Loperamid und Tonic Water führen zu Vergiftung
In einem besonders tragischen Fall erkrankte eine 25-jährige Frau an einem Magen-Darm-Infekt mit Durchfall und Erbrechen. Der ärztliche Notdienst verordnete ihr Loperamid zur symptomatischen Behandlung des Durchfalls, wovon die junge Frau zunächst zwei Tabletten mit je 2 mg Loperamid einnahm.
Nachdem sich die Beschwerden nicht gebessert hatten, nahm die 25-Jährige weitere 2 mg Wirkstoff ein. Daraufhin wurde sie müde und legte sich zum Schlafen ins Bett. Ihr Lebensgefährte fand sie daraufhin bewusstlos in ihrem Erbrochenen liegen.
Trotz sofortiger Reanimation konnte der Frau nicht mehr geholfen werden und auf der Intensivstation wurde der Hirntod festgestellt. Im Blut wurden keine Drogen gefunden, lediglich eine erhöhte Konzentration an Chinin und das zuvor eingenommene Loperamid konnten nachgewiesen werden.
Wie wirkt Loperamid?
Loperamid gehört zur Wirkstoffklasse der Opioide. Im Gegensatz zu Morphin oder anderen Opioiden übt die Substanz in therapeutischen Dosen keinen Effekt auf das zentrale Nervensystem aus.
Bei Erwachsenen kann Loperamid die Blut-Hirn-Schranke nicht in ausreichender Menge überwinden. Übliche Wirkungen der Opioide wie Analgesie, Sedierung und Euphorie sowie als unerwünschte Wirkung eine Atemdepression bleiben dadurch aus.
Loperamid wirkt dagegen agonistisch an Opioidrezeptoren des Gastrointestinaltrakts. Dadurch wird in der Darmwand die Freisetzung von Acetylcholin und Prostaglandinen gehemmt und somit die Darmperistaltik verlangsamt.
Loperamid zur Behandlung von Durchfallerkrankungen
Der Wirkstoff zählt zu den Klassikern bei der Behandlung von Durchfallerkrankungen in der Selbstmedikation. Loperamid (z. B. Imodium®) kann dabei zur symptomatischen Behandlung von Diarrhöen eingesetzt werden, sofern keine ursächliche Therapie zur Verfügung steht.
Bekannt sind in diesem Zusammenhang vor allem Reisedurchfälle, hier kann eine Einnahme von Loperamid meist schnell Abhilfe schaffen. Da die meisten Reisedurchfälle ohnehin selbstlimitierend sind, ist eine Einnahme nur notwendig, wenn unterwegs keine Toilette in der Nähe ist. Denn durch das Stoppen des Durchfalls werden auch die Keime im Körper zurückgehalten.
Nicht angewendet werden darf Loperamid bei Durchfällen mit hohem Fieber oder bei Blut im Stuhl. Auch Kinder unter zwölf Jahren sollten nicht im Rahmen der Selbstmedikation behandelt werden.
Darreichungsformen und Dosierung von Loperamid
Auf dem deutschen Markt ist Loperamid in Form seines Salzes in zahlreichen Darreichungsformen wie Tabletten, Kapseln, Schmelztabletten und auch als Lösung zum Einnehmen erhältlich.
Bei akuten Durchfällen nehmen Erwachsene zu Beginn der Behandlung 4 mg Loperamidhydrochlorid (2 Tabletten) ein, danach nach jedem ungeformten Stuhl weitere 2 mg Loperamidhydrochlorid (1 Tablette). Die Tageshöchstdosis von 12 mg darf in der Selbstmedikation nicht überschritten werden.
Bessert sich der Durchfall nach einer Anwendungsdauer von 48 Stunden nicht, muss die Behandlung gestoppt und ein Arzt aufgesucht werden. Denn: Anhaltende Durchfälle können ein Symptom einer ernst zu nehmenden Erkrankung sein und sind ärztlich abzuklären.
Loperamid kann zu Atemdepression und Bewusstlosigkeit führen
Normalerweise verhindert die Blut-Hirn-Schranke den Eintritt von Fremdstoffen ins Gehirn, dabei spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle. Unter anderem existieren bestimmte Transportproteine, die über passive Diffusion eingedrungene Substanzen gezielt wieder ausschleusen.
Dazu gehören die sogenannten P-Glykoproteine. Diese transportieren beispielsweise Loperamid unter Verbrauch von Adenosintriphosphat (ATP) wieder aus dem zentralen Nervensystem heraus.
Bestimmte Arzneistoffe können die Wirkung dieser P-Glykoproteine hemmen, wodurch Loperamid verstärkt die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dort zu zentralen Opioid-Nebenwirkungen wie Atemdepression und Bewusstlosigkeit führen kann.
Hemmung der P-Glykoproteine durch bestimmte Wirkstoffe
Verschiedene Wirkstoffe wie
- die Antiarrhythmika Verapamil und Chinidin,
- die Antimykotika Itraconazol und Ketoconazol sowie
- der HIV-Proteaseinhibitor Ritonavir
hemmen die Wirkung der P-Glykoproteine.
Die junge Frau aus dem obigen Fallbericht hatte zwar kein entsprechendes Arzneimittel eingenommen, allerdings hatte sie eine ungewöhnliche Vorliebe für bittere Limonade. Allein am Tag ihrer Erkrankung hatte sie rund 2,5 Liter Tonic Water getrunken – das Erfrischungsgetränk enthält rund 70 mg pro Liter Chinin als Bitterstoff.
Gut zu wissen: Chinin ist in bestimmten Getränken enthalten
Wegen seines stark bitteren Geschmacks wird Chinin einigen Erfrischungsgetränken und alkoholhaltigen Spirituosen als Aromakomponente zugesetzt.
Bei alkoholfreien Getränken wie Tonic Water ist der Gehalt an Chinin auf 100 mg pro Liter begrenzt, bei Spirituosen liegt der Wert bei maximal 250 mg pro Liter.
Bei vorverpackten Getränken muss im Verzeichnis der Zutaten die Angabe „Aroma Chinin“ zu finden sein.
Die Substanz gehört zu den Chinolin-Alkaloiden und kommt in der Rinde des Chinabaumes vor. Neben den bereits erwähnten Substanzen gilt Chinin ebenfalls als Hemmstoff der P-Glykoproteine.
Durch das Trinken der Bitterlimonade nahm die Frau etwa 170 mg Chinin zu sich. In Kombination mit dem eingenommenen Loperamid ergab sich daraus eine tödliche Wirkung.
Chinin als Arzneistoff – bei welchen Indikationen?
Bekannt ist Chinin hauptsächlich aufgrund seiner Anwendung in der Therapie von Malariainfektionen.
In Deutschland wird die Substanz zur Behandlung und Prophylaxe von besonders schmerzhaften Wadenkrämpfen in der Nacht eingesetzt. Bis zum Jahr 2015 war mit Limptar ® N das entsprechende Fertigarzneimittel ohne Rezept erhältlich, mittlerweile ist die Substanz aber aufgrund möglicher schwerwiegender Nebenwirkungen verschreibungspflichtig. Eine Filmtablette enthält dabei 200 mg Chininsulfat (entsprechend 165,7 mg Chinin), dabei spielt eine mögliche Hemmung der P-Glykoproteine ebenfalls eine Rolle.
Einnahme von Loperamid: Was ist für die Beratung wichtig?
Auch wenn eine Wechselwirkung zwischen Loperamid und Chinin aus Getränken unwahrscheinlich erscheint, so zeigt der tragische Fall der jungen Frau, dass eine solche Interaktion tödliche Konsequenzen haben kann.
In der Apotheke sollte deshalb bei der Abgabe Loperamid-haltiger Präparate nicht nur vor der Kombination mit Chinin als Arzneistoff, sondern auch vor dem Konsum Chinin-haltiger Getränke gewarnt werden. Quellen:
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/10/14/tod-durch-limonade
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-8-2018/auf-wolke-sieben-mit-loperamid
- https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Loperamid_21644
- Fachinformation Imodium®
- Gebrauchsinformation Limptar® N Filmtabletten