COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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Kommt eine Corona-Impfpflicht in der Schweiz?

Nahaufnahme des Impfbuchs
Ein neues Gesetz könnte den Schweizer Bundesrat dazu ermächtigen, eine Corona-Impfpflicht einzuführen. | Bild: Zerbor / Adobe Stock

Planen die Schweizer eine Impfpflicht gegen Corona? Ein Gesetzentwurf vom 19. Juni 2020 berücksichtigt zumindest die Möglichkeit. Das „Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der  COVID-19-Epidemie (COVID-19-Gesetz)“ – beziehungsweise aktuell noch der Entwurf dazu – räumt dem Schweizer Bundesrat besondere Befugnisse ein, damit dieser notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung und Bewältigung der COVID-19-Epidemie auch weiterhin fortführen oder anpassen kann. In Artikel 1 des COVID-19-Gesetzes wird folglich definiert:

„Dieses Gesetz regelt besondere Befugnisse des Bundesrates zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie und zur Bewältigung der Auswirkungen der Bekämpfungsmaßnahmen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Behörden. Der Bundesrat macht von diesen Befugnissen nur so weit Gebrauch, als dies zur Bewältigung der COVID-19-Epidemie notwendig ist.“

Keine „Pandemie“ in der Schweiz

Die Schweizer verzichten bewusst auf den Begriff „Pandemie“, weil dieser dem schweizerischen Epidemierecht fremd sei. Zudem könnte er spätestens dann zu Unsicherheiten führen, wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die weltweite Pandemie für beendet erkläre, in der Schweiz aber weiterhin gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe und Rechte und Pflichten nur an den Begriff der Pandemie geknüpft seien. Das Gesetz ist befristet, der Bundesrat darf jedoch von seinen Befugnissen nur so lange Gebrauch machen, wie es die Bewältigung der COVID-19-Epidemie erfordere, liest man. Das bedeutet: Nicht alle Maßnahmen gelten zwingend bis zum Ende der Geltungsdauer des Gesetzes.

Der Bundesrat in der Schweiz

„Die wichtigste Aufgabe des Bundesrats ist das Regieren“, definiert der Bundesrat seine eigene Zuständigkeit und bezieht sich dabei auf die Schweizer Verfassung. „Laut Verfassung:

  • bestimmt der Bundesrat die Ziele seiner Politik und plant den Einsatz der für die Zielerreichung nötigen Ressourcen;
  • informiert er die Öffentlichkeit rechtzeitig über seine Tätigkeiten.“

Doch damit sind die Aufgaben des Bundesrats nicht hinreichend erschöpft, denn seine weiteren Zuständigkeiten fallen in den Bereich der Rechtsetzung und in den Vollzug des Rechts. „Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament Vorschläge für die Umsetzung von Volksinitiativen und für Gesetze. In eigener Kompetenz erlässt er in Verordnungen die Ausführungsbestimmungen zu Gesetzen. Er vollzieht Beschlüsse der Bundesversammlung, die nicht dem Referendum unterstehen, zum Beispiel Aufträge für Planungen“, so auf der Internetpräsenz des Bundesrates zu lesen.

Schweiz: Bundesrat darf „Impfungen für obligatorisch erklären“

Konkret kümmert sich Artikel 2 im COVID-19-Gesetz um diese „Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie“. Dort steht: „Der Bundesrat kann Maßnahmen zur Verminderung des Übertragungsrisikos und zur Bekämpfung der durch das Coronavirus verursachten Krankheit (COVID-19) anordnen.“ Genaueres steht dort nicht, doch Näheres erfährt man in einem „Erläuternden Bericht“ des Bundesamtes für Justiz zum geplanten COVID-19-Gesetz. Dort wird „Artikel 2 im Einzelnen kommentiert“, der den Bundesrat ermächtigt, „in einer besonderen Lage nach Artikel 6 Epidemiegesetz […] nach Anhörung der Kantone in Bezug auf COVID-19“ bestimmte Maßnahmen anzuordnen. Hier wird es interessant.

Denn darunter fallen Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen, wie die flächendeckende Anordnung einer Quarantäne für alle Kontaktpersonen, oder gegenüber der Bevölkerung. Letzteres bedeutet, Veranstaltungen oder Aktivitäten können verboten oder eingeschränkt werden oder Schulen geschlossen. Zudem kann der Bundesrat „Ärztinnen, Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen verpflichten, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken“ und – zu guter Letzt: „Impfungen für obligatorisch erklären“, liest man dort.

Lukas Hässig, Zürcher Wirtschaftsjournalist und Herausgeber von „Inside Paradeplatz“, einem Schweizer Finanz-News-Portal, fasst es in seinem Beitrag „Bern plant still und leise COVID-Impfzwang“ wie folgt zusammen: „Die sieben obersten Politiker der Schweiz wollen vom Parlament grünes Licht, dass sie im Fight gegen SARS-CoV-2 die ganze Bevölkerung zwingen können, sich impfen zu lassen.“

Impfobligatorium bereits im Epidemigesetz

Doch ist das wirklich neu? Ein Blick ins Epidemiegesetz beziehungsweise dem „Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen“ (verabschiedet 3.12.2010, Stand 25. Juni 2020) zeigt, dass dem Bundesrat diese Möglichkeit schon vor Corona eingeräumt wurde. Nicht zuletzt bezieht sich der Passus im Erläuternden Bericht zum COVID-19-Gesetz ja auf das EpG. Schon dort finden sich „Maßnahmen“, die der Bundesrat nach Anhörung der Kantone anordnen kann, wenn eine „besondere Lage“ vorliegt.

Eine „besondere Lage“ definiert Artikel 6 dieses Epidemiegesetzes, wenn „ordentliche Vollzugsorgane nicht in der Lage sind, den Ausbruch und die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen“ und Gefahr für eine erhöhte Ansteckung und Ausbreitung, für die öffentlichen Gesundheit und für schwerwiegende wirtschaftliche  Auswirkungen besteht.

Eine „besondere Lage“ liegt laut EpG außerdem vor, wenn „die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt hat, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht.“

Epidemiegesetz: Impfpflicht „bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen“

Und neben Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen und der Bevölkerung, kann der Bundesrat bereits nach EpG anordnen, dass Ärzte bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken haben und: „Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären.“

Auf diese „Obligatorische[n] Impfungen“ geht Artikel 22 EpG nochmals genauer ein: „Die Kantone können Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht“, liest man schon seit Jahren im Epidemiegesetz. Was ist also der akute „Aufreger“ bei Corona?

Der Teufel steckt im Detail: Impflicht nur „besonders Gefährdete“ oder für alle?

Wer genau liest, findet zwischen dem Gesetzentwurf zum Corona-Gesetz und dem bereits seit Jahren verabschiedeten Epidemiegesetz einen kleinen, aber vielleicht ausschlaggebenden, Unterschied. Denn im Corona-Gesetz fehlt ein Zusatz: „gefährdete Bevölkerungsgruppe“. Ist eine Corona-Impfpflicht vielleicht für alle „geplant“?

Christoph Pfluger, ebenfalls Autor bei Inside Paradeplatz, zweifelt in seinem Beitrag „Nicht das Virus startet die zweite Welle, sondern der Bundesrat“, ob die nun geplanten Möglichkeit zur Corona-Impfpflicht sodann auch „auf gefährdete Bevölkerungsgruppen“ beschränkt bleibe: „Obwohl das Gesetz das Obligatorium beschränkt, könnten durchaus alle als ,gefährdet‘ bezeichnet werden“, gibt er zu bedenken.

Ein Viertel „gefährdet“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) überschlug bereits im Mai im Beitrag „Der Bundesrat könnte eine Impfpflicht beschliessen – es droht ein Streit wie zu Gotthelfs Zeiten“ von Daniel Gerny, wie viele Schweizer allein geimpft würden, wenn nur „gefährdete Bevölkerungsgruppen“ oder „besonders exponierte Personen“ berücksichtigt würden. Gerny schreibt: „Rechnet man alle über 65-Jährigen, sämtliche Personen mit Vorerkrankungen sowie das Personal von Spitälern und Pflegeheimen zusammen, wäre wohl weit mehr als ein Viertel der schweizerischen Bevölkerung betroffen.“ Bei Auslegung des Gesetzentwurfes nach Inside-Paradeplatz-Autor Pfluger wäre diese Berechnung ohnehin hinfällig.

„Impfobligatorium“ abhängig von vielen Faktoren

Allerdings, so NZZ-Autor Gerny, – so „eindeutig der Gesetzeswortlaut scheint“ – sei keineswegs klar, was dann tatsächlich passiere,  wenn endlich ein Impfstoff vorhanden sei. Gerny beruft sich auf Juristen, denen zufolge der Bundesrat zwar die Impfpflicht beschließen kann, „doch vieles hängt von den Umständen ab, also beispielsweise davon, wie wirkungsvoll ein Serum ist oder wie bedrohlich sich die Gesundheitssituation präsentiert“, relativiert der NZZ-Beitrag. Und: Noch ist ohnehin alles Zukunftsmusik – es gibt derzeit keinen COVID-19-Schutz. Und wann der erste auf den Markt kommt, ist aktuell reine Spekulation, es wird viel geforscht, es gibt zahlreiche Ansätze und potenzielle Kandidaten, doch Vieles ist auch noch unklar: Wie, ob durch die in Studien eingesetzten Vakzinen produzierten Antikörper überhaupt vor Corona schützen oder wie lange eine mögliche Immunität anhält beispielsweise.

Strafen bei Missachtung?

Und was passiert, wenn ein Schweizer sich weigert, sich „pflichtimpfen“ zu lassen? Zumindest unter den „Strafbestimmungen“ in Kapitel 11 des geltenden Epidemiegesetzes finden sich keine rechtlichen Folgen, wenn der Impfpflicht nicht nachgekommen wird. Explizit genannt wird Artikel 6 nicht, hingegen drohen Konsequenzen, wenn man sich beispielsweise „einer angeordneten Quarantäne oder Absonderung entzieht (Art. 35)“ oder nach Artikel 36 „sich einer angeordneten ärztlichen Untersuchung entzieht“.

Eine „Lex imperfecta“ – mit Hintertürchen – wie der NZZ-Autor schreibt. Allerdings beruft er sich auch auf Juristen, die eine Buße wegen „Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen“ (Artikel 292 des Strafgesetzbuches), zumindest in der Theorie, nicht vollständig ausschließen wollen.

Und wie sieht es der Entwurf zum COVID-19-Gesetz vor?

Im aktuellen Gesetzentwurf anlässlich der Corona-Epidemie räumt sich der Bundestag unter „Artikel 11 Strafbestimmungen“ ein: „Mit Buße wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig den Maßnahmen zuwiderhandelt, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 2 anordnet“. Zur Erinnerung: In Artikel 2 findet sich die mögliche Impfpflicht zum Coronaschutz. Im Erklärenden Bericht des Bundesamts für Justiz wird genauer erläutert: „Die COVID-19-Verordnung 2 sieht für Verstöße gegen bestimmte Maßnahmen (z. B. das Verbot von Menschenansammlungen) Bußen vor. Absatz 1 gibt dem Bundesrat die Befugnis, Verstöße gegen Maßnahmen, die er in Anwendung von Artikel 2 anordnet, als Übertretung (,Mit Buße wird bestraft …‘) für strafbar zu erklären“.

Außerdem räumt sich der Bundesrat durchaus Flexibilität ein: „Es obliegt dem Bundesrat festzulegen, Verstöße gegen welche der Maßnahmen als Übertretungen bestraft werden sollen.“ Der Bundesrat darf also entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Verstöße gegen seine angeordnete Maßnahmen nach Artikel 2 im „Ordnungsbußverfahren“ geahndet werden. Er bestimmt auch die Höhe des Bußgeldes, „wobei er an den Höchstbetrag von 300 Franken (…) gebunden ist.“

Wichtig ist dem Bundesamt für Justiz, dass mit der neuen Regelung im COVID-19-Gesetz ausdrücklich festgelegt ist,  dass sowohl „die vorsätzliche und die fahrlässige Begehung strafbar sind“. Demgegenüber sage „die geltende COVID-19-Verordnung 2 diesbezüglich nichts“.  Doch das hat laut dem Bundesamt für Justiz keine Konsequenzen, schon heute sei die vorsätzliche und die fahrlässige Begehung strafbar, sodass zwischen dem geltenden und dem vorgeschlagenen Recht keine materielle Änderung bestehe. Vielmehr stelle die vorgeschlagene Regelung mit der expliziten Nennung von Vorsatz und Fahrlässigkeit bloß klar, was bereits heute gelte.

Alles kann, nichts muss?

Allerdings: Die COVID-19-Verordnung 2 vom 13. März 2020, auf die sich dieser Passus bezieht, wurde mittlerweile aufgehoben und von der COVID-19-Verordnung 3 abgelöst, die am 22. Juni 2020 in Kraft trat und „unter dem Vorbehalt“ bis zum 13. September 2020 gilt. Der Vorgänger, die „COVID-19-Verordnung 2“, stützte sich seit dem 16. März 2020 auf Artikel 7 EpG von 2012, der voraussetzt, dass eine „außerordentliche Lage im Sinne des EpG“ vorliegt. Die Geltungsdauer war auf sechs Monate nach Inkrafttreten ausgelegt, womit sie am 12. September 2020 ausgelaufen wäre. Hingegen die COVID-19-Verordnung 3 stützt sich auf Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung, die „Äußere und innere Sicherheit“. Dort liest man, beginnend mit Absatz 1: „Der Bundesrat trifft Maßnahmen zur Wahrung der äußeren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz“, in Absatz 3 folgt: „Er kann, unmittelbar gestützt auf diesen Artikel, Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äußeren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen.“ Was ist die Quintessenz des Entwurfs zum COVID-19-Gesetz zur Impfobligation bei Corona durch den Schweizer Bundesrat? Alles kann, nichts muss?

Noch liegt lediglich ein Gesetzentwurf des Schweizer Bundesrats vor. Derzeit findet bis 10. Juli 2020 eine sogenannte Vernehmlassung statt, ein Verfahren, in dem sich alle wichtigen Instanzen noch äußern können.

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