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Teil 12: Teff, Fonio & Co. – glutenfreie Supergrains

Die Zwerghirse Fonio ist leicht verdaulich, glutenfrei und soll wegen ihres Eisengehalts auch das „ideale Getreide für Frauen“ sein. | Bild: katrinshine / AdobeStock

Teff, Fonio und Corakorn zählen bei der armen Bevölkerung Afrikas bzw. Indiens traditionell zu den Grundnahrungsmitteln. Damit bringen sie die im Marketing beliebte „Geschichte“ mit: Sie entstammen guten, Jahrtausende alten Gebräuchen, sind außerordentlich naturbelassen, weder überzüchtet noch gentechnisch manipuliert. Selbsternannte Experten schlussfolgern daraus: Diese „Urgetreide“ sorgen dafür, dass die Naturvölker nicht unter Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Schlaganfällen, Allergien usw. leiden. Dem hiesigen Verbraucher hüpft das Herz vor Freude: Mit Verzehr dieser „Naturprodukte“ wird den „gierigen“ Lebensmittelkonzernen ein Schnippchen geschlagen und die eigene Gesundheit gestärkt. Sogar ein glutenfreier Kuchen soll sich mit Teffmehl backen lassen, das versprechen Rezepte im Internet. Teffmehl gilt als „Must-have“ bei Foodies und Trendsettern.

Das kleinste Getreide der Welt

Teff ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Süßgräser. Ursprünglich war Teff in Äthiopien und Eritrea beheimatet, heute wird es in vielen tropischen und subtropischen Regionen angebaut. Die Pflanze ist anspruchslos und braucht nicht viel Wasser. Vorteilhaft ist auch, dass sie sich robust gegenüber Schädlingen oder Krankheiten zeigt. Ihre relativ kurze Vegetationsperiode schützt vor größeren Ernteausfällen. In Äthiopien ist Teff die wichtigste Getreideart. Die grannenfreien kleinen Ähren enthalten weißliche oder dunkelrot-braune Getreidekörner, die kleiner sind als ein Millimeter. Teff wird deshalb auch als das kleinste Getreide der Welt bezeichnet. 150 Teffkörner entsprechen einem Weizenkorn. Die afrikanische Bevölkerung backt mit diesen winzigen Körnchen traditionell Fladenbrot. Sie werden darüber hinaus als Brei verzehrt oder zum Brauen alkoholischer Getränke verwendet. Ähren und Stroh dienen auch als Tierfutter.

100 Gramm Teff haben 367 Kalorien (zum Vergleich: 100 Gramm Weizenkörner ca. 350 kcal). Teff zählt zu den proteinreichen Getreidesorten (circa 13 Gramm pro 100 Gramm) und enthält außerdem essenzielle Fettsäuren, Kohlenhydrate, Ballaststoffe sowie Vitamine und Mineralien. Auf Gesundheitsseiten im Internet wird insbesondere der Gehalt an Eisen, Zink, Calcium, Silicium und Selen betont. Es ist jedoch schwierig, wirklich aussagekräftige Daten zu den Mikronährstoffgehalten zu finden, die vermutlich auch abhängig sind von Böden, Anbaumethoden und Klima.

Ein umstrittenes Patent

Eine niederländische Firma hatte sich im Jahr 2004 sogar das Patent auf Teff-Produkte beim Europäischen Patentamt sichern lassen. Auch wenn es heute als sehr umstritten bzw. sogar als „Biopiraterie“ gilt, sich eine Monopolstellung für eine Pflanze oder ein Nahrungsmittel zu verschaffen, kamen die Niederländer jahrelang damit durch, dass sie „nur“ für die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette der Pflanze Gebühren verlangten. Doch inzwischen ist in das Teffmehl-Patent Bewegung gekommen. Viele Unternehmen haben sich geweigert, Lizenzen zu zahlen. Aufgrund einer im Jahr 2019 erfolgten Nichtigkeitsklage beim Deutschen Bundespatentamt verzichteten die Niederländer auf den deutschen Teil des Patents. Vermutlich wird das Patent auch in anderen europäischen Ländern auslaufen.

Die steigende Nachfrage in Europa nach Teff als glutenfreiem Getreide kann ohnehin nicht von der äthiopischen Landwirtschaft gedeckt werden. Teff wird inzwischen im Mittelmeerraum und auch in Deutschland angebaut

Was ist Fonio?

Die Zwerghirse Fonio wird auf werbenden Internetseiten als besonders leicht verdaulich und geeignet für Kinder und Ältere dargestellt. Betont wird der angeblich niedrige glykämische Index, der für ein gutes Blutzuckermanagement sorgen soll. Fonio soll wegen seines Eisengehalts auch das „ideale Getreide für Frauen“ sein. Versprochen wird „Schönheit für Haut und Haar“ sowie die „Entgiftung und Heilung von Wunden“. Selbstverständlich lässt sich mit Fonio – laut Erfahrungsberichten – auch fantastisch abnehmen. Auf Verkaufsverpackungen dürfen solche gesundheitsbezogenen Aussagen („health claims“) natürlich nicht stehen, das wäre ein Verstoß gegen die europäische Health-Claims-Verordnung. Denn keine dieser „Wirkungen“ ist wissenschaftlich bewiesen.

Die Foniohirse ist ein weiteres Familienmitglied der Süßgräser und zählt zur Gattung der Fingerhirsen. Man spricht auch von Hungerreis oder Hungerhirse – vielleicht deshalb, weil sie auf sehr armen, sandigen und sogar felsigen Böden gedeihen kann, auf denen kein anderes Getreide mehr wächst. Zu Hause ist sie im tropischen Westafrika bis hinein in den Kamerun. Foniohirse reift sehr schnell. Manche Sorten können schon sechs bis acht Wochen nach der Aussaat geerntet werden. Die Getreidekörner sind circa 1,5 mm groß. 100 Gramm enthalten circa 8,7 Prozent Protein, das reich sein soll an Methionin und Cystin, was für den Menschen besonders verträglich sein soll.

Fonio bildet in weiten Teilen Afrikas das Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung. Es gilt als das schmackhafteste Getreide Westafrikas und wird wegen seines feinen Nussaromas gerne von den gehobenen Schichten des Landes und als Festspeise verzehrt. Deshalb trägt es auch den Namen „Chief’s food“. Man isst es als Couscous oder Brei, es wird auch zu Mehl vermahlen, zu Brot verbacken oder zu Bier vergoren. Das Stroh wird mit Lehm vermischt und als Baumaterial verwendet. Spreu und Stroh eignen sich auch als Tierfutter.

In Deutschland wird Foniohirse als glutenfreies „Wunderkorn“ vermarktet. Anbieter beschreiben es als „etwas fade“ im Geschmack, deshalb sollte es gut gewürzt werden. Aus dem Foniohirsemehl sollen sich glutenfreie Kuchen und Kekse backen lassen.

Corakorn aus Indien

Ein weiteres Familienmitglied der Süßgräser ist die Corakorn-Fingerhirse, die auch ursprünglich aus Afrika stammt, seit mehr als 3.000 Jahren aber hauptsächlich in Indien zu Hause ist. Dort gilt sie als alte Kulturpflanze, die auch in der Ayurveda-Lehre ihren Platz gefunden hat. Corakorn, in Indien als Ragi bezeichnet, soll die ursprünglichste Form der Fingerhirse sein – die „Urhirse“, die als „nicht verzüchtet“ gilt. Ihr Name bedeutet „bewegliches Gelenk“. Auch bei Corakorn wird die Glutenfreiheit betont, außerdem der hohe Ballaststoffgehalt. Als vorteilhaft gilt, dass die trockenen Körner lange Zeit gut gelagert werden können, ohne dass sie an Qualität verlieren oder von Schädlingen bzw. Pilzen befallen werden. In Indien wird Ragimehl zu Fladenbrot gebacken oder als Kloß verkocht. Die Körner lassen sich auch fermentieren und Getränken sowie Joghurt beimischen. In Uganda wird Fingerhirse ähnlich wie ein Porridge zum Frühstück gegessen oder auch geröstet und gemahlen und dann wie Mehl weiterverwendet.

In Deutschland wird Corakorn angepriesen als „neue“ oder „wiederentdeckte Urhirse“. Versprochen werden „stabile Knochen, gesunde Zähne, Unterstützung der Muskelfunktion und eine Aktivierung des Stoffwechsels“. Sie wird in der ayurvedischen Küche vielfältig eingesetzt. Im Internet findet man eine Reihe an Rezepten. Entsprechend der Ayurveda-Lehre wirkt Hirse „erwärmend, leicht und trocken und vermehrt somit Vata und Pitta“. Sie soll gegen chronische Müdigkeit und Konzentrationsschwäche helfen, deswegen wird vor allem Schülern und Studenten zu einem ayurvedischen Hirse-Frühstück geraten. Die Herstellerangaben, nach denen Corakorn jede Menge an Mineralstoffen enthalten soll, sind nicht durch verlässliche Quellen belegt. Zum Backen lässt sich das glutenfreie Corakorn-Mehl auch verwenden, für ein gutes Backergebnis sollte es jedoch mit anderen Mehlen gemischt werden.

Supergrains – alles super?

Selbstverständlich leisten die verschiedenen Hirsearten einen guten Beitrag zu einer gesunden Ernährung. Alle Arten von Getreidekörnern sind eine gute Proteinquelle, enthalten Ballaststoffe, komplexe Kohlenhydrate und essenzielle Fettsäuren. Eisen und Zink sind vor allem für Vegetarier und Veganer vorteilhaft. Die Zufuhr an Mikronährstoffen durch Getreidekörner darf jedoch nicht überbewertet werden. Wer drei Löffel Hirse über sein Müsli streut, wird dadurch noch nicht optimal mit Mineralstoffen versorgt sein.

Bei einer glutenfreien Ernährung kann man mit Hirsesorten seinen Speisezettel durchaus bereichern. Die Frage ist nur, ob es unbedingt Teff, Fonio und Corakorn sein müssen. Die romantische Vorstellung, dass man mit dem Kauf afrikanischer Getreidearten arme Kleinbauern unterstützt, kann man sicher vergessen. An Produkten, die auf dem Weltmarkt angeboten werden, verdienen in erster Linie internationale Händler.
Auch in Europa ist Hirse heimisch, gilt aber als „vergessenes Getreide“. Seit dem 17. Jahrhundert hat die in Europa als Nahrungsquelle übliche Hirse nach und nach an Bedeutung verloren, während Weizen, Roggen und vor allem Kartoffeln wegen ihres höheren Sättigungsvermögens auf den hiesigen Feldern Einzug hielten. Erst in den letzten Jahren erlebt die heimische Rispenhirse als glutenfreie Getreideart eine Renaissance und wird auch in Deutschland und Österreich wieder angebaut.

Wer gesundheitsbewusst denkt, sollte beim Einkauf auch Umwelt und Klima in seine Überlegungen mit einbeziehen. Ist es nicht sinnvoller, die afrikanischen und indischen Hirsearten werden vor Ort von der ansässigen Bevölkerung gegessen und nicht nach Europa exportiert?
Magische Geschichten gibt es übrigens auch über die europäische Hirse: „Der süße Brei“ gehört zu den beliebten Grimmschen Märchen, und Ludwig Bechstein schrieb das Märchen vom „Hirsedieb“.

Auf einen Blick:

  • Teff, Fonio und Corakorn sind Zwerghirsen aus der Familie der Süßgräser. Sie wachsen auch auf kargen Böden und haben eine kurze Vegetationsperiode, weshalb sie seit Jahrtausenden zur Ernährung des Menschen beitragen.
  • Teff und Fonio gehören in Afrika zu den Grundnahrungsmitteln, Corakorn wird vor allem in Indien angebaut und verzehrt.
  • Die Hirsearten sind glutenfrei, reich an Proteinen und Ballaststoffen, enthalten Mineralstoffe und Vitamine. Sie sind ein wertvoller Bestandteil einer gesunden Ernährung.
  • Die Hirsearten können den Speisezettel von Menschen, die kein Gluten vertragen, bereichern.
  • Die heimische, in Europa angebaute Hirse ist aus ökologischen Gründen eine glutenfreie Getreide-Alternative zu den Importprodukten aus Afrika oder Indien.
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