Aktuelles
5 min merken gemerkt Artikel drucken

Neubewertung für Arzneimittel in drei Jahren: Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln ab August 2022

Titandioxid wird in Arzneimitteln häufig als Farbstoff verwendet. | Bild: neirfy / AdobeStock

Kaugummis, Süßigkeiten und andere Lebensmittel müssen in Zukunft ohne den weit verbreiteten weißen Hilfsstoff Titandioxid auskommen. Die EU-Kommission hat ein Verbot für den Zusatzstoff in Lebensmitteln wegen möglicher Krebsrisiken erlassen. Es tritt den Angaben zufolge in sechs Monaten in Kraft

Der als E171 bekannte Stoff kommt auch in Backwaren, Suppen und Salatsoßen vor. Die EU-Kommission hatte ihren Vorschlag im vergangenen Frühjahr auf Grundlage einer überarbeiteten Empfehlung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) vorgelegt. Die EU-Staaten hatten dem Verbot bereits zugestimmt.

Zur Erinnerung: Wo steckt Titandioxid drin?

  • In Lebensmitteln als Farbpigment E 171 z. B. in Kaugummis, Dragees und Bonbons mit hellen glänzenden oder glatten Überzügen. Auch in Schokolade, Keksen, Käse und hellen Saucen und Nahrungsergänzungsmitteln, wie Magnesium- oder Calciumtabletten.
  • In Kosmetika als CI 77891 z. B. in Zahncremes und vielen Kosmetika, auch in Sonnenschutzmitteln als mineralischer Lichtschutzfilter.
  • Als Weißpigment PW6 in Ölfarben, Wandfarben, Lacken, 
    außerdem in Kunststoffen, Textilien, Photokatalysatoren. Quelle: DAZ 7/2020  

Inverkehrbringen nach dem 7. Februar 2022

Die entsprechende Verordnung von der Europäischen Kommission wurde im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt am 7. Februar in Kraft. In Artikel 2 der Verordnung heißt es, dass bis zum 7. August 2022 Lebensmittel, die vor dem 7. Februar 2022 gemäß den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften hergestellt wurden, weiterhin in Verkehr gebracht werden dürfen. Nach diesem Zeitpunkt dürfen sie bis zu ihrem Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum auf dem Markt bleiben. 

Außerdem steht in Artikel 3 der Verordnung:

Denn wie es in der Begründung der Verordnung heißt, soll Titandioxid (E 171) „auf der Grundlage der wissenschaftlichen Analyse der EMA“ und zur Vermeidung von Arzneimittelengpässen vorläufig auf der Liste der zugelassenen Zusatzstoffe verbleiben. „Während dieser Zeit sollte Titandioxid (E 171) jedoch in die Liste der Farbstoffe aufgenommen werden, die nicht direkt an die Verbraucher verkauft werden dürfen“, heißt es. 

Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr sicher

Vor dem 1. April 2024 soll die EMA dann eine weitere Bewertung von Titandioxid durchführen. Wenn das Ersetzen von Titandioxid (E 171) in Arzneimitteln innerhalb der nächsten drei Jahre nicht erfolgt ist oder eingeleitet wurde, heißt es, sollten nur noch „objektive, nachprüfbare Gründe für die Undurchführbarkeit seiner Ersetzung berücksichtigt werden“.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA war zuvor zu dem Schluss gekommen, dass Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr als sicher angesehen werden kann – insbesondere hinsichtlich einer möglichen Genotoxizität, die jedoch nicht nachgewiesen, sondern nur nicht entkräftet werden konnte. Eine akute Gesundheitsgefahr besteht also nicht.

Pharmaindustrie kennt das Problem 

Dass sich dennoch auch die Pharmaindustrie mit dem Thema auseinandersetzen muss, zeichnete sich schon länger ab. Damals ging es zunächst noch gar nicht um Lebensmittel, sondern um das Einatmen von Titandioxid-Stäuben.

Jetzt heißt es in der Verordnung: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die pharmazeutische Industrie alle Anstrengungen unternimmt, um die Erforschung und Entwicklung von Alternativen, die als Ersatz für Titandioxid (E 171) in Arzneimitteln verwendet werden können, zu beschleunigen und die erforderlichen Änderungen der Bedingungen für die betreffenden Zulassungen vorzulegen.“

BfR: Neubewertung zu Titandioxid und noch offene Fragen

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat am 8. Dezember 2021 eine Neubewertung zu Titandioxid veröffentlicht. Wie es in seiner Stellungnahme erklärt, zieht es „ähnliche Schlüsse wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“. Allerdings betont das BfR, dass für eine abschließende Bewertung noch Wissenslücken bestehen. 

Zum Beispiel sei unklar, „in welchem Ausmaß und auf welche Weise Titandioxid das Erbgut schädigen kann“. Es müssten noch Antworten gefunden werden auf Fragen wie: „Welche Rolle spielen die Teilcheneigenschaften, ihre Größe, Form, kristalline Beschaffenheit? Besteht ein Krebsrisiko?“ Beispielsweise wird zum Wirkmechanismus genotoxischer Effekte „neben der Titandioxid-vermittelten Bildung reaktiver Intermediate (reaktiver Sauerstoff- oder Stickstoff-Spezies (ROS/RNS))“ auch eine unmittelbare Wechselwirkung von Titandioxid-Nanopartikeln mit der DNA diskutiert, wie das BfR erklärt.

Erhöhte Nachfrage in Apotheken?

Das Nachrichtenportal MedWatch hat sich im Dezember 2021 übrigens auch mit dem Thema Titandioxid in Arzneimitteln beschäftigt und beispielhaft einige Präparate unter die Lupe genommen, die Titandioxid als Hilfsstoff enthalten – oder eben nicht. Apotheken könnten also in Zukunft vermehrt mit der Frage nach Titandioxid-freien Arzneimitteln konfrontiert werden.