Pharmacon-Kongress: Sechs wichtige Interaktionen bei Arzneimitteln
Nina Griese-Mammen, Abteilungsleiterin für wissenschaftliche Evaluation im ABDA-Geschäftsbereich Arzneimittel, hat auf der Pharmacon in Meran (ein Fortbildungskongress für Pharmazeuten, organisiert von der Bundesapothekerkammer) ein Papier der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) vorgestellt. Darin macht die Fachgesellschaft auf sechs kritische Wechselwirkungen aufmerksam.
(Es-)Citalopram nicht mit Makroliden kombinieren
Von einer gleichzeitigen Therapie mit Citalopram oder Escitalopram und Makroliden rät die DGIM in ihrem Papier von 2021 ausdrücklich ab. „Es droht eine dosisabhängige Verlängerung der QT-Zeit“, erläuterte Griese-Mammen in Meran. Daraus können lebensbedrohliche Torsade-de-Pointes-Arrhythmien folgen – auch ventrikuläre Tachykardien und plötzlicher Herztod sind möglich.
Insbesondere ältere Patienten sind laut DGIM gefährdet, da die Toleranz gegenüber Citalopram/Escitalopram im Alter herabgesetzt ist. Die Kombination dieser Arzneistoffe mit QT-Zeit-verlängernden anderen Medikamenten ist daher kritisch zu hinterfragen, vor allem, wenn weitere Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen, Long-QT-Syndrom oder Bradykardie (verlangsamter Herzschlag) hinzukommen.
Empfehlung: Einsatz eines Antibiotikums aus einer anderen Wirkstoffgruppe, z. B. Betalactame oder Tetrazykline. Für eine Risikoabschätzung empfiehlt Griese-Mammen die Website der Non-Profit-Organisation AZCERT.
Zur Erinnerung: Was versteht man unter Torsade de Pointes?
Zahlreiche Medikamente können das QT-Intervall verlängern und so zu einer seltenen, aber gefährlichen Herzrhythmusstörung – einer sogenannten Torsade de Pointes – führen. Diese Störung ist durch schnelle, unregelmäßige QRS-Komplexe gekennzeichnet, die wellenförmig um die Grundlinie des EKG verlaufen.
Das QT-Intervall gibt den Abschnitt des Elektrokardiogramms (EKG) an, der zwischen dem Beginn des QRS-Komplexes und dem Ende der T-Welle liegt. In diesen Zeitraum fällt die De- und Repolarisation (T-Welle) der Herzkammern. Quellen: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 7. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart;
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Keine Vorteile bei Kombination von ACE-Hemmern, Sartanen und Renin-Inhibitoren
Einst setzte die Wissenschaft große Hoffnung in die Kombination verschiedener RAS-Hemmer. Große kontrollierte StudienONTARGET, ALTITUDE brachten allerdings ernüchternde Ergebnisse. Darin zeigte sich kein Vorteil bei gleichzeitigem Einsatz, allerdings stieg die Nebenwirkungsrate deutlich. Während die ONTARGET-Studie klare Nachteile bei den realen Endpunkten lieferte, wurde die ALTITUDE-Studie wegen unerwünschter Effekte sogar vorzeitig abgebrochen (Hyperkaliämie, Hypotonie, akutes Nierenversagen).
Empfehlung: Vermeidung einer doppelten Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems.
Zur Erinnerung: Was ist das Renin-Angiotensin-System?
Das Renin-Angiotensin-System, auch bekannt als Renin-Angiotensin-Aldosteron-System – kurz RAAS –, ist ein Regelkreis aus verschiedenen Hormonen und Enzymen. Es reguliert den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des Körpers und wirkt damit entscheidend auf den Blutdruck.
Als Renin-Angiotensin-Hemmstoffe (kurz RAS-Hemmer) bezeichnet man blutdrucksenkende Arzneimittel der Wirkstoffklassen ACE-Hemmer (z. B. Enalapril, Ramipril), AT1-Antagonisten (kurz Sartane, z. B. Candesartan oder Valsartan) und Renininhibitoren (z. B. Aliskiren). /vs
Akutes Nierenversagen bei Triple Whammy
Die Kombination aus Diuretika (z. B. Furosemid, Torasemid), RAS-Hemmer und NSAR (z. B. Ibuprofen, ASS, Etoricoxib) ist auch als Triple Whammy bekannt. Griese-Mammen wies darauf hin, dass Apotheken diese Konstellation beim Blick auf den Medikationsplan eines Patienten selbst erkennen müssen – denn die meisten Systeme, die beim Arzneicheck zum Einsatz kommen, können nur jeweils zwei Medikamente miteinander vergleichen. Es droht akutes Nierenversagen.
Empfehlung: Wenn möglich, sollte ein anderes Schmerzmittel zur Anwendung verwendet werden, etwa Metamizol, Paracetamol, Tilidin oder Tramadol. Andernfalls empfiehlt sich ein Wirkstoff mit vergleichsweise günstigem Risikoprofil. Laut Griese-Mammen sind das Ibuprofen und Naproxen – in geringstmöglicher Dosierung.
Die ABDA-Abteilungsleiterin riet weiterhin: „Weisen Sie auch in der Selbstmedikation auf das Risiko hin und bieten Sie Alternativen an, insbesondere Paracetamol.“ Besteht der Patient trotzdem auf die Abgabe eines NSAR, sollte regelmäßig der Blutdruck gemessen werden. Allerdings lässt sich auch damit nicht erkennen, ob „die Niere dicht macht“.
Opioide und Clarithromycin (oder andere CYP3A4-Hemmer)
Bestimmte Opioide wie Oxycodon, Fentanyl und Tramadol werden vor allem über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt. Starke Inhibitoren dieses Enzyms, etwa das Makrolid Clarithromycin und das Antimykotikum Itraconazol, können die Blutspiegel klinisch relevant erhöhen bis hin zu einer Intoxikation mit schwerer Atemdepression.
Enzyminduktoren wie Johanniskraut und Phenytoin sorgen hingegen für einen vermehrten Abbau und eine verminderte Wirksamkeit. Kritisch ist insbesondere zu werten, wenn bei Dauertherapie mit einem Opioid eine entsprechende Akutmedikation angesetzt oder ein interagierender Wirkstoff abgesetzt wird. „Solche Konstellationen sind ein No-Go im ambulanten Bereich“, betonte Griese-Mammen.
Empfehlung: Auswahl eines anderen Antibiotikums.
Zur Erinnerung: Was sind CYP-Enzyme?
Die Cytochrome P450 (CYP) sind eine Familie von Enzymen, die für den Metabolismus von Arzneistoffen von zentraler Bedeutung sind. Wichtige Mitglieder sind beispielsweise CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A.
Arzneistoffe, die von CYP-Enzymen verstoffwechselt werden, sind anfällig für Wechselwirkungen, da andere Medikamente die CYP-Enzyme hemmen oder ihre Wirkung verstärken können. Dadurch steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder für einen Wirkungsverlust. /vs
Vorsicht bei Rifampicin und Gerinnungshemmern
Das Antibiotikum Rifampicin gilt als besonders problematischer Partner bei Arzneistoffkombinationen, da es neben diversen CYP-Enzymen noch weitere Metabolisierungswege ankurbelt, z. B. UDP-Glucuronosyltransferasen sowie den Transmembrantransporter P-Glykoprotein.
Bei gleichzeitigem Einsatz gerinnungshemmender Medikamente aus der Gruppe der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) droht eine Unterdosierung wegen des verstärkten Abbaus und der beschleunigten Eliminierung (Ausscheidung). Während bei einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten eine laufende Anpassung der Dosierung anhand messbarer Parameter möglich ist, gilt das nicht für NOAK.
Empfehlung: Kombination vermeiden. Weitere Informationen gibt es auf der Website easyDOAC.de. Vor der Gabe von Rifampicin sollte nach Einschätzung der DGIM immer ein Interaktionscheck mit der bestehenden Medikation durchgeführt werden.
Bei NSAR und systemischen Glucocorticoiden erhöhtes Ulcus-Risiko
Während das Ulcus-Risiko unter der Gabe von NSAR um den Faktor 4,3 steigt, ist bei der kombinierten Anwendung von NSAR und systemischen Glucocorticoiden sogar ein Risikoanstieg um das 13-Fache zu beobachten. Bei einer gleichzeitigen Anwendung über einen Zeitraum von etwa fünf Tagen und länger sollte daher auch immer ein Protonenpumpenhemmer (PPI) zum Einsatz kommen. Glucocorticoide allein bedingen übrigens nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen noch keine erhöhte Ulcus-Gefahr.
Empfehlung: Ab einer gleichzeitigen Anwendung über mehr als fünf bis sieben Tage hinweg sollte immer auch ein PPI angesetzt werden. Wird unter einer systemischen Glucocorticoid-Therapie ein NSAR in der Selbstmedikation gewünscht, sollten die Apothekenmitarbeitenden laut Griese-Mammen auf die Gefahr hinweisen und betonen, dass das Schmerzmittel ohne ärztliche Rücksprache nicht länger als drei Tage angewendet werden darf.
Hier finden Sie das vollständige Papier der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.