Ist die COVID-19-Impfung für Stillende sicher?
Derzeit dürfte kaum eine stillende Frau in die Verlegenheit kommen, eine Impfung gegen COVID-19 angeboten zu bekommen: Geimpft werden vor allem über 80-Jährige und medizinisches Personal. Doch mit zunehmender Anzahl verfügbarer Impfdosen kommt auch die Frage auf, ob eine COVID-19-Impfung für die Stillende und den Säugling sicher ist. Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und die Nationale Stillkommission (NSK) haben nun gemeinsam Hinweise zur Impfung von stillenden Frauen gegen COVID-19 herausgegeben.
Nutzen überwiegt bei erhöhtem Risiko die Bedenken
Ihre Botschaft: „Der potenzielle Nutzen der Impfung überwiegt bei Stillenden mit erhöhtem COVID-19-Risiko die theoretischen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Impfung deutlich.“
Nach bisherigem Kenntnisstand sei mit der Verabreichung von Nicht-Lebendimpfstoffen während der Stillzeit kein erhöhtes Risiko für die Stillende oder den Säugling verbunden. Allerdings lägen zur Anwendung von mRNA-Impfstoffen in der Stillzeit, etwa zum Einfluss auf den gestillten Säugling oder die Muttermilchproduktion/-sekretion, bisher keine Daten vor.
STIKO: unwahrscheinlich, dass Impfung ein Risiko darstellt
Eine Routineimpfung aller Stillenden empfehlen auch die Fachgesellschaften aktuell nicht, schon allein, da der Impfstoff knapp ist und dieser nach der Coronavirus-Schutzimpfungsverordnung zunächst Personen mit hoher Priorität angeboten wird. In diese Gruppe gehören Stillende nicht. In ihrer „STIKO-Stellungnahme zur COVID-19-Impfung“ schreibt die Ständige Impfkommission: „Zur Anwendung der mRNA-Impfstoffe in der Schwangerschaft und Stillzeit liegen aktuell keine Daten vor. Die STIKO empfiehlt die generelle Impfung in der Schwangerschaft derzeit nicht.“ Und weiter: „Die STIKO hält es für unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstellt.“
Eine grundsätzliche Routineimpfung aller Stillenden wird derzeit auch auf Basis der aktuell limitierten Impfstoffressourcen mehrheitlich von den Fachgesellschaften nicht empfohlen.
Auch die US-amerikanische „Society for Maternal Fetal Medicine“ (SMFM) sieht keinen Grund zu der Annahme, dass der Impfstoff ein Sicherheitsrisiko in der Stillperiode für Mutter und/oder Säugling darstellt. Ein biologisch nachvollziehbarer Mechanismus, der Schaden verursachen könnte, sei derzeit nicht bekannt. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen jedoch laut den Fachgesellschaften keine aussagekräftigen Studien zum Übertritt von Impf-Bestandteilen in die Muttermilch vor.
Schutz des Säuglings durch mütterliche Antikörper
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt zum Biontech/Pfizer-Impfstoff BNT162b2: „Es wird erwartet, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs bei stillenden Frauen ähnlich sein wird wie bei anderen Erwachsenen. Es gibt jedoch keine Daten über die Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen bei stillenden Frauen oder über die Auswirkungen von mRNA-Impfstoffen auf gestillte Kinder. Da BNT162b2 kein Lebendvirus-Impfstoff ist und die mRNA nicht in den Zellkern gelangt und schnell abgebaut wird, ist es biologisch und klinisch unwahrscheinlich, dass er ein Risiko für das gestillte Kind darstellt.“ Deswegen soll nach Ansicht der WHO einer stillenden Frau, die zu einer für die Impfung empfohlenen Gruppe gehört, etwa Gesundheitspersonal, die Impfung auf einer gleichwertigen Basis angeboten werden. Zudem empfiehlt die WHO nicht, das Stillen nach der Impfung zu beenden.
In ihren Hinweisen zur COVID-19-Impfung während der Stillzeit greifen die Fachgesellschaften diese Empfehlung der WHO auf: Der Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion für die stillende Frau sei mit dem gleichen hohen Wirkungsgrad der Impfung anzunehmen, wie dies in den bisherigen Studien für nicht stillende Frauen gezeigt werden konnte, auch wenn detaillierte Angaben hierzu fehlten. Vor allem bei persönlichen, durch Komorbiditäten oder Exposition bedingten Risiken für einen schweren COVID-19-Verlauf wie bestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Autoimmunerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem sowie Diabetes mellitus, Hypertonie und Adipositas überwiege der potenzielle Nutzen der Impfung die theoretischen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Impfung deutlich.
Maternale Antikörper für den Säugling
Laut DGPM, DGGG und der Nationalen Stillkommission gibt es Einzelberichte von schweren oder kritischen COVID-19-Fällen bei Kindern unter zwölf Monaten. Säuglinge wiesen per se jedoch keine höhere Infektionswahrscheinlichkeit auf und ihre Infektionen verliefen häufig asymptomatisch oder mild. „Durch Immunisierung der Mutter kann jedoch das Risiko für eine kindliche Infektion minimiert werden“, da durch Impf-Immunisierung gebildete Antikörper nach Sezernierung in die Muttermilch einen potenziellen Infektionsschutz für den Säugling darstellten.
Auch wenn gesicherte Daten ausstünden, könne eine durch Muttermilch übertragene schützende Immunität eine passive Präventionsstrategie zum Schutz des Säuglings darstellen. Dieses Prinzip wird bei Impfungen von Schwangeren aktiv verfolgt. So hat beispielsweise im Falle des Influenzaschutzes (Schwangere sollen sich ab dem zweiten Trimenon gegen Grippe impfen) Vaxigrip Tetra sogar eine explizite Zulassung für die passive Immunisierung des Säuglings bis zum Alter von sechs Monaten durch Impfung der werdenden Mutter.
IgA-, IgM- und IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 in der Muttermilch
Auch bei SARS-CoV-2 konnten virusspezifische IgA-, IgM- und IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 in der Muttermilch von Frauen mit aktiver oder durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft nachgewiesen werden. Neutralisierende Antikörper nach Infektion oder Impfung stellen zum jetzigen Zeitpunkt das beste humorale Immunkorrelat zum Schutz vor einer Infektion dar.
Daher sollten in der Beratung und Aufklärung die (potenziellen) Vorteile einer Impfung für Mutter und Säugling dargestellt und eine gemeinsame Entscheidungsfindung ermöglicht werden, betonen DGPM, DGGG und die Nationale Stillkommission. Der Entwicklungs- und Gesundheitsnutzen des Stillens sollte dabei zusammen mit dem klinischen Bedarf der Frau an einer Immunisierung gegen COVID-19 (in Abhängigkeit von Risikofaktoren für eine SARS-CoV-2-Infektion/schwere COVID-19) berücksichtigt und über das Fehlen von Sicherheitsdaten für den Impfstoff bei stillenden Frauen informiert werden.
Stillpause von ein bis drei Tagen
Bei erhöhtem Sicherheitsbedürfnis der Stillenden raten die Experten, einen individuellen still-freien Zeitraum von ein bis drei Tagen nach der Impfung in Erwägung zu ziehen. Internationale Empfehlungen sehen hier jedoch keine Notwendigkeit für die Verzögerung eines Stillbeginns, einer Stillunterbrechung oder des Abstillens nach Impfung.