Aktuelles
4 min merken gemerkt Artikel drucken

Widerruf der nationalen Zulassung: Aus für Appetitzügler Amfepramon

Schon seit Dezember 2022 sind Amfepramon-haltige Arzneimittel vom deutschen Markt verschwunden. Nun verlieren diese auch die Zulassung. | Bild: Vadym / AdobeStock

Es ist das Ende einer langen Geschichte: Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vergangene Woche bekannt gab, hat die Europäische Kommission am 13. Januar 2023 ihre endgültige rechtsverbindliche Entscheidung getroffen, dass die nationalen Zulassungen für den Appetitzügler Amfepramon widerrufen werden. Dies kam wenig überraschend, denn schon lange herrscht Skepsis über das Nutzen-Risiko-Profil von Amfepramon.

Gut zu wissen: Wie wirkt Amfepramon?

Amfepramon wirkt als indirektes Sympathomimetikum, das heißt: Es erhöht die Konzentration von Noradrenalin im synaptischen Spalt und verstärkt so den Sympathikustonus. Dadurch wird das Hungergefühl unterdrückt, aber auch Nebenwirkungen wie Lungenhochdruck und Herzprobleme begünstigt.

Zugelassen war Amfepramon bislang zur Behandlung von Patienten mit Adipositas (Body-Mass-Index von mindestens 30 kg/m2), bei denen andere Methoden zur Gewichtsreduzierung nicht ausgereicht haben.

Amfepramonhaltige Arzneimittel sind derzeit in der EU nur noch in Dänemark, Deutschland und Rumänien zugelassen. Zum 1. Dezember 2022 haben die Zulassungsinhaber in Deutschland jedoch bereits auf die Zulassung solcher Präparate verzichtet. Deshalb wurden schon im November 2022 alle Chargen von Regenon und Amfepramon-Hormosan von der Temmler Pharma GmbH sowie Tenuate von der Firma Artegodan zurückgerufen. 

Fehlanwendungen erhöhten Nebenwirkungsrisiko

Im Januar 2021 wurde ein Risikobewertungsverfahren bei der EMA gestartet. Grund waren Zweifel an der Sicherheit von Amfepramon. Berichtet wurde über 

  • Herzprobleme,
  • Lungenhochdruck (arterielle Hypertonie),
  • eine länger als vorgesehene Anwendung (mehr als drei Monate),
  • die Überschreitung der Maximaldosis sowie
  • die Anwendung in der Schwangerschaft.

Dies machte eine sorgfältigere Überprüfung durch den Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) erforderlich. In der Folge ordnete der PRAC Maßnahmen an, die die Fehlanwendungen verringern und die Sicherheit der Behandlung mit Amfepramon erhöhen sollten. 

Allerdings musste der PRAC Monate später feststellen, dass sich diese risikominimierenden Maßnahmen als nicht wirkungsvoll erwiesen haben. Auch sah er keine Möglichkeit, durch weitere Maßnahmen die Fehlanwendungen doch noch zu reduzieren und das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Amfepramon zu verbessern. Deswegen eskaliert der PRAC seine Empfehlung zur höchsten Stufe und riet im Juni 2022, die Zulassung zurückzunehmen. 

Die Zulassungsinhaber hatten den Widerruf der Zulassung noch zu verhindern versucht, jedoch ohne Erfolg.

Amfepramon verschwindet endgültig vom europäischen Markt

Da amfepramonhaltige Arzneimittel national zugelassen waren, hatte die PRAC-Empfehlung zunächst noch durch die „Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Dezentrale Verfahren – Human“ (CMDh) beraten werden müssen. Nun wurde eine endgültige Entscheidung gefällt: 

„Die Europäische Kommission hat am 13. Januar 2023 ihre endgültige rechtsverbindliche Entscheidung getroffen mit dem Ergebnis des Widerrufs der nationalen Zulassungen. Dieser an die EU-Mitgliedsländer gerichtete Beschluss ist in allen EU-Mitgliedsstaaten gültig. Damit wird das europäische Risikobewertungsverfahren nach Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG zu amfepramonhaltigen Arzneimitteln abgeschlossen.“

Bekanntmachung auf der BfArM-Homepage vom 19. Januar 2023

In Kürze soll ein Umsetzungsbescheid an die Zulassungsinhaber versendet werden, heißt es auf der Homepage des BfArM. 

Gut zu wissen: Amfepramon-Zulassung schon einmal entzogen

Bereits in den Jahren 1996 und 1999 waren appetithemmende Arzneimittel (einschließlich Amfepramon) auf ihre Sicherheit hin überprüft worden. Dem „Arznei-Telegramm“ ist zu entnehmen, dass die Europäische Kommission Amfepramon 2001 schon einmal die Zulassung entzogen hatte. Der Europäische Gerichtshof annullierte jedoch im November 2002 diesen Beschluss.

Welche Bedeutung hat Amfepramon in der Behandlung von Adipositas?

Im Anhang zum Durchführungsbeschluss der EU-Kommission heißt es, dass Amfepramon in den aktuellen Behandlungsleitlinien für Adipositas ohnehin keine Erwähnung findet. Die US-amerikanische Fachgesellschaft der Gastroenterologen (American Gastroenterological Association, AGA) hat im Oktober 2022 allerdings eine Praxisleitlinie zur medikamentösen Behandlung der Fettleibigkeit bei Erwachsenen veröffentlicht. Dort findet man Amfepramon unter dem Synonym Diethylpropion noch – allerdings nur mit einem „bedingten“ Empfehlungsgrad und „niedriger“ Evidenz.

Der DAZ 1/2023 war zu entnehmen, dass der Wirkstoff in den USA maximal drei Monate lang eingesetzt werden sollte. Die American Gastroenterological Association stelle jedoch fest, dass in den USA viele Ärzte den Wirkstoff länger off-label verordnen, „um der chronischen Erkrankung gerecht zu werden“.

Vielleicht folgt man in den USA also auch bald dem europäischen Vorbild. Denn nehmen Patienten Amfepramon länger als die vorgesehenen drei Monate ein, erhöht sich laut PRAC das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen wie pulmonale arterielle Hypertonie und Abhängigkeit.