Deutsche Arzneimittelpreisbindung: 5 Jahre nach dem EuGH-Urteil: Was PTA wissen müssen
Was hat der Europäische Gerichtshof eigentlich entschieden?
Am 19. Oktober 2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass ausländische Versandanbieter sich im Gegensatz zu den öffentlichen Apotheken in Deutschland nicht an die Festpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten müssen. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man wissen, wie Apothekerinnen und Apotheker ihr Geld verdienen.
Wie verdienen Apotheken eigentlich Geld?
Apothekerinnen und Apotheker sind dafür zuständig, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Hier spricht man von einem öffentlichen Versorgungsauftrag. Weil es sich hierbei um eine staatliche Aufgabe handelt, unterliegt dieses Handeln bestimmten Regularien. So müssen sie auch gesetzlich festgelegte Pflichten erfüllen wie beispielsweise das Ableisten von Nacht- und Notdiensten, die Herstellung von Rezepturen und vieles weitere. Die Honorierung dieser Pflichten ist ebenfalls staatlich festgelegt, und zwar in § 78 des Arzneimittelgesetzes (AMG).
Die sogenannte Arzneimittelpreisverordnung regelt die Preisbildung aller verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Deutschland. Der Grundgedanke dabei ist, dass an Patienten das gleiche Arzneimittel in jeder Apotheke zum selben Preis abgegeben wird. Würde es in Apotheken diese „Gleichpreisigkeit“ nicht geben, dann würde sich der Preis von Arzneimitteln willkürlich oder abhängig vom Bedarf immer wieder ändern. Bei einer Pandemie beispielsweise könnte der Preis bestimmter Arzneimittel auf einmal stark in die Höhe schießen. Das ist nicht im Interesse der Gesellschaft und deshalb ist die Honorierung der Apotheker staatlich festgeschrieben. Dieser Arzneimittelpreisbindung unterliegen aber nur verschreibungspflichtige Arzneimittel, sogenannte Rx-Präparate.
Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Für jede Packung Rx, die der Apotheker abgibt, bekommt er also einen bestimmten Preis, der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) gesetzlich festgelegt ist: Das sind 3% vom EK (Einkaufspreis) plus 8,35 Euro. Diese 8,35 Euro sind das sogenannte Fixhonorar, von dem in diesem Zusammenhang auch öfter die Rede ist. Gesetzliche Krankenkassen bekommen auf dieses Honorar noch einen Rabatt, den sogenannten Abschlag. Seit 2015 ist der Abschlag gesetzlich auf 1,77 Euro pro rezeptpflichtigem Fertigarzneimittel festgesetzt. Zur Finanzierung der Nacht- und Notdienste kommen 21 Cent hinzu, die in den Nacht- und Notdienstfonds wandern und auf alle Apotheken pro Dienst verteilt werden.
Was PTA wissen müssen, ist, dass jede Apotheke für die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels dasselbe Fixhonorar bekommt. Bis zum Urteil des EuGH war das auch bei der Belieferung von Rezepten durch sogenannte Versender so. Hat ein Patient also eine ärztliche Verordnung per Post an einen Versender geschickt, bekam er einige Tage später das Präparat zugeschickt – ebenfalls zum festgelegten Preis. Dieses Szenario nennt sich Rx-Versand. Für die ausländischen Versender gilt diese Preisbindung seit dem Urteil des EuGH nicht mehr. Versandanbieter mit Sitz außerhalb Deutschlands müssen sich im Gegensatz zu den öffentlichen Apotheken in Deutschland nicht an die Festpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten und dürfen daher Rabatte geben.
Apothekerschaft setzte sich lange für Rx-Versandverbot ein
Um die daraus resultierenden Probleme zu lösen, setzt sich die Apothekerschaft für ein Versandverbot rezeptpflichtiger Medikamente ein. Der damals amtierende Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) brachte sogar recht schnell einen Gesetzesentwurf ins Spiel. Nach der Bundestagswahl 2016 war das Versandverbot Bestandteil des Koalitionsvertrags, wurde aber nie angegangen mit der Begründung, es sei europarechtlich nicht umsetzbar. 2019 kam letztmals Bewegung in das Thema RxVV, als der Pharmaziestudent Benedikt Bühler über 400.000 Unterschriften für seine Bundestagspetition sammelte. Am 27. Januar 2020 trug Bühler sein Statement zu seiner Petition für die Umsetzung eines Rx-Versandverbots beim Petitionsausschuss des Bundestags vor. In seinem Eingangsstatement wies Bühler insbesondere auf die Arzneimittelsicherheit hin, die bei EU-Versendern nicht kontrolliert werde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte hingegen klar, dass ein solches Verbot keine Option sei, denn die Apothekenschließungen hätten nichts mit dem Versandhandel zu tun. Stattdessen solle über Änderungen im Sozialgesetzbuch eine Grundlage für den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung entstehen.
Apothekenstärkungsgesetz ist in Kraft
Am 15. Dezember 2020 trat das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) und damit ein neues Boni-Verbot, das auch EU-Versender erfassen soll, in Kraft. Sowohl im Apothekengesetz als auch im Sozialgesetzbuch V wird klargestellt, dass die freie Apothekenwahl auch in den Fällen gewahrt bleibt, in denen elektronische Rezepte zum Einsatz kommen. Weder Vertragsärzte noch Krankenkassen dürfen Verordnungen bestimmten Apotheken zuweisen oder Versicherte dahingehend beeinflussen – soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Rechtsgeschäfte oder Absprachen rund ums E-Rezept werden verboten. Ebenso wird klargestellt, dass das Zuweisungsverbot des § 11 ApoG auch für ausländische Versandapotheken gilt – dies ist die Konsequenz aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs, der im April 2018 entschieden hatte, dass das bisherige Verbot sich nur auf inländische Apotheken erstreckt.
EU-Versender dürfen keine Rx-Boni mehr geben
Auch EU-Versender dürfen ihren Kunden in Deutschland keine Rx-Boni mehr gegeben. Denn künftig soll § 129 Abs. 3 SGB V bestimmen: Apotheken dürfen zulasten der GKV verordnete Arzneimittel im Wege der Sachleistung nur abgeben und mit den Krankenkassen abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Besteht diese Rechtswirkung, müssen sie die in der AMPreisVO festgesetzten Preisspannen und Preise einhalten und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren. Verstöße gegen die im Sozialrecht verankerte Preisbindung können weiterhin auch nach dem Heilmittelwerbegesetz (§ 7 HWG) geahndet werden. Damit können nicht nur die Rahmenvertragspartner, sondern auch Wettbewerber gegen Apotheken vorgehen, die den einheitlichen Abgabepreis nicht einhalten.
Die EU-Versender scharren mit den Hufen!
Auch wenn der Start des E-Rezepts in Deutschland vermutlich noch einmal aufgeschoben wird: Die Versender stehen schon jetzt in den Startlöchern mit Kampagnen für die Belieferung der E-Rezepte und gegen die Apotheken vor Ort. Sie dürfen zwar keine Boni auf Rezepte gesetzlich Versicherter geben, ob sie sich daran halten werden, bleibt jedoch abzuwarten. Denn, und diesen faden Beigeschmack musste die Apothekerschaft mit dem VOASG schlucken: Das Rx-Boni-Verbot im SGB V gilt nicht für alle Versicherten. Privatpatienten sind „raus“ und man kann sich denken, mit welcher Marketingpower die Versender dieses Klientel an sich reißen möchten. Und tatsächlich bleiben Zweifel daran, dass man sich an das Rx-Boni-Verbot für GKV-Versicherte halten wird. Zwar steht im Rahmenvertrag, dass, wer sich nicht an die Preisbindung hält, mit hohen Strafen bis hin zum Entzug der Versorgungserlaubnis zu rechnen hat – ob die gesetzlichen Krankenversicherungen dies letztendlich jedoch kontrollieren, verfolgen und sanktionieren werden, bleibt abzuwarten.
Kommentar von Cornelia Neth, PTA, Chefredakteurin PTAheute.de