Zum Welt-Zöliakie-Tag am 16. Mai: Zöliakie – Wenn Getreide zum Problem wird
Etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung ist von Zöliakie betroffen, allerdings dürfte die Dunkelziffer hoch sein. Die Autoimmunerkrankung basiert auf einer Unverträglichkeit gegenüber Gluten – einem als „Klebereiweiß“ bekannten Getreideprotein.
Bei entsprechender genetischer Veranlagung führt die Aufnahme von Gluten zu einer T-Zell-vermittelten Immunreaktion mit chronischer Entzündung und Schädigung der Dünndarmschleimhaut. In der Folge kommt es zu einer gestörten Resorption von Nährstoffen (Malabsorption) und einer verstärkten Gasbildung durch den bakteriellen Abbau von Nahrungsbestandteilen im Dickdarm.
Zöliakie bleibt häufig jahrelang unentdeckt
Zöliakie basiert auf einer erblichen Veranlagung und tritt daher gehäuft familiär auf. Die ersten Symptome manifestieren sich typischerweise im frühen Kindesalter durch den ersten Kontakt mit Gluten in getreidehaltiger Beikost. Betroffene Säuglinge weisen einen aufgeblähten Bauch bei gleichzeitig magerem Körper auf. Kinder und Jugendliche leiden häufig an Untergewicht.
Im Erwachsenenalter führt die Malabsorption meist zu Gewichtsverlust sowie einem Vitamin- und Mineralstoffmangel. Die Betroffenen klagen ferner über Völlegefühl, Blähungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit sowie über gelegentliche oder anhaltende Durchfälle. Neben Verdauungsbeschwerden können auch Allgemeinsymptome wie Müdigkeit und Muskelschwäche auftreten.
Viele Betroffene mit untypischen oder nur geringen Symptomen wüssten nicht von ihrer Autoimmunkrankheit, heißt es von der Zöliakie Gesellschaft (DZG). Der Ausbruch der Erkrankung ist in jedem Lebensalter möglich. Im Kindesalter bleibt sie nach DZG-Einschätzung wegen manchmal schwacher Symptome jahrelang oder sogar jahrzehntelang unentdeckt.
Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) erkranken Menschen häufig im Alter zwischen ein und acht Jahren oder dann später zwischen 20 und 50 Jahren. Der Kinder-Gastroenterologe Jens Berrang sagt: „Bei manchen bricht es mit fünf Jahren aus, bei manchen mit 35 – wir wissen nicht, warum das so ist.“ In seine gastroenterologische Ambulanz kommen viele Kinder im Grundschulalter.
Untypische Symptome bei Zöliakie beachten
Nicht immer sind die Symptome so schwer und offensichtlich, sie kommen viel häufiger unspezifisch daher – und das kann auch zu einer späten Diagnose führen, wie Jens Berrang erklärt.
Reizbares bis aggressives Verhalten und depressive Veränderungen würden ebenfalls beobachtet, ergänzt seine Kollegin Friederike Stemmann. Der Kinderärzte-Berufsverband nennt zudem Rachitis, Muskelschwäche, Schäden am Zahnschmelz oder Blutgerinnungsstörungen als mögliche Folgen einer unbehandelten Zöliakie.
Glutenfrei ernähren – aber nicht vor Diagnosestellung
Regelmäßige Untersuchungen sind bei Zöliakie wichtig, auch Blutanalysen, weil sich nicht selten auch ein Mangel an lebenswichtigen Stoffen entwickelt hat. Eine Diagnose könne inzwischen recht einfach mit zwei Bluttests gestellt werden, weiß Jens Berrang.
Dazu wird das Blut auf typische Antikörper untersucht und mittels Biopsie die Dünndarmschädigung nachgewiesen. Eine sichere Diagnosestellung kann jedoch nur unter einer ausgeprägt glutenhaltigen Ernährung erfolgen, weshalb vor der Diagnosestellung auf keinen Fall glutenfrei oder glutenarm gegessen werden sollte.
Einzige Therapie: lebenslanger Glutenverzicht
Bislang sind die Ursachen der Zöliakie ungeklärt, weshalb die einzige erfolgversprechende Therapieoption aus einer lebenslangen glutenfreien Diät besteht. Da jedoch alle gängigen Getreidearten wie Weizen, Dinkel, Grünkern, Roggen und Gerste das Klebereiweiß bzw. seine Unterfraktionen (z. B. Gliadin, Glutenin oder Secalin) enthalten, erfordert dies eine strikte Ernährungsumstellung.
Eine Erleichterung für Betroffene bringen glutenfreie Lebensmittel, die in den vergangenen Jahren Einzug in das Sortiment zahlreicher Supermärkte, Drogerien und Bioläden hielten. Die entsprechenden Produkte sind eindeutig als „glutenfrei“ gekennzeichnet und können zudem das Symbol der „durchgestrichenen Ähre“ der deutschen Zöliakie-Gesellschaft e. V. (DZG) tragen.
Da das konsequente Meiden von Gluten nur die Symptomatik behandelt, können selbst kleinste Mengen an Gluten erneut Beschwerden hervorrufen. Die eigentliche Krankheit bleibt ein Leben lang bestehen.
Gut zu wissen: Hilfestellung der DGE
Eine Hilfestellung – sowohl für Patienten als auch PTA – bietet die DGE mit der DGE-Infothek „Essen und Trinken bei Zöliakie“. Die Broschüre informiert über Krankheitsbild, Ursachen, Symptome sowie Diagnostik und gibt des Weiteren Tipps, wie sich Betroffene trotz der Einschränkungen ausgewogen und abwechslungsreich ernähren können.
Glutenfreie Ersatzprodukte können sich auch negativ auswirken
Eine glutenfreie Ernährung steht zunehmend auch bei Menschen hoch im Kurs, bei denen eine Zöliakie gar nicht nachgewiesen ist. Oft sind verschiedene Darmbeschwerden oder auch chronische Erkrankungen der Grund, weshalb zu glutenfreien Lebensmitteln gegriffen wird. Gastroenterologen raten in diesen Fällen jedoch davon ab.
So seien glutenfreie Ersatzprodukte nicht nur teuer, sondern könnten unter Umständen auch der Gesundheit schaden. In ihnen seien oft mehr Zucker, Salz und ungesättigte Fettsäuren enthalten als in den entsprechenden glutenhaltigen Varianten. Außerdem mangele es den glutenfreien Ersatzprodukten häufig an Ballaststoffen und Vitaminen.
Würden zu viele davon konsumiert, könne das tendenziell zur Gewichtszunahme führen. Langfristig steige damit möglicherweise das Risiko für Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes.
Wann eine Weizenkarenz noch sinnvoll ist
Die Zöliakie ist übrigens nicht die einzige Erkrankung, die sich unter einem Verzicht auf Weizen bessert. Auch Personen mit einer Nicht-Zöliakie-Weizen-Sensitivität (NCWS) können von einer Weizenkarenz profitieren. Man nimmt an, dass bei der NCWS nicht das Gluten der Hauptverursacher der Beschwerden ist, sondern vor allem andere Weizenbestandteile. Das könnten etwa bestimmte, im modernen Hochleistungsweizen gebildete Proteine sein – die sogenannten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI).
Außerdem sind ungefähr 0,1 Prozent der Bevölkerung von einer Weizenallergie betroffen. Die Weizenallergie tritt gehäuft bei Bäckern auf. Sie geht mit allergietypischen Symptomen wie Hautreaktionen, Jucken und laufender Nase einher.
Vollkornbrot – nicht immer verträglich
Mitunter können auch Vollkornbrote, die schnell und mit Backtriebmitteln gebacken sind, Zöliakie-ähnliche Beschwerden verursachen, ohne dass dafür Gluten verantwortlich ist.
Vielmehr spielen Reizstoffe des vollen Korns eine Rolle, die durch eine kurze Backzeit nicht ausreichend deaktiviert werden. Traditionelle, langsame Brotbackverfahren können hier Abhilfe schaffen. Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) e.V.;
Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention e.V. (FETeV);
Deutsche Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG)