Empfehlung der Gynäkologischen Fachgesellschaften: Schwangere und Stillende sollen sich gegen COVID-19 impfen lassen
Die STIKO rät derzeit nicht zur routinemäßigen COVID-19-Impfung von Schwangeren. Jedoch könnte Schwangeren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben, „in Einzelfällen nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher Aufklärung eine Impfung angeboten werden“, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI). Auch sei eine akzidentielle Impfung in der Schwangerschaft kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Diese Empfehlung könnte sich bald ändern – einen Vorstoß haben nun mehrere gynäkologische Fachgesellschaften, unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsheilkunde (DGGG) und der Berufsverband der Frauenärzte (BVF), unternommen.
Schwangere und Stillende bevorzugt mit mRNA-Impfstoffen impfen
Sie raten nun – wissend, dass ihre Empfehlung über die aktuelle STIKO-Empfehlung hinausgeht –, Schwangere und auch Stillende gegen COVID-19 zu impfen. Als geeignet halten die Fachgesellschaften für die Corona-Impfung Schwangerer vor allem die beiden bedingt zugelassenen mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Comirnaty®) und Moderna. „In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen wird empfohlen, schwangere und stillende Frauen priorisiert mit mRNA-basiertem Impfstoff gegen COVID-19 zu impfen“, erklären sie in einer gemeinsamen Stellungnahme, die PTAheute vorliegt. Davon unbenommen sollen nach Ansicht der Fachgesellschaften weiterhin – entsprechend der Coronavirus-Impfverordnung – die zwei engsten Kontaktpersonen der Schwangeren gegen COVID-19 geimpft werden. „Um Schwangere auch indirekt zu schützen, wird weiterhin die priorisierte Impfung von engen Kontaktpersonen von Schwangeren, insbesondere deren Partner sowie Hebammen und Ärzten empfohlen.“
Keine erhöhten Risiken für die Schwangere und das Baby
Laut den Fachgesellschaften führt die COVID-19-Impfung von Schwangeren mit mRNA-basierten Impfstoffen nicht vermehrt zu schwangerschaftsspezifischen Komplikationen. So gebe die systematische Nachbeobachtung von 100.599 mRNA-basiert geimpften Schwangeren im US-amerikanischen V-safe-Pregnancy-Register keine Hinweise auf vermehrte Komplikationen – wie Abort, Totgeburt, Frühgeburt, fetale Wachstumseinschränkung oder Versterben des Neugeborenen. Hierfür waren 4.711 Schwangerschaften ausgewertet worden. Die Schwangeren vertrugen die Impfung vergleichbar gut wie nicht schwangere Frauen. Die Daten hatten die CDC (Centers for Disease Control and Prevention) vor wenigen Tagen im „New England Journal of Medicine“ publiziert – PTAheute berichtete darüber. Auch seien weder für die Schwangere noch den Feten erhöhte Krankheits- oder Sterblichkeitsrisiken durch die COVID-19-Impfung bekannt. Zudem scheint die Impfantwort von Schwangeren robust. Impfinduzierte Antikörper konnten nach mRNA-basierter COVID-19-Impfung bei Schwangeren vergleichbar zu nicht Schwangeren nachgewiesen werden, wobei die Antikörpertiter signifikant höher gewesen seien als nach Infektion, schreiben die Fachgesellschaften.
Schutz des Säuglings durch mütterliche Antikörper
Die Impfung könne sogar durch über die Plazenta übertragene mütterliche Antikörper einen potenziellen Infektionsschutz (Leihimmunität) für das Neugeborene bewirken, erklären die Fachgesellschaften. Hinweise darauf gibt es bereits: So konnten einer Arbeit, veröffentlicht im „American Journal of Obstetrics & Gynecology“, zufolge „mütterliche IgG-Antikörper (…) mit hohem Übertrittsverhältnis beim Neugeborenen nachgewiesen werden“, heißt es in der Stellungnahme. Diesen positiven Effekt hatten auch die CDC im „NEJM“ in Aussicht gestellt. Das bedeutet: Durch Impfung in der Schwangerschaft kann neben der Schwangeren möglicherweise auch das Kind geschützt werden – was man bei anderen Impfungen, beispielsweise Grippe oder Keuchhusten, bereits aktiv nutzt.
COVID-19 verläuft bei Schwangeren häufiger schwerer
Diesen positiven Daten gegenüber steht ein erhöhtes Risiko von schwangeren Frauen für schwere COVID-19-Verläufe. Sie müssen laut den Fachgesellschaften 6-fach häufiger intensivmedizinisch betreut und 23-fach häufiger beatmet werden als nicht schwangere Frauen. Als weitere Risikofaktoren haben sich Vorerkrankungen wie Hypertonie oder Diabetes mellitus, mütterliches Alter über 35 Jahre und starkes Übergewicht (Adipositas) herauskristallisiert. Zudem gibt es Daten, die zeigen, dass mit SARS-CoV-2 infizierte Schwangere 26-fach häufiger versterben (141 Todesfälle von 100.000 Frauen verglichen mit 5 Todesfällen von 100.000 Frauen) und bei schweren Verläufen ihr Baby viermal häufiger zu früh zur Welt bringen. Das erhöhte Risiko für Frühgeburten wird mit 80 Prozent beziffert, ebenso die Gefahr einer Präeklampsie (bei symptomatischer SARS-CoV-2-Infektion). Auch die Rate an Totgeburten sei erhöht.
Neugeborene häufiger auf Intensivstation
Ein 4,5-fach erhöhtes Risiko besteht für thromboembolische Ereignisse bei SARS-CoV-2-Infektion und Neugeborene wurden 3-mal häufiger auf eine neonatologische Intensivstation verlegt. Eine mögliche SARS-CoV-2-Übertragung prä- und perinatal werde diskutiert, sei jedoch insgesamt selten.
Gut zu wissen: Andere Länder impfen Schwangere
In anderen Ländern impft man Schwangere bereits routinemäßig. So empfiehlt das Vereinigte Königreich (UK) seit April, dass sich schwangere Frauen mit einem mRNA-Impfstoff gegen COVID-19 impfen lassen sollen. UK hatte sich damals auf Daten von etwa 90.000 geimpften Schwangeren in den USA gestützt, die keine Sicherheitsbedenken ergeben hatten.
Auch Israel, Belgien und die Vereinigten Staaten impfen Schwangere bereits. In den USA erklären die CDC, dass jeder der zugelassenen Corona-Impfstoffe Schwangeren und Stillenden angeboten werden kann. Und auch das ACOG – American College of Obstetricians and Gynecologists – rät, dass Schwangeren und Stillenden eine COVID-19-Impfung nicht vorenthalten werden sollte.
Daten gibt es auch aus Deutschland. Den Fachgesellschaften zufolge waren im April 2021 im deutschen CRONOS-Register 1.905 SARS-CoV-2-positive Schwangerschaften dokumentiert. Davon musste jede 25. Schwangere intensivmedizinisch betreut werden, von denen benötigte jede Fünfte Atemunterstützung, jede Zehnte eine ECMO. Bezogen auf das Gesamtkollektiv in CRONOS starben 1 von 2.000 Frauen, was den international publizierten Daten von ca. 50 auf 100.000 Frauen entspreche. Hingegen lag 2016 die mütterliche Sterblichkeit in Deutschland bei 2,9 auf 100.000 Frauen.
Gut zu wissen: Was ist CRONOS?
CRONOS steht für COVID-19 Related Obstetric and Neonatal Outcome Study in Germany. Es ist eine prospektive Online-Register-Studie mit dem Ziel, deutschlandweit schwangere Frauen mit SARS-CoV-2-Infektion sowie ihre neugeborenen Kinder zu erfassen. Man will dadurch eine Grundlage zur Beratung Schwangerer und Betreuung der Neugeborenen schaffen. Sponsor der Studie ist die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM).
Warum können Schwangere nicht sofort geimpft werden?
Allerdings kann es trotz der positiven Einschätzung von elf gynäkologischen und pädiatrischen Fachgesellschaften nicht direkt losgehen mit der COVID-19-Impfung von Schwangeren. Warum? PTAheute hat bei Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte, nachgefragt. Er betont in diesem Zusammenhang die wichtige Rolle der STIKO: „In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen soll die mRNA-basierte Impfung gegen COVID-19 allen Schwangeren empfohlen und priorisiert ermöglicht werden, sobald das RKI, die STIKO, die Bundes- oder Länderregierung grünes Licht geben.“ Albring begründet das Warten auf die STIKO-Empfehlung mit haftungsrechtlichen Gründen. „Bei jeder Schwangerschaft sind Komplikationen möglich. Wenn diese während der Schwangerschaft in zeitlicher Nähe zu einer Impfung auftreten oder andere Schäden auftreten, sind Patientinnen und impfende Ärztinnen und Ärzte durch eine Staatshaftung geschützt. Das gilt nur, wenn eine Impfempfehlung des RKI, der STIKO, von Bundes- oder Länderregierungen vorliegt“, betont der BVF-Präsident. Eine alleinige Unterschrift einer gesunden Schwangeren unter ihrem Impfwunsch und der Aufklärung reiche nicht aus.
Auch Stillende sollen sich impfen lassen
Die Fachgesellschaften empfehlen auch die COVID-19-Impfung von Stillenden mit mRNA-basierten Impfstoffen. Sie wiesen eine gleichwertige Antikörperbildung und ein ähnlich geringes Nebenwirkungsprofil wie in der Schwangerschaft und bei nicht schwangeren Frauen auf. Zudem könne eine Nestimmunität hervorgerufen werden, da impfinduzierte Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen werden konnten. Eine Stillpause oder -verzicht sei aufgrund einer Impfung nicht erforderlich, da die mRNA des Impfstoffes nicht in der Muttermilch nachgewiesen werden konnte.