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Warum brauchen Schwangere mehr Jod?

Sitzende Schwangere, hält eine Tablette und ein Glas Wasser in den Händen
Bereits Frauen mit Kinderwunsch sollten Folsäure und Jod einnehmen. | Bild: NDABCREATIVITY / AdobeStock

81,7 Prozent der schwangeren Frauen in Deutschland nehmen Folsäure während der Schwangerschaft ein. Zu diesem Ergebnis kam die „Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II“, wozu Wissenschaftler 966 Frauen befragt hatten. 

Das klingt erst einmal nach einer guten Versorgung. Schaut man jedoch genauer hin, hatte nicht einmal die Hälfte der Frauen (45,4 Prozent) damit bereits vor der Schwangerschaft begonnen – wie es unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt. 

Der Grund dafür dürfte häufig sein, dass die Frauen in den ersten Tagen und Wochen der Schwangerschaft nicht wussten, dass sie überhaupt schwanger sind. Jedoch: „Eine optimale Folsäureversorgung ist sogar schon ab dem ersten Tag der Schwangerschaft wichtig“, erklärt Professor Martin Smollich in seinem „Ernährungsmedizinblog“. 

Und: „Jede Frau, die schwanger werden möchte und könnte, sorgt am besten schon vor Eintritt der Schwangerschaft für eine gute Folsäurezufuhr“, empfiehlt der Apotheker, der seit 2018 die Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck leitet.

Nicht alle Schwangeren nehmen Folsäure und Jod ein

Bei der Jodversorgung der Schwangeren sieht es den Ergebnissen der SuSe-II-Studie nicht besser aus. Auch hier nahm nur die Hälfte der Schwangeren zusätzlich Jod ein. 

„Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig die ärztliche Beratung und Aufklärung von Frauen im gebärfähigen Alter, spätestens aber während der Schwangerschaft ist“, erklärte damals die Studienleiterin Prof. Dr. Mathilde Kersting, Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Universitätskinderklinik Bochum anlässlich der Veröffentlichung der Daten 2020.

BfR: Merkblatt zu Jod und Folsäure in der Schwangerschaft

Die Notwendigkeit einer guten Beratung sieht auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Um auszuschließen, dass der Mangel an gutem Beratungsmaterial für Ärzte der Grund für die nicht optimale Folat- und Jod-Versorgung von Frauen mit Kinderwunsch, Schwangeren und Stillenden ist, hat das BfR sein Merkblatt „Jod, Folat/Folsäure und Schwangerschaft – Ratschläge für die ärztliche Praxis“ aktualisiert. 

Denn zwar benötigen nur wenige Menschen überhaupt Nahrungsergänzungsmittel, Schwangere gehören jedoch definitiv dazu. Und ungeachtet des noch immer weit verbreiteten Irrgedankens, dass Frauen in der Schwangerschaft „für zwei“ essen müssen, sollten sie auf eine ausreichende Zufuhr von Mineralstoffen und Vitaminen unbedingt achten – eine Supplementation von Folsäure und Jod wird sogar „pauschal empfohlen“, da nach DGE „eine ausreichende Zufuhr über die normale Ernährung kaum oder nicht möglich ist“.  

Doch wie viel Jod und Folsäure brauchen Schwangere (und Stillende)? Warum sind die Mikronährstoffe wichtig und können Schwangere auch zu viel davon einnehmen? Fragen, deren Antworten auch für PTA in der Apotheke wichtig sind. 

Warum brauchen bereits Frauen mit Kinderwunsch Folsäure?

Folsäure ist wichtig für Wachstumsprozesse und die Zellteilung. Mangelt es in den ersten Schwangerschaftswochen an Folsäure, kann sich dies negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken: Das Risiko für Fehl- und Frühgeburten steigt, zudem kann es zu schweren Fehlbildungen kommen – typisch sind ein offener Rücken (Spina bifida) durch Neuralrohrdefekte sowie Kiefer- und Gaumenspalten. 

Für einen Verschluss des Neuralrohrs beim Baby ist eine ausreichende Folsäureversorgung notwendig. Der Verschluss findet jedoch bereits vier Wochen nach der Empfängnis statt – wenn die Frauen vielleicht noch nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Daher sollte bereits vor der Schwangerschaft auf eine ausreichende Versorgung mit Folsäure geachtet werden.

Wie viel Folsäure benötigen Frauen mit Kinderwunsch?

Der DGE zufolge sollten Schwangere und Stillende 550 µg beziehungsweise 450 µg Folatäquivalente zuführen (1 µg Folatäquivalent = 1 µg Nahrungsfolat = 0,5 µg synthetische Folsäure). Eine um 400 µg synthetische Folsäure pro Tag ergänzte folatreiche Ernährung bei Kinderwunsch könne das Risiko für Neuralrohrdefekte beim Kind verringern, erklärt auch das BfR. 

Am besten beginnen die Frauen die Supplementation deswegen bei Kinderwunsch und behalten diese bis zum Ende der Stillzeit bei, rät auch Professor Martin Smollich. 

In welchen Nahrungsmitteln steckt viel Folsäure?

Folsäure kommt sowohl in tierischen wie auch pflanzlichen Lebensmitteln vor: Viel Folsäure steckt in Eigelb, Innereien, grünem Gemüse (Spinat, Brokkoli), aber auch Weizenkeimen, Hülsenfrüchten und zudem in Vollkorngetreideprodukten. Manche Lebensmittelhersteller reichern zudem ihre Produkte mit Folsäure an.

Folsäuresupplemente – sind sie ungefährlich?

Dem BfR zufolge sind „bei Supplementierung der empfohlenen Tagesdosis von 400 µg Folsäure vor und im ersten Drittel einer Schwangerschaft … bislang keine negativen Effekte auf die Gesundheit der werdenden Mutter oder des ungeborenen Kindes beobachtet“ worden. 

Es stuft deswegen die Folsäurezufuhr über Nahrungsergänzungsmittel für Schwangere und Stillende als „gesundheitlich unbedenklich“ ein – selbst dann, wenn sich die Frau zusätzlich äußerst folatreich ernähren sollte. 

Vorsicht ist geboten bei Frauen, die Antiepileptika nehmen: Folsäuresupplemente können die Wirksamkeit von Phenytoin, Primidon oder Phenobarbital verringern (das Krampfrisiko steigt), weswegen unter Umständen die Dosis angepasst werden muss. 

Jodmangel kann Rate an Fehl- und Totgeburten erhöhen

Jod ist wichtiger Bestandteil der Schilddrüsenhormone – die wichtigsten enthalten drei (Trijodthyronin, T3) oder sogar vier (Thyroxin, Tetrajodthyronin, T4) Jodatome pro Hormon – viel Jod also für ein funktionsfähiges Schilddrüsenhormon. 

Schilddrüsenhormone regulieren im Körper wichtige Stoffwechselfunktionen, daneben spielen sie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von inneren Organen, Kreislauforganen, Nervensystem und der Muskulatur des Kindes. 

Ein schwerer Jodmangel wirkt sich negativ auf die Kindesentwicklung aus. Das BfR warnt: „Schwerer Jodmangel in der Schwangerschaft ist mit einer erhöhten Rate an Fehl- und Totgeburten sowie Fehlbildungen assoziiert.“

Kindliche Schilddrüse erst ab Hälfte der Schwangerschaft funktionsfähig

Bis zur 18./20. Schwangerschaftswoche – also etwa bis zur Hälfte der Schwangerschaft – ist das Baby jedoch auf die Schilddrüsenhormone der Mutter angewiesen. Denn erst ab diesem Zeitpunkt ist die kindliche Schilddrüse funktionsfähig und beginnt selbst Schilddrüsenhormone zu bilden. 

Da Jod essenzieller Bestandteil der Schilddrüsenhormone ist, ist damit auch „die fetale Schilddrüsenfunktion, aber auch die frühkindliche Entwicklung des zentralen Nervensystems sowie Körperwachstum und -reifung von einer ausreichenden Jodversorgung der Mutter abhängig“, erklärt das BfR.

Warum brauchen Schwangere mehr Jod?

Doch die Mitversorgung des Babys ist nicht der einzige Grund, warum der Jodbedarf von schwangeren Frauen steigt. Durch den erhöhten Grundumsatz benötigt auch die werdende Mutter mehr Jod. 

In der Schwangerschaft steigt zudem das Jodverteilungsvolumen: Zum einen kommt eine weitere Verteilungsmöglichkeit (das plazenta-fetale Kompartiment) hinzu, zum anderen erhöhen sich Blutvolumen, Fettdepots sowie Gesamt- und Extrazellularwasser. Damit existieren mehr Möglichkeiten für Jod, sich im Körper zu verteilen. Gleichzeitig scheidet die Schwangere auch mehr Jod über die Nieren aus. 

In der Schwangerschaft erhöht sich auch der Östrogenspiegel und dadurch das wichtigste Transportprotein für Schilddrüsenhormone im Blut (TBG, Thyroxin-bindendes Globulin). Das bedeutet: Die Schilddrüsenhormone „schwimmen“ weniger frei im Blut und binden stattdessen verstärkt an TBG. Durch die geringere Menge an freien Schilddrüsenhormonen wird die Produktion weiterer Schilddrüsenhormone angeregt – was wiederum Jod benötigt.

Wie viel Jod brauchen Schwangere?

Die wichtige Frage lautet nun: Wie viel Jod benötigen Schwangere denn, um sich und ihr Baby gut zu versorgen? Die DGE rät Schwangeren zu einer täglichen Gesamtzufuhr von 230 µg Jod, Stillende sollten auf etwas mehr – nämlich 260 µg pro Tag – kommen. 

Um diese „Zielwerte“ zu erreichen, empfiehlt die DGE, dass Schwangere und Stillende – nach vorheriger Jodanamnese – 100 µg bis 150 µg Jod pro Tag in Form von Nahrungsergänzungsmitteln einnehmen sollten. 

Daneben unterstützt eine jodreiche Ernährung eine gute Jodversorgung. Dazu zählen neben Meeresfisch mit hohem Jodgehalt auch Milch und Milchprodukte.

Gefährdete Frauen für Jodmangel

Welche Schwangere sollte nun besonders auf ihren Jodhaushalt achten? Gibt es gar „Risikogruppen“ für einen Jodmangel? In der Tat. So können spezielle Ernährungsgewohnheiten, wie bei Veganerinnen der Verzicht auf tierische Produkte, einen Jodmangel fördern. 

Auch Frauen, die hormonale Verhütungsmittel anwenden (bzw. angewendet haben), haben ein erhöhtes Risiko für Jodmangelzustände. Grund hierfür ist, dass die in den Kontrazeptiva enthaltenen Östrogene die Bindungskapazität von Schilddrüsenhormonen an ihr Transportprotein erhöhen (s. o.). 

Nicht vergessen sollte man bei dieser Aufzählung auch Raucherinnen: Das im Rauch enthaltene Thiocyanat hemmt den Jodtransport in die Schilddrüse und damit die Bildung von Schilddrüsenhormonen.

Wie viel Jod kann „zu viel“ werden?

In seinem Beratungsleitfaden geht das BfR nicht nur auf die gewünschte zu supplementierende Jodmenge ein, sondern auch auf eine Gesamtjodzufuhr (Ernährung plus Nahrungsergänzungsmittel), die nicht überschritten werden sollte. Das kann beispielsweise passieren, wenn Schwangere mehrere Nahrungsergänzungsmittel kombinieren und/oder sich zusätzlich sehr jodhaltig ernähren. 

Nahrungsmittel mit einem hohen Jodgehalt sind z. B. Algen- und Tangpräparate. Als „gesundheitlich unbedenklich“ erachtet das BfR tägliche Gesamtjodmengen von bis zu 500 µg.