Was ist dran an Kijimea Reizdarm Pro?
„Oft Durchfall, Bauschmerzen, Blähungen – das volle Programm. Aber dann hat mir mein Arzt das neue Kijimea® empfohlen. Meine Darmbeschwerden sind wie weg“, wirbt Synformulas für sein Kijimea® Reizdarm Pro sehr präsent im TV. Kijimea® Reizdarm Pro sei die „intelligente Weiterentwicklung“ von Kijimea® Reizdarm – und sei „40 Prozent wirksamer“ (bezogen auf die Ansprechrate). Belegt sieht Synformulas seine Aussagen durch eine Studie, die der Hersteller selbst formuliert hat und die in „The Lancet Gastroenterology & Hepatology“ im April 2020 veröffentlicht wurde. Zur Erklärung: Kijimea® Reizdarm Pro enthält den hitzeinaktivierten Bakterienstamm Bifidobacterium bifidum HI-MIMBb75. Das Präparat ist nicht als Arzneimittel zugelassen und ist als Medizinprodukt im Verkehr.
Was ist dran an den Versprechen?
In der im „The Lancet“ veröffentlichten Arbeit wurden 443 Patienten mit Reizdarmsyndrom (IBS, Irritable Bowel Syndrome) per Zufall auf zwei Gruppen verteilt: 222 Patienten erhielten über acht Wochen Placebo, 221 Patienten nahmen einmal täglich 1 x 109 hitzeinaktivierte Bifidobakterien (entspricht zwei Kapseln Kijimea® Reizdarm Pro). Teilnehmen durften Patienten, bei denen nach den ROM-III-Kriterien (siehe Infobox) Reizdarm diagnostiziert wurde und die während der zweiwöchigen Einleitungsphase der Studie an mindestens zwei Tagen an Bauchschmerzen litten. Die Studie lief doppelblind, weder Patienten noch Versuchsleiter wussten, welcher Patient Placebo und welcher Bifidobakterien erhielt.
ROM-Kriterien
Nach den ROM-III-Kriterien von 2006 liegt ein Reizdarmsyndrom vor, wenn über die letzten drei Monate an mindestens drei Tagen im Monat Bauchschmerzen (abdominelle Schmerzen) bestehen, die mindestens zwei der nachfolgenden Bedingungen erfüllen:
- Sie bessern sich durch Defäkation,
- sie beginnen in Zusammenhang mit einer veränderten Stuhlform,
- sie beginnen in Zusammenhang mit einer veränderten Stuhlfrequenz.
Bereits 2016 wurden die ROM-III-Kriterien durch die ROM-IV-Kriterien abgelöst. Laut Pschyrembel sind diagnostische Kriterien des RDS:
- Wiederholte Bauchschmerzen mit mindestens 2 der folgenden Kriterien assoziiert
- Zusammenhang mit der Stuhlentleerung
- Änderung der Stuhlfrequenz
- Änderung der Stuhlkonsistenz
- Beschwerden an mindestens 1 Tag/Woche in den letzten 3 Monaten
- Beginn der Beschwerden vor > als 6 Monaten
Ziel der Studie war ein kombinierter Endpunkt: Die Patienten müssen in mindestens vier der acht Einnahmewochen eine 30-prozentige Verbesserung ihrer Bauchschmerzen (bezogen auf den Ausgangswert) und eine „gewisse Besserung“ (adequate relief) ihrer Reizdarmsymptome verspüren. Bestimmt werden die Veränderungen anhand von Skalen. Dieses gemeinsame Ziel wurde durchaus erreicht, und zwar von 74 von 221 Patienten, die Bifidobakterien eingenommen hatten (34 Prozent) und von 43 von 222 Patienten unter Placebo (19 Prozent) – ein signifikanter Vorteil für die Bakteriengruppe (das bedeutet, die Unterschiede sind nicht allein durch Zufall erklärbar).
Gut zu wissen:
Kijimea ist laut Synformulas Swahili und bedeutet „Bakterium“.
Getrennte Betrachtung der Endpunkte
Das Arzneitelegramm hat nun die kombinierten Endpunkte „zerlegt“ – und sich „Bauchschmerzen“ und „Besserung der Reizdarmsymptome“ separat angeschaut. Die Bauchschmerzen besserten sich unter Bifidobakterien um 1,29 Punkte und unter Placebo um 0,93 Punkte auf einer Skala von 0 bis 10 und ausgehend von 4 Punkten zu Beginn der Studie, so die Analyse des AT. Reizdarmsymptome besserten sich dem Arzneitelegramm zufolge unter Bifidobakterien auf 3,08 und unter Placebo auf 3,44, wobei 1 als Wert für „sehr deutliche Besserung“ steht, 7 als Wert für „sehr deutliche Verschlechterung“. Das Fazit im Arzneitelegramm: „Im Mittel sind die Beschwerden zudem nicht ‚wie weg‘, sondern – sowohl unter Verum als auch unter Placebo – nur ‚etwas gebessert‘“.
Kritik übt das Arzneitelegramm auch an der Aussage, dass Kijimea® Reizdarm Pro „40 Prozent wirksamer“ sei als Kijimea® Reizdarm. Die ganze Analyse des AT können Sie hier nachlesen.
Synformulas droht mit Rechtsanwälten
Die Ergebnisse seiner Recherche veröffentlichte das eigenen Angaben zufolge neutrale, unabhängige und anzeigenfreie Arznei-Telegramm im September unter der Rubrik „Vorsicht Desinformation“. Eine Einschätzung, mit der Hersteller Synformulas offenbar nicht einverstanden ist: Der „Anbieter droht dem Arznei-Telegramm“, berichtet das Arznei-Telegramm am 15. Oktober, und Synformulas habe eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, die sich in einem mehrseitigen Brief an das Arznei-Telegramm gewendet hat. Über Entwicklung und Ausgang dieses Verfahrens will das Arznei-Telegramm berichten.
Zur Erinnerung: Was ist das Arznei-Telegramm?
Das Arznei-Telegramm ist eine medizinische Fachzeitschrift, die eigenen Angaben zufolge „Informationen für Ärzte und Apotheker neutral und anzeigenfrei“ bereitstellt. Sie finanziert sich rein durch den Verkauf von Abonnements. Dadurch dass das AT auf Werbeeinnahmen durch Anzeigen in seiner Zeitschrift und dem Internetportal verzichtet, sieht es seine Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie und anderen Interessengruppen gewahrt.