinon mit 5 mg und 10 mg hochdosiert in dem Präparat Luteran enthalten. Luteran kann z. B. bei Endometriose eingesetzt werden. Aber auch bei schwerwiegenden Mastopathien (= gutartige Brusterkrankung) oder fibrombedingten Blutungen soll der Einsatz der hochdosierten Präparate in Ordnung sein.

Kommt bald eine rechtlich bindende Entscheidung?

Die Europäische Kommission wird jetzt eine endgültige, rechtlich bindende Entscheidung zu den PRAC- und CHMP-Empfehlungen treffen, die dann in allen EU-Mitgliedstaaten gilt. Die Angehörigen der Heilberufe sollen laut BfArM außerdem zeitnah einen Rote-Hand-Brief zugesandt bekommen. 

Damit wird also nicht generell von (niedrig dosierten) Verhütungsmitteln mit Chlormadinon oder Nomegestrol abgeraten. Allerdings wird auch ihr Risiko für venöse Thromboembolien weiterhin kritisch diskutiert.