Verspätete zweite Shingrix®-Impfung
Shingrix® ist knapp. Seit der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im März dieses Jahres entschied, den Totimpfstoff gegen Gürtelrose in die Schutzimpfungs-Richtlinie aufzunehmen und das Bundesgesundheitsministerium dem zustimmte, sodass Shingrix® ab 1. Mai 2019 Kassenleistung wurde, kämpft Hersteller GSK (Glaxo Smithklein) mit der Lieferfähigkeit.
Zwei Dosen nötig
Für einen ausreichenden Impfschutz bedarf es zweier Dosen, am besten verabreicht im Abstand von zwei bis sechs Monaten. Dieser Impfabstand sollte laut den Impfexperten der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) eingehalten werden, da sonst die Schutzdauer verringert sein könnte. „Beträgt der Abstand zwischen der 1. und der 2. Impfung mehr als 6 Monate, soll die 2. Impfung schnellstmöglich verabreicht werden. Eine verspätete Impfung kann dazu führen, dass der Impftiter nach Beendigung der Impfserie niedriger ausfällt und die Schutzdauer verringert ist“, erklären die Impfexperten in einem Faktenblatt zur Gürtelrose-Impfung.
Zur Erinnerung
Der Impftiter gibt Rückschlüsse auf die Antikörperkonzentrationen. Man leitet davon unter anderem Aussagen über den Schutz vor Gürtelrose ab.
Bereits einmal Shingrix-geimpfte Patienten bevorzugen
Bis GSK den Shingrix®-Engpass überwunden hat, empfiehlt die STIKO, dass Ärzte den knappen Impfstoff zunächst Patienten verabreichen, die bereits eine Impfdosis mit Shingrix® erhalten haben. Erst wenn diese Patienten versorgt sind, sollten ungeimpfte Patienten eine Erstdosis Shingrix® erhalten.
Lieferengpass gefährdet reguläre Zweitdosis
Allerdings ist selbst mit diesem bevorzugten Impfschema nicht gesichert, dass tatsächlich alle Patienten, die bereits einmal Shingrix®-geimpft sind, ihre zweite Impfung innerhalb der vorgesehenen Zeit verabreicht bekommen können. Denn auch nicht jede Zweitdosis innerhalb der vorgesehenen Zeit scheint gesichert. Was dann? Die STIKO empfiehlt, „die 2. Impfung schnellstmöglich“ zu applizieren. Doch wie gut schützt Shingrix® bei verspäteter zweiter Dosis dann noch vor Herpes Zoster (Gürtelrose)?
Zulassungsstudien untersuchten nur zweimonatiges Impfschema
Daten zur klinischen Wirksamkeit von Shingrix® nach verspäteter Dosis gibt es nicht. In den Zulassungsstudien erhielten die Patienten die Gürtelrose-Teilimpfungen im Abstand von zwei Monaten. Somit lassen sich aus diesen Untersuchungen keine Informationen ziehen, wie wirksam Shingrix® ist, wenn die zweite Dosis nach mehr als sechs Monaten gegeben wird. Allerdings gibt es eine kleinere Studie, in der Shingrix® neben dem zweimonatigen und dem sechsmonatigem auch im zwölfmonatigen Impfabstand geimpft wurde und sodann die jeweiligen Antikörperkonzentrationen nach den unterschiedlichen Impfabständen bestimmt wurden.
Antikörperkonzentration und Schutz vor Gürtelrose
Wichtig ist hierbei, dass die an der Antikörperkonzentration gemessene Immunantwort nicht identisch mit der klinischen Wirksamkeit des Impfstoffs ist, die die Frage stellt: Wie viele Patienten erkranken unter Placebo und unter welchem Impfschema an Herpes Zoster? Doch soll die Antikörper-Erhöhung nach Impfung mit dem Schutz vor Zoster korrelieren.
Insgesamt nahmen 354 Patienten (Alter mindestens 50 Jahre) an der Studie teil. Sie wurden per Zufallsprinzip in drei Gruppen aufgeteilt (randomisiert) und erhielten je zwei Dosen Shingrix® im Abstand von zwei, sechs oder zwölf Monaten. Als Maß für den Gürtelroseschutz wurden die Antikörperkonzentrationen herangezogen. Diese wurden jeweils vor der ersten Gabe und einen Monat nach der zweiten Impfdosis bestimmt. Der Impfstoff besteht aus Glykoprotein E, einem Hüllprotein des Varizella-Zoster-Virus. Folglich wurden die Antikörperkonzentrationen gegen dieses Glykoprotein-E (gE) bestimmt.
Ausreichende Immunität auch nach zwölfmonatiger Impfung
Die Wissenschaftler interessierte also: Erreicht man mit allen Impfschemata ausreichende Immunität (Schutz vor Gürtelrose) und wenn ja, ist dieser Schutz für alle drei Impfschemata vergleichbar gut? Dabei gingen sie von einer ausreichenden Immunität aus, wenn 60 Prozent der Teilnehmer (60 von 100) nach der zweiten Antikörperbestimmung vierfach erhöhte Antikörperspiegel hatten. Dies wurde mit allen drei Impfschemata erreicht: Einen Monat nach der zweiten Dosis zeigten 96,6 Prozent der Patienten, die mit dem zweimonatigem Schema geimpft worden waren, eine ausreichende Immunität. Beim Sechs-Monate-Impfschema waren es 96,5 Prozent, und beim Zwölf-Monate-Impfschema waren 94,5 Prozent der Patienten ausreichend immun.
Impfabstand: Sechs Monate ist zwei Monaten nicht unterlegen
Allerdings: Vergleicht man die Impfungen im Zweimonatsabstand jeweils mit den Impfungen im Abstand von sechs und zwölf Monaten, so war nur das sechsmonatige dem zweimonatigen Impfschema nicht unterlegen. Für den Impfabstand von zwölf Monaten wurde die Nichtunterlegenheit verfehlt. Ob sich das tatsächlich klinisch auswirkt, ist jedoch nicht klar. So bewerten auch die Autoren des Arzneitelegrammes (deutsche medizinische Fachzeitschrift, werbefrei und somit eigenen Aussagen zufolge neutral und unabhängig von der Pharmaindustrie): „Die Unterschiede in den Antikörperkonzentrationen zwischen den Schemata mit sechs- beziehungsweise zwölfmonatigem Impfabstand sind gering, die klinische Relevanz der Differenzen unklar.“
In allen drei Impfschemata zeigten sich je mindestens 35,8-fach erhöhte gE-Antikörperspiegel bei der zweiten Messung (zur Erinnerung: gemessen einen Monat nach der zweiten Impfung). Noch später, zwölf Monate nach der jeweils zweiten Dosis, war der Antikörperspiegel immer noch 11,6-mal höher als vor der Impfung.
Besser spät als nie
Auch wenn die gemessenen Antikörperkonzentrationen am höchsten bei einem zweimonatigen Impfschema sind, zeigten auch Patienten mit zwölfmonatigem Impfabstand eine Erhöhung der Antikörperkonzentrationen verglichen mit ihren Ausgangswerten. „Aufgrund dieser Datenlage sollte auf die zweite Shingrix®-Dosis auch im Falle einer Verspätung nicht verzichtet werden“, lautet das Fazit der Arzneitelegramm-Autoren.