Was man über Epilepsie wissen sollte
Die Epilepsie bezeichnet keine einheitliche Erkrankung. Sie umfasst vielmehr eine Gruppe unterschiedlicher Erkrankungsformen. Allen gemeinsam ist jedoch, dass von Zeit zu Zeit Anfälle auftreten – meist ohne erkennbaren Anlass.
Circa 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung leiden unter Epilepsie. Schätzungsweise 5 Prozent aller Menschen bekommen im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall, zum Beispiel wegen einer Dehydrierung, einer Verletzung oder aufgrund von hohem Fieber im Kleinkindalter (Fieberkrampf). Nur ein Teil dieser Menschen entwickelt aber tatsächlich die Krankheit Epilepsie, erleidet also wiederholt Anfälle.
Zur Erinnerung: Wie entsteht ein epileptischer Anfall?
Bei der Epilepsie handelt es sich um eine neurologische Krankheit. Ein epileptischer Anfall wird dadurch hervorgerufen, dass sich ganze Verbände übererregbarer Nervenzellen plötzlich synchron entladen („Gewitter im Kopf“). Das Gleichgewicht zwischen erregenden Neurotransmittern (v. a. Glutamat) und hemmenden Neurotransmittern (v. a. Gamma-Amino-Buttersäure = GABA) ist gestört.
Klassische Antiepileptika (z. B. Lamotrigin, Valproinsäure) erhöhen die Entladungsschwelle der Neuronen und können damit Anfälle verhindern. Zwei Drittel der mit Antikonvulsiva behandelten Patienten werden anfallsfrei. Epilepsiechirurgie, Vagusnerv- oder Hirnstimulation sind weitere Therapieverfahren.
Ursache der Epilepsie häufig unbekannt
Julius Caesar, Napoleon Bonaparte und Vincent van Gogh haben eines gemeinsam: Sie litten an Epilepsie („Fallsucht“). Solche berühmten Patienten widerlegen wohl am besten ein altes Vorurteil: Epilepsie hat nichts mit Geistesschwäche zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, bei der es unkontrolliert zu synchronen Entladungen von größeren Nervenzellverbänden in bestimmten Hirnarealen kommt.
In vielen Fällen kennt man die Ursache für das Anfallsleiden jedoch nicht. Man spricht dann von idiopathischer Epilepsie. Genetische Veranlagung kann hierfür eine Rolle spielen.
Bei anderen Betroffenen lässt sich die Erkrankung auf eine bestimmte Ursache zurückführen, etwa eine Hirnschädigung während der Geburt, Durchblutungsstörungen im Gehirn, eine frühere Kopfverletzung, Hirntumore oder Alkoholmissbrauch.
Aber: Eine Epilepsie ist keine geistige Behinderung. Allerdings gibt es – meist genetisch bedingte – Formen der Hirnschädigung, die auch mit epileptischen Anfällen verbunden sind. Eine Epilepsie geht außerdem nicht zwangsläufig mit kognitiven Störungen, also Beeinträchtigungen in den Bereichen Konzentration, Gedächtnis, Lernen und Intelligenz, einher. Allerdings ist das Risiko für solche Beeinträchtigungen im Rahmen einer Epilepsie erhöht.
Manche kognitiven Störungen treten nur vorübergehend nach einem Anfall auf. Aber auch zusätzliche angeborene oder erworbene Erkrankungen sind mögliche Ursachen für Hirnleistungseinbußen bei Epilepsie-Patienten. Darüber hinaus können Antiepileptika als Nebenwirkung kognitive Funktionen beeinträchtigen.
Epilepsie: Diese Anfallsformen gibt es
Die Epilepsie zeigt sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Je nachdem, welche Gehirnareale von den abnormen elektrischen Entladungen der Nervenzellen betroffen sind, verlaufen epileptische Anfälle unterschiedlich. Grundsätzlich unterscheidet man folgende Hauptgruppen.
Das sind zum einen fokale Anfälle, die an einem begrenzten Teil des Gehirns auftreten. Sie können mit Bewusstseinsstörung einhergehen (häufigste Anfallsform bei Erwachsenen) oder bei erhaltenem Bewusstsein und mit meist nur lokal begrenzten Muskelzuckungen, Missempfindungen, Sprachstörungen etc. ablaufen.
Zum anderen gibt es generalisierte Anfälle, die von Anfang an große Teile des Gehirns betreffen und mit Bewusstseinsverlust verbunden sind. Es kommt zu Stürzen, zum Versteifen der Muskulatur, zu kurzen Atemaussetzern und zu anschließenden Zuckungen am ganzen Körper mit nachfolgender starker Erschöpfung („Grand-Mal-Anfall“). Die Verletzungsgefahr ist hierbei groß.
Bei manchen Menschen mit Epilepsie tritt ein solcher Anfall spontan und ohne erkennbaren Auslöser auf. Andere wiederum reagieren auf individuell ganz unterschiedliche Auslöser mit einem Anfall. Das können etwa Schlafmangel, Alkohol, Hormonschwankungen, flackerndes Licht, Videospiele etc. sein.
Dagegen ist eine weitere Anfallsform – die sogenannte Absence – für Laien oft gar nicht zu erkennen. Betroffene verfallen in eine kurze Bewusstseinspause, verbunden mit leerem Blick und eventuell stereotypen Bewegungen (z. B. Blinzeln, Grimassieren). Danach nehmen sie übergangslos ihre vorherige Tätigkeit wieder auf.
Erste-Hilfe-Maßnahmen bei einem epileptischen Anfall mit Bewusstseinsstörung:
Am wichtigsten ist es, anfallsbedingte Verletzungen zu verhindern. Deshalb:
- Den Betroffenen aus etwaigen Gefahrenzonen wie Treppennähe, Straßenverkehr etc. bringen, scharfkantige Möbel entfernen, evtl. Brille abnehmen und etwas Weiches unter den Kopf schieben.
- Nicht versuchen, krampfende Gliedmaßen festzuhalten, festgehaltene Gegenstände mit Gewalt zu entfernen oder die Zähne auseinanderzubringen.
- Kleidung lockern, um die Atmung zu erleichtern.
- Möglichst während der gesamten Anfallsdauer beim Betroffenen bleiben. Ruhe bewahren. Ein epileptischer Anfall hört in der Regel von selbst wieder auf und schädigt das Gehirn nicht. Nach dem Anfall kann der Betroffene allerdings eine Zeit lang verwirrt sein.
- Wenn der Betroffene nach dem Anfall schläft, ihn in eine stabile Seitenlage bringen (um Speichelabfluss zu ermöglichen).
- Dauert der Anfall länger als 5 bis 10 Minuten oder treten mehrere Anfälle hintereinander auf, Notruf absetzen.
Bei Epilepsie: Medikamentöse Therapie zur Anfallsvermeidung
Häufig manifestiert sich eine epileptische Erkrankung bereits in jungen Jahren. Damit ein Kind dadurch nicht zu stark in seinen Möglichkeiten (Spielen, Sport etc.) sowie seiner schulischen und sozialen Entwicklung beeinträchtigt wird, ist es wichtig, dass frühzeitig behandelt wird.
Antiepileptika (Antikonvulsiva) wie zum Beispiel Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Pregabalin und Valproinsäure erhöhen die Krampfschwelle im Gehirn, indem sie Ionenkanäle bzw. die Konzentration von Neurotransmittern beeinflussen. Antiepileptika wirken aber nur symptomatisch. Sie verhindern also Anfälle, können die Epilepsie aber nicht heilen.
Antikonvulsiva nicht einfach absetzen
Patienten sollten ihre Antikonvulsiva keinesfalls eigenmächtig absetzen, auch wenn eine Anfallsfreiheit dazu verleiten könnte. Bei einem plötzlichen Absetzen besteht die Gefahr, dass schwere Entzugsanfälle auftreten bis hin zu einem sogenannten Status epilepticus, der lebensgefährlich ist. Das Medikament kann nur unter ärztlicher Kontrolle langsam ausgeschlichen werden.
Häufige Nebenwirkungen von Antiepileptika sind Schwindel, Müdigkeit und Ataxie (Störungen der Koordination von Muskelbewegungen). Arzneimittelwechselwirkungen, zum Beispiel mit hormonellen Kontrazeptiva und Immunsuppressiva, sind möglich.
Regelmäßig sollten die Blutwerte kontrolliert werden. Bei einigen Wirkstoffen, insbesondere Valproinsäure, ist während einer Schwangerschaft dringend Vorsicht geboten.
Gut zu wissen: Appetitzügler als Antiepileptikum
Es gibt viele verschiedene Arten von Epilepsie. Eine der sehr seltenen ist das Dravet-Syndrom (= schwere myoklonische Epilepsie des Kindesalters). Typischerweise macht es sich im Alter von 6 bis 12 Monaten erstmals bemerkbar.
Die epileptischen Anfälle treten oft im Zusammenhang mit Fieber auf. Sie dauern meist ungewöhnlich lange (mehr als 20 Minuten) und können mehrmals monatlich wiederkehren. Das Dravet-Syndrom kann mit schweren Entwicklungsstörungen einhergehen.
Die Behandlung dieser Epilepsieform ist sehr schwierig. Seit 2021 gibt es eine neue Therapie-Option: Fenfluramin (Fintepla®) steht bei Kindern ab 2 Jahren als Zusatzmedikation zu anderen Antiepileptika zur Verfügung.
Fenfluramin unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Es wurde im Jahr 1997 in seiner damaligen Indikation als Appetitzügler wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Die Rezeptbelieferung in der Apotheke ist nur bei vorliegender Verordner-ID möglich.
Chirurgie als Therapiealternative bei Epilepsie
Ungefähr 30 Prozent aller Epilepsie-Patienten werden durch eine medikamentöse Behandlung nicht anfallsfrei oder erleiden schwere Nebenwirkungen. Für diese Patientengruppe kann die Epilepsiechirurgie eventuell eine Therapiealternative sein.
Hierbei wird der Anfallsherd im Gehirn chirurgisch entfernt. Allerdings entschließen sich jährlich nur rund 500 Patienten zu einer solchen Option. Sie kann mit gravierenden Begleiterscheinungen wie Lähmungen oder kognitiven Einbußen einhergehen.
Was die Zukunft bringen könnte
Große Hoffnungen setzt man auf zukünftige Möglichkeiten der Gentherapie. Hierbei könnten etwa mutierte Genabschnitte in den betroffenen Neuronen verändert oder ausgetauscht werden.
Einen interessanten gentherapeutischen Ansatz verfolgen Forscher aus Berlin und Innsbruck: Ein spezielles Gen wird in die Nervenzellen der anfallsauslösenden Hirnregion eingeschleust. Dieses Gen veranlasst die Produktion von Dynorphin, einer körpereigenen Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützt. Diese Behandlungsform ist aber noch im Tierversuchsstadium. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V.; Deutsche Epilepsievereinigung e.V.; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN); Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN); Charité – Universitätsmedizin Berlin; I. Milek: Das große PTAheute Handbuch, WVG ;Epilepsiezentrum Freiburg
Tag der Epilepsie am 5. Oktober
Die Krankheit Epilepsie ist seit jeher mit vielen Vorurteilen behaftet. Die Deutsche Epilepsievereinigung hat daher im Jahr 1996 den „Tag der Epilepsie“ ins Leben gerufen.
Er findet jährlich am 5. Oktober statt und soll zu einem besseren Verständnis der Erkrankung beitragen. Das diesjährige Motto lautet: „Epilepsie trifft Lebensplan“. Die bundesweite Zentralveranstaltung findet am 5. Oktober in Frankfurt am Main statt.