Wie lange werden wir impfen müssen?: Wer braucht eine vierte Dosis und warum?
Die meisten Länder, die eine vierte Impfstoffdosis anbieten, sehen diese für schwer immunsupprimierte Menschen vor. Diese erhalten bereits im Rahmen der Grundimmunisierung drei Dosen und können zusätzlich geboostert werden.
STIKO: vierte Impfung bei immundefizienten Personen
Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) hat für Deutschland diese Empfehlung ausgesprochen und die Möglichkeit einer vierten Impfung eingeräumt: „Bei schwer immundefizienten Personen ab dem Alter von 5 Jahren mit einer erwartbar stark verminderten Impfantwort kann die 3. Impfstoffdosis bereits 4 Wochen nach der 2. Impfstoffdosis als Optimierung der primären Impfserie verabreicht werden. Über den Zeitpunkt einer Auffrischimpfung nach der primären Impfserie (bestehend aus 3 Impfstoffdosen) muss bei diesen Personen im Einzelfall entschieden werden“, erklärt die STIKO im Epidemiologischen Bulletin 2|2022.
Ähnliche Empfehlungen finden sich auch beim Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI), dem STIKO-Pendant des Vereinigten Königreiches: Immunsupprimierten Patienten, die eine dritte Dosis des Impfstoffs erhalten haben, sollte eine vierte Dosis angeboten werden, um ihre Immunantwort zu stärken, hieß es im November 2021 auf der Seite der britischen Regierung.
Immungeschwächte entwickeln häufig geringere Antikörperspiegel als Gesunde
Auch der Journalist Gareth Iacobucci beschäftigt sich im Fachjournal „BMJ“(„British Medical Journal“) aktuell mit der vierten Corona-Impfstoffdosis und mit der Frage, wer sie benötigt und aus welchen Gründen.
So gibt es Daten, die zeigen, dass 40 Prozent der schwer vorerkrankten Patienten (z. B. nach Organtransplantationen, mit hämatologischen Krebserkrankungen oder soliden Tumoren, schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz) nach nur zwei Corona-Impfungen geringere Antikörperspiegel entwickelten als gesunde Geimpfte.
11 Prozent der Patienten mit schwerer Immunsuppression bildeten der Octave-Studie zufolge gar keine Antikörper. Das soll nach drei statt nur zwei Dosen besser sein. So erklärt Michelle Willicombe, Fachärztin für Transplantationsnephrologie am Imperial College Healthcare NHS Trust in London – sie leitete in der Octave-Studie die Kohorte der Nierenpatienten –, gegenüber dem „BMJ“, es gebe Hinweise, dass etwa die Hälfte der Patienten ohne Antikörperreaktion nach zweifacher Impfung nach einer dritten Dosis „in irgendeiner Form“ ansprechen – was allerdings auch bedeute, dass ein erheblicher Teil der immungeschwächten Patienten auch nach der dritten Dosis noch keine Antikörperreaktion zeigt: „Einige immunsupprimierte Patienten zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen nach drei Dosen keine oder nur eine unzureichende Reaktion, so dass sie vier Dosen benötigen, um überhaupt etwas Erkennbares zu erhalten“, sagt Willicombe. Somit sei die Verabreichung von vier Dosen an immungeschwächte Patienten eine völlig andere Sache als bei der Allgemeinbevölkerung, bei der man nur die Immunantwort verstärken wolle.
Immungeschwächte Menschen, die auch nach vier Impfstoffdosen unzureichende Reaktionen zeigten, könnten dann eine Präexpositionsprophylaxe mit Antikörpern erhalten – derzeit zugelassen zur Präexpositionsprophylaxe in der EU sind Casirivimab/Imdevimab (Ronapreve®), in den USA dürfen hingegen Tixagevimab/Cilgavimab (Evusheld®) zur Corona-Prävention angewendet werden.
Vierte Impfung in Israel läuft bereits – nicht nur bei Immungeschwächten
Ein Land, das bei Impfungen stets vorneweg marschiert, ist Israel – sowohl bei den ersten beiden Impfdosen wie auch bei der dritten und vierten: Die vierte Impfdosis erhalten in Israel seit dem 3. Januar 2022 ab 60-Jährige, medizinisches Personal und Bewohner von Pflegeeinrichtungen – also nicht lediglich Immungeschwächte.
Israel stützt diese Empfehlung auf vorläufige Ergebnisse einer kleinen, noch unveröffentlichten israelischen Studie an 154 Krankenhausmitarbeitern, in der die Antikörperkonzentrationen nach einer vierten Impfstoffdosis um das Fünffache stiegen. Das gehe „höchstwahrscheinlich“ mit einem höheren Schutz vor Krankenhauseinweisung und schweren Verläufen einher, erklärte Israels Ministerpräsident Naftali Bennett.
Studien zu harten Endpunkten wie Tod fehlen
Willicombe findet dem Journalisten Gareth Iacobucci zufolge die israelischen Ergebnisse – dass eine vierte Dosis bei Gesunden die Antikörperspiegel erhöht – nicht überraschend. Die Frage müsse jedoch lauten, ob eine vierte Dosis bei Immungesunden überhaupt notwendig sei. Dafür seien jedoch Daten erforderlich, die nicht lediglich die Antikörpertiter untersuchten, sondern harte Endpunkte – wie Krankenhauseinweisungen oder Todesfälle.
Drei Impfungen verhindern Krankenhauseinweisungen besser als zwei
Solche Daten gibt es zumindest für eine dritte Impfstoffdosis: In einer britischen Untersuchung und einem Report der britischen Gesundheitsbehörde UKHSA (UK Health Security Agency) zufolge verringerte eine dritte Impfstoffdosis das Risiko für Krankenhauseinweisung nach Infektion mit der Omikron-Variante um 88 Prozent, während eine zweifache Impfung eine Krankenhauseinweisung nur zu 72 Prozent reduzierte.
Chef-Virologe der Berliner Charité, Professor Christian Drosten, bestätigte am 4. Januar im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ ebenfalls den Nutzen einer dritten Impfung: „Was also richtig schützt gegen Omikron, ist eine Dreifach-Impfung“, sagte Drosten.
Andere Impfungen umfassen auch vier Dosen
Die Corona-Impfung wäre nicht die erste Impfung, bei der vier Impfstoffdosen für einen vollständigen Impfschutz erforderlich wären. So gelten vier Impfstoffdosen bei Keuchhusten und Polio als Standardimpfung (drei Grundimmunisierungen und Auffrischimpfungen), erinnert Peter Openshaw, ein Immunologe und Professor für experimentelle Medizin am Imperial College London, im „BMJ“-Bericht und: „Dasselbe könnte auch für das Coronavirus gelten, aber wir müssen abwarten.“
Dass es für eine generelle Impfempfehlung für eine vierte Corona-Impfung derzeit noch zu früh ist, findet auch Professor Sandra Ciesek (Universitätsklinik Frankfurt am Main) im NDR-Corona-Podcast vom 21. Dezember: Viel helfe nicht immer viel. Auch ein Booster biete keinen hundertprozentigen Schutz, sodass vielleicht nur „bestimmte Gruppen“ geboostert werden könnten, ähnlich wie bei Influenza. Sie gibt, vor allem auch bei Jugendlichen, auch mögliche Nebenwirkungen – wie Myokarditiden – zu bedenken.
Auch Andrew Polland, Vorsitzender des JCVI, plädiert für eine gezielte weitere Boosterimpfung. Man könne nicht den ganzen Planeten alle sechs Monate impfen, erklärte er der britischen Zeitung „The Telegraph“ Anfang Januar. Man müsse sich künftig auf die „Schwachen“ konzentrieren und ihnen Auffrischungsimpfungen oder Behandlungen zur Verfügung stellen, um sie zu schützen.
Experten hoffen auf Übergang in Endemie
Die Hoffnung bei Immunologen wie DGfI-Präsidentin Falk ist, dass bei Corona nach dem Winter ein „schrittweiser Übergang in eine endemische Situation“ erfolgt. Das würde bedeuten, dass das Virus regional regelmäßig auftaucht und die meisten Menschen durch Impfung oder Infektion eine gewisse Immunität besitzen.
Wenn das nicht passiert, könnte die Mehrheit der Immungesunden im Herbst 2022 mit dem Booster-Booster wieder an der Impfreihenfolge sein. Dann werde hoffentlich eine Auffrischung mit einem angepassten Impfstoff zum Einsatz kommen, sagt Falk. Im Idealfall sei diese Gabe gekoppelt mit einer Impfung gegen die Influenza. Das würde heißen: Ein Arztbesuch, zwei Spritzen.
Hoffnung auf Impfstoff, der mehrere Corona-Varianten abdeckt
Und danach? Ulbert berichtet von Forschungen an einem Corona-Impfstoff, der gegen eine Vielzahl von Varianten wirken soll. „Es wäre toll, einen Impfstoff zu haben, der andere Varianten von SARS-CoV-2, aber auch andere Coronaviren mit abdeckt“, wagt der Experte einen Blick in die Zukunft.
Das heißt zum einen, man wäre auch für eventuelle künftige Pandemien besser gewappnet. Zum anderen bedeutet das aber auch: Mit dem Impfen gegen Corona wäre noch nicht Schluss.