Tablette zur COVID-19-Behandlung: Die möglichen Risiken von Molnupiravir
Sind mit einer antiviralen Tablette gegen COVID-19 alle Probleme der potenziell schweren Infektionserkrankung aus der Welt geräumt? Sicher nicht: Die orale Behandlungsmöglichkeit gegen COVID-19 mit Molnupiravir vereinfacht zwar die Therapie von Erkrankten, doch geht das Antiviralium auch mit Nebenwirkungen und Anwendungseinschränkungen einher.
Erste Zulassungen und Empfehlungen
In Großbritannien ist Molnupiravir bereits zugelassen. Ein Beratergremium der FDA empfahl die Notfallzulassung ebenfalls und auch die EMA prüft Molnupiravir im Rolling-Review-Verfahren.
Zudem hat die Europäische Arzneimittelagentur vorab eine wissenschaftliche Einschätzung zur Anwendung von Molnupiravir – noch vor Marktzulassung – abgegeben: Sie sieht die Anwendung von Molnupiravir bei leicht bis mittelschwer erkrankten erwachsenen COVID-19-Patienten (ohne zusätzlichen Sauerstoff) mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf wissenschaftlich für vertretbar an.
Molnupiravir: keine Alternative zur Impfung
Dass das antivirale Arzneimittel eine Impfung nicht ersetzt, darin sind sich Experten einig. Auch der Chef-Virologe der Berliner Charité, Professor Christian Drosten, betonte dies jüngst im NRD-Podcast „Das Coronavirus-Update“: Molnupiravir sei „überhaupt keine Alternative gegen eine Impfung“, erklärte Drosten.
Zumal Molnupiravir auch nicht zur Vorbeugung von COVID-19 gedacht ist, sondern lediglich zur Behandlung von bereits Erkrankten: Personen ohne SARS-CoV-2-Infektion werden dieses Arzneimittel somit nicht prophylaktisch (Präexpositionsprophylaxe) erhalten.
Die Nebenwirkungen von Molnupiravir
Vergessen wird leicht, dass diese „einfache“ – da orale – Therapieoption Nebenwirkungen hat, weswegen auch das Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde (FDA) die Notfallzulassung des COVID-19-Arzneimittels nur mit knapper Mehrheit empfahl: mit 13 Stimmen für eine Zulassung und zehn dagegen. Was macht Molnupiravir nicht ganz unproblematisch?
Informationen der FDA
Informationen darüber liefert das „FDA Briefing Document“ vom 30. November. Diese Hintergrundinformationen, die von der Food and Drug Administration (FDA) für die Mitglieder des beratenden Ausschusses erstellt wurden, enthalten oft Bewertungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die von einzelnen FDA-Gutachtern verfasst wurden und damit nicht notwendigerweise die endgültige Position aller Gutachter oder die der FDA widerspiegeln.
Dennoch findet man Hinweise, welche Risiken bei einer Therapie mit Molnupiravir möglich sind und bereits in Studien beobachtet wurden.
Molnupiravir: Falscher Baustein für RNA und DNA
Molnupiravir und sein Metabolit (N4-Hydroxycytidin) ähneln von ihrer chemischen Struktur einem RNA- und DNA-Baustein: Cytidin und Desoxycytidin. Diese Tatsache ist Voraussetzung für die antivirale Wirkung von Molnupiravir.
Der Einbau dieses falschen Bausteins (durch die RNA-abhängige RNA-Polymerase) führt zu Fehlern in der RNA-Kette des Virus – also der Erbinformation von SARS-CoV-2 –, sodass sich dieses nicht weiter vermehren kann.
Mutagenitätspotenzial von Molnupiravir
Allerdings könnte Molnupiravir als falscher Baustein nicht nur in das Virusgenom eingebaut werden, sondern theoretisch auch in die menschliche DNA, was dann zu Mutationen in der DNA führen könnte. Dies ließ sich in vitro, also im Reagenzglas, bereits nachweisen (unter anderem in Bakterien), in vivo bislang nicht (untersucht wurde dies unter anderem in transgenen Nagern). Wie ist diese Mutagenität also zu bewerten?
Auf Grundlage der derzeitigen Daten, einschließlich der negativen In-vivo-Befunde, sowie der nur kurzfristigen Anwendung von Molnupiravir (fünf Tage Therapiedauer) halten die im FDA-Dokument zu Wort kommenden Experten „das Risiko der Genotoxizität nach einer Behandlung mit Molnupiravir für gering“. Die Reparaturmechanismen der DNA seien in menschlichen Zellen – anders als in bakteriellen Zellen, in welchen Molnupiravir sich teilweise als mutagen erwies – „sehr effizient“.
Keine Anwendung in der Schwangerschaft: Fehlbildungen möglich
Dennoch wird Molnupiravir aufgrund dieses möglichen mutagenen Potenzials in der Schwangerschaft nicht empfohlen.
Zudem liegen nichtklinische Studien zur Reproduktionstoxikologie an männlichen und weiblichen Ratten (Fertilitätsstudien), vorläufige Studien zur embryofetalen Entwicklung an Ratten und Kaninchen sowie eine Studie zur prä- und postnatalen (vor und nach der Geburt) Entwicklung bei Ratten vor. In der Regel erhielten die Tiere ein Vielfaches der Dosis, wie sie für Menschen eingesetzt wird.
Was in embryofetalen Entwicklungsstudien an Ratten beobachtet wurde, waren ein verringertes Körpergewicht des Fetus sowie äußere (Auge), viszerale (fehlende Niere, kardiovaskuläre Fehlbildungen) und skelettale Fehlbildungen (Abweichungen und Verzögerungen bei der Verknöcherung, erhöhtes Auftreten von Rippenfehlbildungen, Brustwirbel- und Lendenwirbelmissbildungen sowie Schädelfehlbildungen).
Aufgrund dieser nichtklinischen Befunde zur embryofetalen Toxizität und zur Knochen- und Knorpelbildung überwiegt laut dem FDA-Briefing-Document bei schwangeren Frauen der potenzielle Nutzen von Molnupiravir dessen mögliche Risiken möglicherweise nicht.
Hinzu käme, dass es für die Behandlung von leichtem bis mittelschwerem COVID-19 auch zugelassene Alternativen gebe, für die kein Sicherheitssignal hinsichtlich der embryofetalen Toxizität vorliege. Die Experten denken dabei an Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Sichere Verhütung für gebärfähige Frauen
Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte vor Anwendung von Molnupiravir eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Auch sollten sie während der Therapie sowie für vier Tage nach der letzten Dosis effektiv verhüten, so der Rat im FDA-Briefing-Document.
Eine hormonelle Verhütung ist nach derzeitigen Kenntnissen unproblematisch: Es liegen bislang keine Hinweise vor, dass Molnupiravir CYP-Enzyme oder P-Glykoprotein beeinflusst, sodass Molnupiravir mit hormonellen Verhütungsmitteln wahrscheinlich nicht wechselwirkt.
Gibt es Knochen- und Knorpelfehlbildungen unter Molnupiravir?
Auch für Knochen und Knorpel scheint Molnupiravir nicht ganz unkritisch, denn das Antiviralium kann die Entwicklung von Knochen und Knorpel nichtklinischen Daten zufolge beeinträchtigen. So wurde in einer dreimonatigen Studie an Ratten eine abnorme Knochen- und Knorpelbildung festgestellt.
Außerdem zeigten Ratten- und Kaninchenföten in Studien zur embryofetalen Entwicklung eine verzögerte und nur unvollständige Verknöcherung. Die Muttertiere waren während der Trächtigkeit etwa dem Sieben- bis Achtfachen der humanen Dosis ausgesetzt.
Molnupiravir nicht bei Kindern
Aufgrund dieser nichtklinischen Daten aus Tierstudien – in Verbindung damit, dass COVID-19 bei Kindern meist mild verläuft und es mit Antikörperpräparaten zugelassene Alternativen für Jugendliche, Kinder und sogar Neugeborene gibt – sind sich laut dem Briefing-Document die FDA sowie der Hersteller von Molnupiravir „einig, dass Molnupiravir nicht für die Anwendung bei Patienten unter 18 Jahren zugelassen werden soll“.
Vorsicht in der Stillzeit
Auch in der Stillzeit sollten Frauen wegen der möglichen Knochentoxizität – sowie der potenziellen Mutagenität – vorsichtig sein, denn: Molnupiravir war in Studien an Ratten auch im Plasma der gestillten Nachkommen nachweisbar.
Daten zur Muttermilchgängigkeit beim Menschen und den Auswirkungen auf den gestillten Säugling liegen derzeit zwar nicht vor, doch bestehe die Möglichkeit der Muttermilchgängigkeit auch beim Menschen, liest man in den Dokumenten der FDA.
Deshalb rät die FDA, für die Zeit der Behandlung und für vier Tage nach der letzten Molnupiravir-Dosis nicht zu stillen, sondern die Muttermilch abzupumpen und zu verwerfen.
Begünstigt Molnupiravir das Entstehen von Virusvarianten?
Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass eine Behandlung mit Molnupiravir die Rate an SARS-CoV-2-Viren mit Aminosäureveränderungen im Spike-Protein (Mutationen) erhöht und damit das Entstehen von Virusvarianten begünstigen könnte.
Allerdings unterliege das Spikeprotein „häufig genetischen Veränderungen“ und auch natürliche Immunreaktionen sowie andere antivirale Behandlungen oder Antikörperpräparate könnten die weitere Entwicklung von SARS-CoV-2 beeinflussen, so die Wissenschaftler im FDA-Briefing-Document.
Derzeit hegen sie nur geringe Bedenken, dass sich in einem einzelnen infizierten und mit Molnupiravir behandelten Patienten Virusvarianten mit Mutationen im Spikeprotein anreichern und der Patient diese weitergibt.
Wie sich dies jedoch klinisch und infektionsepidemiologisch auf die öffentliche Gesundheit auswirke – insbesondere bei einem nach erfolgter Zulassung erwartetem breiterem Einsatz von Molnupiravir –, sei bislang unklar.