Notfallverhütung mit der „Pille danach“: ein Update
In Deutschland sind zwei Wirkstoffe zur Notfallverhütung zugelassen: Levonorgestrel und Ulipristalacetat. Beide sind nicht mehr verschreibungspflichtig.
Wie wirken die Notfallkontrazeptiva?
Bei Levonorgestrel (PiDaNa 1,5 mg, Levonor aristo®, Levonorgestrel STADA® 1,5 mg) handelt es sich um einen sogenannten Progesteronrezeptor-Agonisten. Der primäre Wirkmechanismus ist eine Blockade der Ovulation, also des Eisprungs und/oder die Verschiebung der Ovulation nach hinten durch die Unterdrückung des Luteinisierenden-Hormon-Peaks (LH-Peak).
Levonorgestrel (LNG) kann nur in den Ovulationsprozess eingreifen, wenn es vor dem Anstieg des LH-Spiegels verabreicht wird. Deshalb darf es nur bis zu 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr angewendet werden.
Ulipristalacetat (EllaOne 30 mg, Lencya® 30 mg, Ulipristal Aristo® 30 mg) hingegen ist ein selektiver Progesteronrezeptor-Modulator, dessen Wirkung auf einer hochaffinen Bindung am Progesteronrezeptor beruht. Als Mechanismus bei der Anwendung zur Notfallverhütung wird ebenfalls die Hemmung oder Verzögerung der Ovulation durch Unterdrückung des Anstiegs des luteinisierenden Hormons (LH) angesehen. Im LH-Anstieg übt Ulipristalacetat (UPA) zusätzliche zentrale Effekte aus und bremst diesen aus. Dies resultiert in einer Verzögerung des Eisprungs.
In pharmakodynamischen Studien konnte gezeigt werden, dass noch während des LH-Anstiegs (circa ab zwei Tagen vor dem Eisprung) UPA den Eisprung wirksam verschieben kann.
Wann eignet sich welcher Wirkstoff?
Zeitpunkt der Einnahme | Wirkmechanismus | |
---|---|---|
Ulipristalacetat 30 mg | so schnell wie möglich nach der Verhütungspanne; Zulassung bis 120 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr | hemmt die Follikelreifung und verschiebt die Ovulation |
Levonorgestrel 1,5 mg | so schnell wie möglich nach der Verhütungspanne; Zulassung bis 72 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr | hemmt die Follikelreifung und verschiebt die Ovulation |
Der Unterschied der Wirkstoffe Levonorgestrel und Ulipristalacetat liegt unter anderem im empfohlenen Zeitraum der Anwendung nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr. Levonorgestrelhaltige Notfallkontrazeptiva können innerhalb eines Zeitraumes von 72 Stunden (drei Tage) und Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat innerhalb eines Zeitraumes von 120 Stunden (fünf Tage) nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden.
Trotz der Erweiterung des Einnahmezeitfensters bei UPA bis 120 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr, bleibt eine möglichst rasche Einnahme der Notfallkontrazeption von großer Bedeutung für eine gute Wirksamkeit. Denn unabhängig vom Wirkstoff sind Notfallkontrazeptiva nur dann wirksam, wenn sie rechtzeitig vor dem Eisprung eingenommen werden. Da der Eisprung aber individuellen Schwankungen unterliegt, ist er nicht exakt vorhersehbar.
Einnahmehinweise in der Packungsbeilage sollen Klarheit schaffen
Am Anfang der rezeptfreien Abgabe der Notfallkontrazeptiva sorgte die Aussage „spätestens nach 72 bzw. 120 Stunden einnehmen“, für Verunsicherung und sorgte wohl für einige Medikationsfehler.
2018 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund dessen eine EMA-Empfehlung umgesetzt und die Hersteller aufgefordert, die Packungsbeilage mit einem für die Anwenderin deutlich erkennbaren Kasten mit schwarzem Rahmen zu ergänzen.
Dort wird auf die schnellstmögliche Einnahme nach dem Geschlechtsverkehr, vorzugsweise innerhalb von zwölf Stunden und spätestens nach 72 Stunden bzw. 120 Stunden, hingewiesen.
Hinweise für die Beratung
Das Beratungsgespräch sollte sich an dem aktuellen BAK Leitfaden „Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva, Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer“ orientieren.
Empfohlen wird die Beratung und Abgabe der Notfallkontrazeption nur an die Frau persönlich. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Frau zur Wirksamkeit, zu Gegenanzeigen und Nebenwirkungen sowie zur notwendigen Verhütung im weiteren Verlauf des Zyklus optimal aufgeklärt werden kann. Eine Abgabe erfolgt nur als Notfallkontrazeption und nicht auf Vorrat.
Eine Abgabe an Mädchen unter 14 Jahren wird ohne Einverständnis eines Erziehungsberechtigten nicht empfohlen, und das Mädchen muss einen Arzt konsultieren. Die Entscheidung obliegt aber letztendlich dem Apotheker.
Welche Risiken sind abzuklären?
Die Fragen nach akuten oder chronischen Erkrankungen beziehungsweise der Einnahme anderer Medikamente ist ein signifikanter Punkt des Beratungsgespräches.
Es gilt abzuklären, ob die „Pille danach“ – betroffen sind hier beide Wirkstoffe gleichermaßen – mit anderen Medikamenten eine Wechselwirkung eingeht und die Wirksamkeit dadurch vermindert oder sogar aufgehoben wird. Die Wirksamkeit von LNG und UPA kann durch CYP3A4-Induktoren vermindert werden. Bedeutsam sind Wirkstoffe wie Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon gegen Epilepsie, Rifabutin und Rifampicin gegen Tuberkulose und mit Medikamenten zur Behandlung von HIV-Infektionen, etwa Ritonavir.
Frauen, die solche enzyminduzierende Arzneimittel innerhalb der letzten vier Wochen eingenommen haben und eine Notfallkontrazeption benötigen, wird empfohlen, eine nicht-hormonale Notfallkontrazeption zu verwenden, das heißt eine Kupferspirale oder eine doppelte Dosis LNG (zwei Tabletten auf einmal) einzunehmen, wenn diese Frauen keine Kupferspirale verwenden können oder möchten.
Im Falle von schweren Leberfunktionsstörungen darf keiner der beiden Wirkstoffe abgegeben werden. Auch wichtig zu wissen: Bei Verwenderinnen von hormonellen Verhütungsmitteln kann die ovulationshemmende Wirkung von Ulipristalacetat gemindert werden. Daher sollten in diesem Fall bevorzugt Levonorgestrel-haltige Notfall-Pillen empfohlen werden.
Die „Pille danach“ und das Körpergewicht
Im Jahr 2013 wurde eine erste Warnung der Firma HRA-Pharma über eine eingeschränkte Wirksamkeit von LNG bei Übergewicht veröffentlicht. Zwei Reviews – ein europäisches der EMA von 2014 und ein amerikanisches der FDA von 2016 – kamen zum gleichen Ergebnis: Die Datenlage war zu schwach und widersprüchlich.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurde keine Studie so angelegt, dass eine Gewichtsgrenze, bei der eine Abnahme der Wirkung einer hormonellen Notfallkontrazeption eindeutig zu erwarten ist, festgelegt werden konnte. In der Apotheke erfolgt somit die Abgabe von LNG oder UPA unabhängig vom Körpergewicht oder BMI.
Die Grenzen der Selbstmedikation erkennen
Ein Besuch beim Arzt sollte der Kundin empfohlen werden, wenn der ungeschützte Geschlechtsverkehr mehr als fünf Tage (120 Stunden) zurückliegt. Sollte die Frau einen 100-prozentigen Schutz vor einer Schwangerschaft wollen, ist es wichtig zu erklären, dass dieser Schutz mit der „Pille danach“ nicht gewährleistet ist. Die oralen Notfallkontrazeptiva bieten laut Studien einen Schutz von bis zu 98 Prozent, je nachdem wie viele Stunden sie nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden.
Patientinnen mit schwerem Asthma, die durch Einnahme von Glucocorticoiden behandelt werden, wird die Anwendung von UPA nicht empfohlen. Bei dieser Patientengruppe darf somit nur die Anwendung des Wirkstoffs LNG in Betracht gezogen werden. Außerdem sind beide Wirkstoffe bei schweren Leberfunktionsstörungen kontraindiziert.
Treffen diese „Merkmale“ auf die Patientin zu, sind die Grenzen der Selbstmedikation erreicht und die Frau sollte an einen Arzt beziehungsweise Gynäkologen verwiesen werden. Als Alternative werden dann kupferhaltige Intrauterinpessare vorgeschlagen. Schwangere sowie Frauen mit anhaltendem Erbrechen, Diarrhoe oder Malabsorption, früherer Eileiterentzündung, Bauchhöhlen- oder Eileiterschwangerschaft in der Vorgeschichte sollten unter genauer Abwägung der Umstände gegebenenfalls ohne Abgabe eines Notfallkontrazeptivums ebenfalls an einen Arzt verwiesen werden.