Neue Erkenntnisse zu Multiple Sklerose – Mikrobiom im Fokus
Multiple Sklerose (MS), auch „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ genannt, ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sowohl Gehirn als auch Rückenmark betrifft. Um Reize effektiv übertragen zu können, sind unsere Nerven mit einer Isolierschicht, dem sogenannten Myelin, umgeben. Kommt es in dieser Schicht zu einer Entzündung, können Nervenimpulse nicht mehr korrekt weitergeleitet werden. Die Betroffenen leiden dann z. B. unter motorischen Störungen wie Lähmungen oder Gangstörungen, unter Sehstörungen und Missempfindungen. Klingen die Entzündungen wieder ab, bleibt teilweise ein vernarbtes (sklerosiertes) Nervengewebe zurück.
Die Symptome treten vor allem in der Anfangsphase zunächst schubförmig auf. In 30 – 40 % der Fälle gehen sie nach 10 – 15 Jahren in den chronisch-progredienten Verlauf über – das bedeutet, dass sich die Symptome dann allmählich verschlimmern. In knapp fünf Prozent der Fälle führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu einer schweren Behinderung.
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Zahlreiche Einflussfaktoren, aber genaue Ursache (noch) unbekannt
Die genaue Ursache der MS ist bislang noch ungeklärt. Jedoch wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Einflussfaktoren identifiziert. Man geht derzeit davon aus, dass für die Entstehung der MS mehrere Faktoren gebündelt vorliegen müssen. Treten diese dagegen einzeln auf, wird die Erkrankung vermutlich nicht ausgelöst. Schon länger werden genetische Prädisposition (erblich bedingte Neigung) und Autoimmunreaktionen in Betracht gezogen. Virusinfektionen in der Kindheit, Vitamin-D-Mangel und falsche Ernährung scheinen eine bestehende „Neigung“ zu verstärken.
Auf der diesjährigen Neurowoche in Berlin diskutierten Experten über die jüngsten Erkenntnisse aus der Forschung. „Umweltfaktoren machen zwei Drittel des MS-Risikos aus“, berichtet Professor Ralf Gold, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Sprecher des Vorstands des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS). „So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass Zigarettenrauch, Übergewicht und übermäßiger Kochsalzkonsum Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen.“
Über welche Mechanismen diese Faktoren in das Krankheitsgeschehen eingreifen und welche Rolle Darmbakterien bei Multipler Sklerose spielen, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung, erklärte Ralf Gold. Die Kenntnis von Risikofaktoren habe auch unmittelbare Konsequenzen für die Prävention und gegebenenfalls sogar die Therapie.
Darmbakterien im Visier der Ursachenforscher
In den letzten Jahren untersuchten zahlreiche Arbeitsgruppen den Einfluss des Darms auf die Entstehung verschiedenster Krankheiten. Die Forscher um den Neuroimmunologen Professor Hartmut Wekerle widmeten sich dabei intensiv der Ätiologie (Ursachenforschung) von MS. Vor wenigen Jahren konnten sie zeigen, wie Darmbakterien im Tiermodell MS auslösen. Daraufhin beschäftigten sich weitere Gruppen mit diesem Thema und entdeckten, dass durch die Entfernung natürlicher Bakterien aus dem Darm eines experimentellen Modells der MS die Erkrankung völlig unterdrückt wurde.
„Diese wichtige Erkenntnis kann natürlich nicht direkt für Therapiezwecke genutzt werden, da ein Mensch ohne bakterielle Darmflora nicht überlebensfähig wäre. Hieraus haben sich allerdings zunehmend unterschiedliche Forschungsansätze entwickelt, die aktuell untersuchen, welche Bakterien sich neutral verhalten und welche möglicherweise mit Erkrankungen wie der MS assoziiert sind“, erklärte Gold.
Darüber hinaus konnten mehrere Studien zeigen, dass sich das Mikrobiom bei schubförmiger MS deutlich anders zusammensetzt als bei gesunden Vergleichskontrollen. Ob diese Veränderung unter dem Einfluss chronischer Entzündungen im Körper entsteht oder sogar ein primärer Mitauslöser der MS ist, bleibt momentan ungeklärt. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V, Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V.