Erste Hilfe kann jeder leisten: Alarmierungs-Apps für Ersthelfer retten Leben
Rund 2.500 Verkehrstote gab es im vergangenen Jahr in Deutschland. Am Herz-Kreislauf-Stillstand sterben jährlich etwa 70.000 Menschen – also fast 30 Mal so viele. Hierbei ist sehr schnelle Hilfe gefragt. Die Betroffenen sind mitunter auf Ersthelfer angewiesen, die das Herz wieder zum Pumpen bringen.
Erstes landesweites System zur Alarmierung von Ersthelfern
Für Verkehrssicherheit würden Milliarden ausgegeben, etwa für Airbags und Leitplanken. „Zu Recht, aber wenn wir nur einen Bruchteil davon auch in die Hilfe beim Herz-Kreislauf-Stillstand stecken würden, hätten wir jedes Jahr 10.000 Tote weniger“, meint der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Rats für Wiederbelebung (GRC), Prof. Bernd Böttiger.
Doch um die Lage zu verbessern, mangelt es an gesetzlichen Vorgaben. Hier geht Baden-Württemberg nun voran. Es sei das erste Bundesland, das ein landesweites System zur Alarmierung von Ersthelfern per Smartphone-App einführt, sagt Böttiger.
Neu an dem erst jüngst gestarteten Projekt ist, dass die Freiwilligen nicht nur in ihrem eigentlichen Einsatzgebiet alarmiert werden, sondern auch, wenn sie zum Beispiel im Urlaub oder bei einem Termin in einem anderen Landkreis sind. Die Helfer können dann unter anderem angeben, welches Verkehrsmittel sie haben, um die benötigte Zeit zu der betroffenen Person zu berechnen, wie Michael Müller, Erster Vorsitzender des Vereins Region der Lebensretter und damit Verantwortlicher für das Projekt, erklärt.
Einheitliches System für Ersthelfer-Apps gefordert
„Ersthelfer-Systeme sind eine super Sache“, sagt Böttiger, der auch Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Uniklinikum Köln ist. „Ich behaupte, so ein System deutschlandweit könnte noch mehr Menschenleben retten als der Sicherheitsgurt.“
Aus seiner Sicht sei es die Pflicht der Politik, hier Vorgaben etwa für den Einsatz von Alarmierungs-Apps für Ersthelfer zu machen. „Es nicht zu tun, grenzt an unterlassene Hilfeleistung.“ Stattdessen gebe es in Deutschland einen „Flickenteppich“ freiwilliger Angebote.
Dem Freiburger Projekt beispielsweise haben sich Müller zufolge mehr als ein Drittel der 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg angeschlossen sowie das Allgäu in Bayern und Ostsachsen. Für weitere Kooperationen liefen schon Gespräche, sagt der Vereinsvorsitzende. „Das explodiert gerade förmlich.“ Hintergrund seien neue internationale Leitlinien für die Reanimation, die seit 2021 den Einsatz von Apps und digitaler Technologie empfehlen. „Ich hoffe, dass wir das in zwei, drei Jahren in ganz Deutschland haben.“
In mehreren Regionen Bayerns, Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens, aber auch vereinzelt in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Neckar-Odenwald-Kreis wiederum sind die „Mobilen Retter“ vertreten. Sie nutzen laut Prof. Lars Maier vom Universitätsklinikum Regensburg eine eigene, aber ähnliche Technik. Auch diese solle künftig regionenübergreifend Ersthelfer alarmieren können, sagt Maier, der auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung ist.
Wünschenswert wäre ein deutschland- oder gar weltweit einheitliches System, sagt Böttiger. Doch allein hierzulande kenne er mindestens fünf verschiedene Ansätze. „Die Systeme konkurrieren erheblich.“ Teils nutzten sie unterschiedliche Technik, teils sei die Philosophie schon bei der Rekrutierung der Ehrenamtlichen eine andere. Zwar wisse man heute noch nicht, welches System am besten sei. „Daher ist es vielleicht auch nicht schlecht, dass sie unterschiedlich sind“, räumte Böttiger ein. „Aber sie sollten zumindest kompatibel sein.“
Erste Hilfe kann jeder Laie leisten
Forschende um den Mediziner Maier untersuchen wissenschaftlich, was der Einsatz von Ersthelfern bringt. Der aktuellen Statistik zufolge waren die „Mobilen Retter“ im Schnitt nach 4:33 Minuten am Einsatzort.
Böttiger verweist auf den Herz-Kreislauf-Stillstand des dänischen Fußballers Christian Eriksen bei der Europameisterschaft 2021. „So etwas passiert in Deutschland 200 Mal am Tag.“ Doch anders als auf dem Spielfeld, wo Eriksen zusammengebrochen war, komme die Hilfe oft zu spät. Der Rettungsdienst sei im Schnitt erst nach neun Minuten da. Das Gehirn fange aber nach drei bis fünf Minuten schon an zu sterben.
Jeder Laie könne mit der Hilfe beginnen, macht der GRC-Chef deutlich. „Wiederbelebung ist kinderleicht, sogar für Erwachsene“, sagt er. „Für eine kräftige Herzdruckmassage reicht es, zehn oder zwölf Jahre alt zu sein und zwei Hände zu haben.“ Doch nur in 40 Prozent der Fälle in Deutschland hat Böttiger zufolge ein Laie vor dem Eintreffen des Notarztes mit der Reanimation begonnen. „Da ist Deutschland wirklich ein Entwicklungsland.“
Die Überlebensrate Betroffener liegt laut dem Freiburger Mediziner Müller bei nur 10 bis 15 Prozent. Beginnen Ersthelfer in weniger als fünf Minuten mit einer Herzdruckmassage, sei die Überlebenschance zwei- bis viermal höher. Um eine solch schnelle Hilfe zu gewährleisten, brauche man nicht Tausende Rettungsleitstellen. „Heutzutage haben alle ein Handy dabei“, sagt der Notfallmediziner. Quelle: dpa / mia
Zur Erinnerung: Erste Hilfe bei Herzstillstand
Prüfen: Zuerst prüft man, ob die kollabierte Person bewusstlos ist. Dazu spricht man sie an und schüttelt sie kräftig an beiden Schultern. Dann prüft man die Atmung. Dazu überstreckt man den Kopf der bewusstlosen Person und hört bzw. fühlt, ob sie atmet.
Hinweis: Schnappatmung und Röcheln zählen nicht als normale Atmung. Sie sind typisch für die erste Phase des Herzstillstandes.
Rufen: Dann setzt der Ersthelfer den Notruf (112) ab. Dabei laut und deutlich den eigenen Namen, genauen Standort und Unfallhergang nennen.
Drücken: Im Knien neben der bewusstlosen Person wird ein Handballen auf die Mitte des Brustkorbs gesetzt und die zweite Hand auf den Handrücken der ersten platziert. Mit gestreckten Armen drückt man das Brustbein tief (5 bis 6 cm) und schnell (100- bis 120-mal pro Minute) in Richtung Wirbelsäule.
Die Herzdruckmassage führt man ohne Unterbrechung so lange durch, bis der Rettungsdienst eintrifft und die notfallmedizinische Versorgung übernimmt.
Sind zwei Helfer vor Ort und befindet sich in der Nähe ein Defibrillator (AED), kann einer der beiden diesen holen, während der andere die Herzdruckmassage fortsetzt. Quelle: Deutsche Herzstiftung e. V.