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Zum Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar: Orphan Drugs – Medikamente gegen seltene Erkrankungen

Akromegalie, Sarkoidose und Transthyretin-Amyloidose – diese Erkrankungen zählen zu den Orphan Diseases. | Bild: H_Ko / AdobeStock

Der Begriff „Orphan Disease“ setzt sich aus den englischen Wörtern „orphan“ („Waise“) und „disease“ („Erkrankung“) zusammen und steht für eine „seltene Erkrankung“. Doch was haben ein „Waisenkind“ und eine seltene Erkrankung gemeinsam?

Die Verbindung ist einfach: Wie auch bei Waisenkindern hat sich um diese Erkrankungen früher niemand richtig gekümmert. Die Erkrankungen waren wie elternlose Kinder „verwaist“. Ende 2018 konnten gerade einmal 131 der rund 8.000 seltenen Erkrankungen in der EU mit sogenannten „Orphan Drugs“ behandelt werden.

Mangel an Fachärzten und geeigneten Therapien

Bis eine seltene Erkrankung diagnostiziert wird und entsprechende Fachärzte gefunden sind, ist es oft ein weiter Weg für die Patienten. Hinzu kommt, dass es in vielen Fällen keine geeignete Therapie gibt. 

Für Pharmahersteller ist es in der Regel nicht lukrativ, Arzneimittel für die Behandlung seltener Erkrankungen unter den üblichen Marktbedingungen zu entwickeln. Dadurch dass nur sehr wenige Menschen an der Erkrankung leiden, benötigen auch nur sehr wenige Menschen das Präparat – der Markt ist überschaubar bis winzig, sodass in aller Regel der Verdienst an dem Arzneimittel gering ist. Die Kosten für die Erforschung und Entwicklung dieses Medikamentes sind jedoch genau so hoch wie bei anderen Arzneimitteln.

Orphan Drugs – besonderer Status für besondere Arzneimittel

Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde im Jahr 1999 die EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden (EG / 141 / 2000) verabschiedet, die Anfang 2000 in Kraft trat. Darin wurde festgelegt, welche Kriterien ein Arzneimittel erfüllen muss, um den Orphan-Drug-Status zu erhalten. Zudem hat man wirtschaftliche Anreize für Pharmafirmen definiert, damit sie Arzneimittel für seltene Erkrankungen entwickeln.

Mit diesem Maßnahmenpaket übernahm die Europäische Union allerdings keine Vorreiterrolle: Den Anfang machten die USA im Jahr 1983 mit dem Orphan Drug Act. In den 1990er-Jahren folgten Singapur, Japan und Australien dem US-amerikanischen Beispiel.

Anreize für Unternehmen

Damit ein Wirkstoff als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen wird, stellt der Hersteller bereits während der Entwicklung des Arzneimittels einen entsprechenden Antrag. Darin muss er unter anderem darlegen, dass sein Arzneimittel die in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllt. Der Antrag wird vom Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) geprüft.

Erhält das Medikamentenprojekt den Orphan-Drug-Status, kann das Unternehmen von einigen Vorteilen profitieren, beispielsweise von niedrigeren Zulassungsgebühren und bevorzugtem Zugang zu nationalen Förderprogrammen. Auch die wissenschaftliche Beratung durch die EMA kann gebührenfrei in Anspruch genommen werden. Dort wird der pharmazeutische Unternehmer beispielsweise bei der Planung klinischer Studien unterstützt oder darin, einen Zulassungsantrag zu erstellen.

Wie funktioniert die Zulassung als Orphan Drug?

Die Durchführung klinischer Studien ist bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen gar nicht so einfach. Beispielsweise können die Studien aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen nur mit relativ wenigen Patienten durchgeführt werden, die mitunter weltweit gesucht werden müssen. Daher müssen spezielle Studiendesigns gewählt bzw. entwickelt werden, damit der Wirksamkeitsnachweis trotz geringer Teilnehmerzahl statistisch signifikant ist und die Ergebnisse eine entsprechende Aussagekraft erhalten. Denn Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit müssen auch bei Orphan Drugs gegeben sein, damit das Medikament zugelassen wird.

Die Bewertung der Zulassungsunterlagen eines Arzneimittels für seltene Leiden findet in einem zentralisierten Verfahren durch das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMA statt. Nach positiver Nutzen-Risiko-Bewertung und Überprüfung des Zusatznutzens spricht das CHMP eine Empfehlung aus. Erteilt wird die Zulassung durch die Europäische Kommission. 

In einem zentralen Zulassungsverfahren wird ein Arzneimittel also mit einem Antrag in allen EU-Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums zugelassen.

Weiterer Anreiz: Zehn Jahre Marktexklusivität

Mit der Zulassung als Orphan Drug wird dem Hersteller neben den bereits genannten Vorteilen eine zehnjährige Marktexklusivität gewährt: In dieser Zeit wird kein anderes, ähnliches Arzneimittel für dasselbe Anwendungsgebiet zugelassen. Das schützt den Hersteller vor möglichen Präparaten der Konkurrenz, die sich nur unwesentlich von der chemischen Struktur der auf dem Markt befindlichen Orphan Drugs unterscheiden. Diese Regelung wird allerdings unter anderem dann aufgehoben, wenn das Arzneimittel wirksamer oder verträglicher ist als das bereits zugelassene oder dabei hilft, einen Versorgungsengpass zu überwinden.

Nach fünf Jahren auf dem Markt wird überprüft, ob das Medikament noch den zugrunde liegenden Kriterien für Arzneimittel zur Behandlung seltener Leiden entspricht. Ist das nicht der Fall, wird die Marktexklusivität auf sechs Jahre reduziert.

Zusatznutzen bereits durch die Zulassung belegt

Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V muss ein pharmazeutischer Unternehmer, wenn er ein Arzneimittel mit neuem Wirkstoff in Deutschland auf den Markt bringt, einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie belegen. Die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der auch über den Zusatznutzen entscheidet. Das Ergebnis ist die Entscheidungsgrundlage dafür, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für das neue Arzneimittel mit neuem Wirkstoff zahlt.

Ein Sonderfall sind die Orphan Drugs: Für diese Medikamente gilt der medizinische Zusatznutzen bereits durch die Zulassung als belegt. Auf einen Nachweis des therapeutischen Nutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie wird somit verzichtet; lediglich das Ausmaß des Zusatznutzens ist nachzuweisen. Diese Regelung gilt für Orphan Drugs, deren Umsatz in den letzten zwölf Kalendermonaten nicht mehr als 50 Millionen Euro betragen hat. Bei einem höheren Umsatz muss das Medikament also wie andere Arzneimittel mit neuem Wirkstoff die klassische frühe Nutzenbewertung durchlaufen.