Rückrufe – was steckt dahinter?: Nahrungsergänzungsmittel verunreinigt mit Ethylenoxid
Gerade neu auf dem Markt, muss Weleda seine Bio-Nahrungsergänzungsmittel „Naturweisheit“ wieder zurückrufen. Unter den Namen „Meine Immunformel“, „Meine Nacht“ und „Meine Vitalquelle“ waren sie im September neu eingeführt worden, im November 2021 soll „Meine Haare, Wimpern & Nägel“ folgen. Allerdings musste die Firma am 8. Oktober nun Chargenrückrufe für ihre Nahrungsergänzungsmittel „Meine Immunformel“ und „Meine Vitalquelle“ veröffentlichen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich Rückstände von Ethylenoxid in den betroffenen Chargen befinden, hieß es.
Aufgrund der mangelnden Vereinbarkeit mit unseren hohen Ansprüchen an die Produktqualität und den Qualitätsgrundsätzen der Weleda AG rufen wir die genannten Chargen aus Gründen des vorsorglichen Verbraucherschutzes zurück.“
Bereits im Juli wurde über einen Rückruf von Abtei-Tabletten mit Magnesium und Calcium berichtet. Grund war die Substanz 2-Chlorethanol, welche gleichwertig zu Ethylenoxid eingestuft wurde und als potenziell gesundheitsschädlich bewertet wird. Ethylenoxid stehe im Verdacht, auch bei geringen Konzentrationen in Lebensmitteln erbgutverändernd und krebserregend zu sein, hieß es.
Ethylenoxid im Lebensmittelbereich seit 1981 verboten
Das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) erklärte im Juli, dass in Deutschland der Einsatz von Ethylenoxid als Pflanzenschutzmittelwirkstoff im Lebensmittelbereich seit 1981 verboten ist (Umsetzung der Richtlinie 79/117/EWG). Drittstaaten würden jedoch weiterhin die Begasung mit Ethylenoxid, zum Beispiel vor dem Schiffsversand, praktizieren. Da Ethylenoxid eine sehr reaktive Verbindung sei, liege es in behandelten oder verarbeiteten Lebensmitteln nur noch in geringer Menge als Ethylenoxid vor, sondern hauptsächlich in Form seines Hauptabbauprodukts 2-Chlorethanol.
Ursache für Verunreinigung nicht ganz klar
Bei Weleda ist die Lage somit einigermaßen klar, denn für die neue Marke „Naturweisheit“ wird mit natürlichen pflanzlichen Quellen geworben. Allerdings erklärte das MLR im Juli auch: „Die Ursache für die nachgewiesenen Gehalte an 2-Chlorethanol in den Nahrungsergänzungsmitteln, bei denen die Gehalte nicht aus pflanzlichen Zutaten herrühren, ist derzeit nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich bei dem nachgewiesenen Gehalt an 2-Chlorethanol um eine Prozesskontaminante aus der Herstellung des Kapsel-/Überzugsmaterials oder um einen Rückstand aus einer Begasung des Kapsel-/Überzugsmaterials mit Ethylenoxid. Aktuell laufen weitere amtliche Untersuchungen zur Ursachenermittlung. Gefragt sind gleichzeitig auch die Unternehmen selbst im Rahmen ihrer Eigenkontrollsysteme zu prüfen, ob ihre Produkte sicher sind und den rechtlichen Vorgaben entsprechen.“
Immer mehr Lebensmittel mit Ethylenoxid verunreinigt
Wie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im September meldete, sind derzeit immer mehr Lebensmittel mit Ethylenoxid belastet. Dabei geht es vor allem um Sesam und Zusatzstoffe wie Johannisbrotkernmehl (E410). Es sei nicht abzusehen, welche Produktgruppen künftig noch betroffen sein könnten, hieß es. Auch Instant-Asianudeln sollen von der Verunreinigung schon betroffen gewesen sein. Bereits seit Herbst 2020 sollen entsprechende Warnmeldungen für Lebensmittel nicht abreißen. Die Verbraucherzentrale erklärt weiter:
Inzwischen gibt es an die 700 Meldungen im europäischen Schnellwarnsystem (RASFF). Dabei beschränken sich die Meldungen nicht mehr nur auf Sesam und sesamhaltige Lebensmittel. Mittlerweile machen Zusatzstoffe, wie Johannisbrotkernmehl (E 410) oder Guarkernmehl (E412), die für die Herstellung von Speiseeis, Fertigmahlzeiten, Milchgetränke, Marmeladen und Joghurts verwendet werden, einen Großteil der Meldungen aus. Auch Nahrungsergänzungsmittel, Gewürzpulver und Pflanzenextrakte (z. B. Moringa) sind betroffen. In bio-zertifizierten Produkten ließen sich ebenfalls Rückstände des Pestizids nachweisen.“
Seit dem 22. September beklagt die Verbraucher-Organisation Foodwatch eine „hohe Dunkelziffer bei Ethylenoxid in Lebensmitteln“. Während in anderen Ländern zum Teil Hunderte Eis-Produkte zurückgerufen wurden, erfolge in Deutschland nur in einer Handvoll Fälle ein öffentlicher Rückruf, heißt es dort.
Risiko schwer einzuordnen?
Im August wurde bei „Tagesschau.de“ berichtet, dass es schwierig sei, das Risiko einzuordnen. So hieß es dort: „In der EU dürfen keine Lebensmittel verkauft werden, die mehr als 50 Mikrogramm Ethylenoxid enthalten. In den USA liegt der Grenzwert bei 7.000 Mikrogramm. Laut dem Bundesamt für Risikobewertung (BfR) ist die Datenlage zur Wirkung des Stoffes widersprüchlich und teilweise unvollständig.“
Das BfR schrieb allerdings in seiner gesundheitlichen Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen in Sesamsamen im September 2021 auch: „Ethylenoxid ist erbgutverändernd und krebserzeugend. Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gibt es somit nicht, und Rückstände des Stoffes in Lebensmitteln sind grundsätzlich unerwünscht.“ Auch für das vorwiegend gefundene Abbauprodukt 2-Chlorethanol gebe es Hinweise aus Tierstudien auf eine erbgutverändernde Wirkung.
Es ist also nachvollziehbar, wenn Nahrungsergänzungsmittelhersteller derzeit (vorsorglich) ihre Produkte zurückrufen.