COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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Hilft Impfen gegen Long COVID?

Vials mit den Corona-Impfstoffen
Sollten sich Menschen, die mit Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung kämpfen, impfen lassen? | Bild: IMAGO / newspix

„Aufgrund der Immunität nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion und in Anbetracht des weiterhin bestehenden Impfstoffmangels sollten immungesunde Personen, die eine SARS-CoV-2- Infektion durchgemacht haben, nach Ansicht der STIKO zunächst nicht geimpft werden“, erklärt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) im Beschluss der STIKO zur 3. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und in der dazugehörigen wissenschaftlichen Begründung im Epidemiologischen Bulletin 12|2021. So belegten die derzeit verfügbaren klinischen und immunologischen Daten eine Schutzwirkung für mindestens sechs bis acht Monate nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion, sodass frühestens sechs Monate nach Genesung beziehungsweise Diagnosestellung eine COVID-19-Impfung erwogen werden sollte. Nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion reicht nach Einschätzung der STIKO eine einzige Impfstoffdosis aus, da sich dadurch bereits hohe Antikörpertiter erzielen ließen, die durch eine zweite Impfstoffdosis nicht weiter gesteigert würden.

Große Unsicherheit bei Corona-Impfung nach SARS-CoV-2-Infektion

Doch was ist eigentlich mit COVID-19-Patienten, denen nach überstandener Akuterkrankung die Langzeitfolgen von COVID-19 – Long COVID – zu schaffen machen? Laut den Wissenschaftlern um Dr. David T. Arnold von der Academic Respiratory Unit, North Bristol NHS Trust (Bristol, Vereinigtes Königreich), deuten Berichte sowohl auf einen möglichen Nutzen wie auch auf eine Verschlechterung der Symptome nach Corona-Impfung hin. Diese Ungewissheit führe zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Corona-Impfung von Long-COVID-Patienten, schreiben sie einleitend in ihrem Beitrag auf dem Preprint-Server medRxiv. 

Gut zu wissen: Long COVID – das sind die Symptome

Auch wenn die akute Phase der SARS-COV-2-Infektion vorüber ist, können Symptome bleiben, die Wochen oder Monate andauern. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zählen das chronische Erschöpfungssyndrom, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und Schlafstörungen zu den fünf häufigsten neurologischen Long-COVID-Symptomen. Langzeitfolgen nach Infektionen sind jedoch kein Alleinstellungsmerkmal von SARS-CoV-2: Dem Robert Koch-Institut zufolge können auch bei anderen Infektionen mit Pneumonie längere Genesungszeiten möglich sein.

Bislang gibt es für die Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion jedoch keine einheitliche Definition, die Symptome äußern sich klinisch vielfältig. Das RKI weiß von „organspezifischen Langzeitfolgen“ aufgrund intensivmedizinischer Betreuung. Doch auch Patienten mit lediglich milden COVID-19-Verläufen klagten über längerfristige Müdigkeitserscheinungen, Merkstörungen, Gedächtnisprobleme oder Wortfindungsstörungen, berichtet das RKI. Daneben seien „ungewöhnliche Symptome“ – plötzliches Erbrechen, starker Schwindel – beobachtet worden. Einer Studie zufolge zählten Alter, Übergewicht und weibliches Geschlecht zu den wesentlichen Risikofaktoren. Bei den 4.182 analysierten COVID-19-Fällen war Long COVID durch Müdigkeit, Kopfschmerzen, Dyspnoe und Anosmie (Riechverlust) gekennzeichnet. Bei 13,3 Prozent der Erkrankten hielten die Symptome länger als vier Wochen an, bei 4,5 Prozent länger als acht Wochen und bei 2,3 Prozent länger als zwölf Wochen.

Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) – das britische Pendant des deutschen IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) – spricht von „Long COVID“, wenn klinische Anzeichen und Symptome von COVID-19 nach akuter Infektion fortbestehen oder sich entwickeln – anhaltendes COVID-19 über vier bis zwölf Wochen oder Anzeichen und Symptome, die sich während oder nach COVID-19 entwickeln, länger als zwölf Wochen anhalten und nicht durch eine alternative Diagnose erklärt werden. Das NICE beschreibt die Long-COVID-Symptome mit Kurzatmigkeit, Husten, Engegefühl oder Schmerzen in der Brust, Herzklopfen, Müdigkeit, Fieber, Schmerzen, kognitive Beeinträchtigung („Gehirnnebel“, Konzentrationsverlust oder Gedächtnisprobleme), Kopfschmerzen, Schlafstörung, periphere Neuropathie-Symptome (Kribbeln und Taubheitsgefühl), Schwindel, Delirium (in älteren Bevölkerungsgruppen), abdominaler Schmerz, Übelkeit, Durchfall, Anorexie und verminderter Appetit (in älteren Bevölkerungsgruppen), Gelenk- und Muskelschmerzen, Symptome einer Depression und von Angstzuständen, Tinnitus, Ohrenschmerzen, Halsweh, Verlust von Geschmack und/oder Geruch, Hautausschläge.

Vergleich: Corona-Patienten impfen oder nicht – gibt es Unterschiede?

Die Wissenschaftler untersuchten 66 Patienten, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden, und zwar drei Monate und acht Monate nach stationärer Aufnahme. Das Gros der Patienten, stellten die Wissenschaftler fest, war nach acht Monaten „hochgradig“ symptomatisch für Long COVID: 82 Prozent der bereits an Corona Erkrankten hatten mindestens ein anhaltendes Symptom, die meisten berichteten über Müdigkeit (Fatigue) mit 61 Prozent, Atemnot (50 Prozent) und Schlaflosigkeit (38 Prozent). Nach acht Monaten wurden von den 66 Patienten insgesamt 250 Symptome berichtet: 91 in der ungeimpften Kohorte, 159 in der geimpften Kohorte. Das entspricht durchschnittlich 4,1 beziehungsweise 3,6 Symptomen pro Patient.

Impfung mit Biontech/Pfizer oder AstraZeneca

Im Folgenden erhielten 44 der bereits an COVID-19 Erkrankten eine Corona-Impfung, entweder mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty® von Biontech/Pfizer oder dem vektorbasierten von AstraZeneca. 22 Studienteilnehmer wurden hingegen nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung nicht geimpft. Einen Monat nach Impfung erhoben die Wissenschaftler bei den Geimpften und Nicht-Geimpften die Lebensqualität (SF-36) und das psychische Wohlbefinden (WEMWBS) sowie die anhaltenden Symptome und verglichen diese mit den jeweils berichteten Symptomen vor der Corona-Impfung.

Long COVID verschlechtert sich nicht durch Impfung

Die Wissenschaftler konnten keine signifikante Verschlechterung der Lebensqualität oder des psychischen Wohlbefindens vor und nach der Impfung ausmachen. Über vorübergehende Nebenwirkungen, wie Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen, nach Impfung berichteten fast zwei Drittel (27) der Geimpften. Allerdings besserten sich bei den Geimpften im Allgemeinen die Long COVID-Symptome „leicht“: Bei den Geimpften hatten sich einen Monat nach Impfung 9 von 159 Symptomen (5,6 Prozent) verschlechtert, die Ungeimpften berichteten zu diesem Zeitpunkt, dass sich 13 von 91 (14,3 Prozent) ihrer Symptome verschlimmert hätten.  Jeweils etwa 70 Prozent der Symptome blieben sowohl bei den Geimpften wie auch bei den Ungeimpften gleich. Hingegen besserten sich bei Geimpften 23,2 Prozent ihrer Symptome, die Ungeimpften berichteten, dass sich 15,4 Prozent ihrer Symptome gebessert hätten.

Corona-Impfung sicher

„Beim Vergleich von geimpften und ungeimpften Teilnehmern gab es mehr Symptome, die sich verbesserten, und weniger, die sich verschlechterten“, dies sei ein „beruhigendes“ Ergebnis, schlussfolgern die Wissenschaftler. Der Erhalt einer Impfung mit einem mRNA- oder adenoviralen Vektorimpfstoff gegen SARS-CoV-2 sei nicht mit einer Verschlechterung der Symptome oder der Lebensqualität bei Patienten mit Long COVID assoziiert gewesen. Die Studienautoren empfehlen, Personen mit lang anhaltenden COVID-19-Symptomen entsprechend der nationalen Leitlinien zu impfen.

Stärken und Schwächen der Studie

Laut den Wissenschaftlern zählt zu den Stärken der Studie die unselektierte Rekrutierung von Patienten und eine robuste Bewertung des Gesundheitszustands zu mehreren Zeitpunkten, was ermögliche, die potenzielle Impfstoffwirkung auf den Symptomstatus bei symptomatischen Teilnehmern zu messen. Allerdings, schränken die Forscher ein, sei die Stichprobengröße klein, da nur wenige Teilnehmer in die Studie eingeschlossen waren. Zudem seien alle COVID-19-Patienten zuvor hospitalisiert gewesen – man könne die Ergebnisse nicht einfach auf Patienten übertragen, die nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten, „obwohl es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass der Effekt anders wäre“, schätzen die Studienautoren. Schließlich sei jedoch die offensichtlichste Verzerrung die fehlende Verblindung der Teilnehmer und die Tatsache, dass geimpfte Teilnehmer sich hinsichtlich Alter und Begleiterkrankungen von den Ungeimpften unterschieden, was dem Impfprogramm im Vereinigten Königreich geschuldet ist, das, wie auch Deutschland, Ältere bevorzugt.

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