Iberogast®: Ein Fall für die Staatsanwaltschaft?
Nach einem Bericht des Handelsblattes vom vergangenen Montag ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln, ob Bayers schöllkrauthaltiges Arzneimittel Iberogast® ursächlich für Todesfälle und Erkrankungen sein könnte. Die Behörde habe bereits ein Gutachten zu dieser Kausalitätsfrage in Auftrag gegeben und ermittle „gegen unbekannt“, heißt es. Laut Handelsblatt steht der Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der Körperverletzung im Raum. Doch die Staatsanwaltschaft selbst äußert sich bislang nicht – weder wollte sie sich gegenüber dem Handelsblatt erklären noch reagierte sie bislang auf Anfragen von DAZ.online.
Seit 2005 Verdacht auf leberschädigende Wirkung
Iberogast® steht schon seit längerem in der Kritik. Schon 2005 hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Stufenplanverfahren zu dem damals noch von der Firma Steigerwald vertriebenen Arzneimittel eingeleitet, weil das darin enthaltene Schöllkraut im Verdacht steht, leberschädigende Wirkungen zu haben. Das Verfahren endete im April 2008 mit einem Bescheid, der die Zulassung für Arzneimittel mit einer Tagesdosierung von mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloiden widerrief. Für Präparate mit einer Tagesdosierung von 2,5 µg bis höchstens 2,5 mg Gesamtalkaloiden wurden zudem Änderungen der Produktinformationen im Hinblick auf eine mögliche leberschädigende Wirkung angeordnet. Unter anderem sollte aufgenommen werden, dass das Präparat in Schwangerschaft und Stillzeit nicht angewendet werden darf.
Bayer hält dennoch an Schöllkraut fest
Doch der Hersteller legte seinerzeit Widerspruch gegen diesen Bescheid ein und viele Jahre geschah nichts. Erst 2017, nach weiteren Fallberichten zu Nebenwirkungen, wurde das BfArM wieder aktiv und erließ einen Widerspruchsbescheid, mit dem Bayer, zu dessen Portfolio Iberogast® seit 2013 gehört, erneut zur Änderung der Fach- und Gebrauchsinformation aufgefordert wird. Bayer erhob daraufhin Klage – entschieden wurde über diese noch nicht.
Nachdem 2018 ein neuer Fall von Leberversagen mit Todesfall im Zusammenhang mit Iberogast® bekannt wurde, hat Bayer die vom BfArM angeordneten Änderungen dann doch umgesetzt. Zugleich hat das Unternehmen immer wieder betont, dass es an seinem Iberogast® festhält – es verwies stets auf ein „positives Nutzen-Risiko-Verhältnis von Iberogast® in den zugelassenen Indikationen“. Obwohl die Firma sogar eine schöllkrautfreie Variante in petto hat, hält sie lieber an der altbekannten Mischung fest.
Bayer: Höchstwahrscheinlich eine idiosynkratische Reaktion
Was hat es nun mit dem Ermittlungsverfahren auf sich? Bayer erklärte auf Nachfrage, man habe aus der Presse erfahren, dass in Bezug auf den Todesfall in 2018 ermittelt werde, bei dem die Patientin eine Leberschädigung erlitt und an den Komplikationen einer nachfolgenden Lebertransplantation verstarb. „Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens sind Bayer nicht bekannt“, so eine Sprecherin. Was den erwähnten Todesfall betrifft, so habe Bayer diesen „intensiv und umfassend analysiert“. Das Ergebnis des Unternehmens: Höchstwahrscheinlich habe es sich um eine idiosynkratische Reaktion gehandelt – „eine äußerst seltene, dosisunabhängige Reaktion auf Substanzen, die in der Regel von Menschen sicher toleriert werden“. Idiosynkratische Reaktionen seien substanzunabhängig und könnten generell nicht ausgeschlossen werden.
Erneut weist die Sprecherin darauf hin: „Das Nutzen-Risiko-Profil von Iberogast® ist weiterhin positiv.“ Wie alle Medikamente unterliege es einer ständigen routinemäßigen Sicherheitsüberwachung, die Daten aus Studien, Literatur und Anwendung durch Verbraucher einbezieht.
Eine gefährliche Gesetzeslücke?
Aufhorchen lässt der Handelsblatt-Bericht dagegen die grüne Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche, die den Fall Iberogast® schon eine Weile politisch begleitet. Im vergangenen Jahr hatte ihre Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der verhindern sollte, dass Hersteller Anordnungen des BfArM mit juristischen Mitteln verzögern. Im Arzneimittelgesetz sollte geregelt werden, dass die angeordneten Auflagen sofort vollziehbar sein sollen, Widerspruch und Klage also keine aufschiebende Wirkung haben. Im Bundestag durchsetzen konnten sich die Grünen damit nicht. Für Schulz-Asche ist das nicht verständlich – und die nun aufgenommenen Ermittlungen zeigen für sie, dass es tatsächlich eine gefährliche Gesetzeslücke gibt.
Schulz-Asche: „Das BfArM ist (...) ein zahnloser Tiger“
„Das BfArM ist, was Warnungen für Patienten auf Arzneimittelverpackungen und Beipackzetteln angeht, ein zahnloser Tiger“, erklärt die Grünen-Politikerin. „Nicht Hersteller müssen die Unbedenklichkeit beweisen, sondern die Arzneimittelbehörde muss den Zusammenhang zwischen Medikament und Nebenwirkungen zweifelsfrei herstellen, bevor Warnungen aufgenommen werden müssen. Das ist das Gegenteil von vorbeugendem Patientenschutz.“ Gesundheitsminister Jens Spahn müsse sich fragen lassen, warum er den von den Grünen geforderten Passus „nicht in sein sogenanntes Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung aufnehmen wollte“.