Überdosis und Einnahmefehler: Nahrungsergänzungsmittel können der Leber schaden
Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind aus der modernen Zeit nicht mehr wegzudenken. Vor allem in den sozialen Netzwerken werden sie angepriesen und versprechen mehr gesundheitliches Wohlbefinden.
Diese Beliebtheit spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen wider: Einer Untersuchung zufolge nehmen drei von vier Deutschen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel ein. Am beliebtesten sind Vitamine, welche u. a. in Immunpräparaten enthalten sind, gefolgt von Mineralstoffen wie Magnesium oder Zink. Auch Kräuterextrakte und pflanzliche Ergänzungsmittel werden regelmäßig eingenommen.
Dabei kann die regelmäßige Einnahme auch schwerwiegende Folgen für die Lebergesundheit haben, wie eine aktuelle Querschnittsstudie aus den USA zeigt.
Zur Erinnerung: Was zeichnet NEM aus?
Gemäß § 1 Abs. 1 Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) müssen NEM drei spezifische Voraussetzungen erfüllen:
- Sie sind dazu bestimmt, „die allgemeine Ernährung zu ergänzen“.
- Sie müssen „in dosierter Form“ (z. B. als Tabletten, Kapseln, Pulver, Tropfen) in den Verkehr gebracht werden.
- Sie stellen „ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ dar.
Unter Nährstoffen werden hierbei Vitamine und Mineralstoffe inklusive Spurenelemente verstanden. Welche Nährstoffe in NEM eingesetzt werden dürfen, ist in der Anlage zur europäischen Verordnung geregelt. Die „sonstigen Stoffe“ sind nicht weiter erklärt.
Querschnittsstudie aus den USA: Leberschäden unter NEM häufen sich
In den USA geht man davon aus, dass jeder fünfte Leberschaden mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in Zusammenhang steht. Ein nationales Beobachtungsprogramm fand heraus, dass sich diese Problematik zwischen 2005 und 2014 fast verdreifacht hat.
Zurückzuführen ist dies vor allem auf spezielle pflanzliche Extrakte, die bei Überdosierung oder falscher Einnahme die Leber schädigen können. Dazu zählen Curcuma, Grüntee-Extrakt, Traubensilberkerze, Tamarinde, Ashwagandha und Rotschimmelreis.
Gut zu wissen: Einsatzgebiete von pflanzlichen NEM
- Curcuma (Wurzel von Gelbwurz, Curcuma longa): Therapie oder Prophylaxe von Arthritis oder anderen Gelenkerkrankungen
- Traubensilberkerze (Wurzelstock, Cimicifuga racemosa): Linderung von Wechseljahresbeschwerden
- Tamarinde (Garcinia cambogia): Gewichtsreduktion
- Rotschimmelreis (roter, fermentierter Reis): positive Auswirkung auf die Herzgesundheit, vergleichbar mit Lovastatin
- Ashwagandha (Indischer Ginseng, Schlafbeere): Verbesserung des Schlafverhaltens und Linderung von Angstzuständen
- Grüntee-Extrakt: Steigerung des Energielevels
Eine Querschnittumfrage der US-amerikanischen Bevölkerung, die zwischen den Jahren 2017 und 2020 durchgeführt wurde, ergab, dass von knapp 10.000 Befragten 350 eines dieser pflanzlichen Nahrungsergänzungsmittel in den letzten 30 Tagen konsumiert haben. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl der USA entspricht das ca. 15 Millionen Menschen.
51 Probanden nahmen sogar zwei der NEM, und acht mehr als drei ein. Zu den häufigsten Gründen für die Einnahme gehörten die Optimierung sowie Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit, die prophylaktische Einnahme zur Verhinderung einer bestimmten Erkrankung sowie die Stärkung des Immunsystems.
Meist erfolgte die Produktauswahl in Eigenregie, ohne Rücksprache mit Arzt oder Apotheke. Inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, ist unklar, aufgrund eines ähnlichen Lebensstandards können jedoch Parallelen gezogen werden.
In der Querschnittstudie gab knapp die Hälfte der Befragten an, Curcuma einzunehmen. Auch hierzulande ist dieser Stoff als NEM sehr beliebt.
Curcuma: Nur bei korrekter Dosierung hilfreich
Curcuma ist eine Gewürz- und Heilpflanze, die verdauungsfördernde und entzündungshemmende Eigenschaften besitzen soll. Das gelbe Pulver wird aus der Wurzel gewonnen und ist reich an Curcumin, dem wirksamkeitsbestimmenden Bestandteil der Pflanze.
In der richtigen Dosierung kann es einen positiven Einfluss auf eine bestehende nichtalkoholische Fettleber haben, bei übermäßigem Konsum aber genau das Gegenteil bewirken. Zu hohe Dosen wirken hepatotoxisch, was mehrere Krankheitsfälle in der Vergangenheit bestätigen.
Aus diesem Grund empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) langfristig maximal 3 mg/kg Curcumin pro Körpergewicht pro Tag einzunehmen. Das entspricht bei einer Frau von 60 kg maximal 180 mg pro Tag.
Die Verwendung als Gewürzpflanze ist in der Regel unproblematisch, da Curcumin eine geringe Bioverfügbarkeit aufweist. Einigen Nahrungsergänzungspräparaten ist allerdings ein Wirkverstärker zugesetzt, der die Aufnahmefähigkeit im Darm und damit auch die Toxizität erhöht.
Verwendet wird beispielsweise Piperin aus dem schwarzen Pfeffer oder auch Polysorbat, wodurch Curcumin in eine Mizellenform überführt wird. Seriöse Hersteller, die diese Verstärker nutzen, reduzieren dann die Curcumin-Menge im Präparat. Ein Beispiel ist curcumin-Loges®, welches pro Kapsel 36 mg Curcumin enthält, wobei die Einnahme von zwei Kapseln täglich empfohlen wird. Als Wirkverstärker wird Polysorbat eingesetzt.
NEM: Nicht für alle Pflanzenstoffe gibt es Höchstmengenangaben
Curcuma gehört zu den wenigen Stoffen, für die Höchstmengen definiert werden konnten. Grüntee-Extrakt enthält das Katechin Epigallocatechin-3-gallat (EGCG), welches in hohen Dosen die Leber schädigen kann. Auf EU-Ebene wird daher empfohlen, maximal 800 mg EGCG pro Tag aufzunehmen. Wird der Grüntee-Extrakt als Tee oder Matcha eingenommen, gilt jedoch eine Überschreitung der Höchstmenge als eher unwahrscheinlich.
Für Traubensilberkerze, Tamarinde und Rotschimmelreis gibt es derzeit jedoch keine offiziellen Angaben, welche Dosierungen einzuhalten sind.
Aufgrund des Wechselwirkungspotenzials bei Rotschimmelreis empfiehlt das BfR die Einnahme jedoch nur nach ärztlicher Rücksprache. Der fermentierte Reis enthält Monakolin K, was die Cholesterinsynthese in der Leber hemmt.
Von Ashwagandha rät das BfR sogar gänzlich ab. Es gibt bereits Hinweise auf unerwünschte Wechselwirkungen mit Arzneimitteln sowie Fälle von Leberschädigungen bis zu akutem Leberversagen. Außerdem scheinen vor allem Kinder und Schwangere empfindlich auf den indischen Ginseng zu reagieren.
Das Problem hierbei: Eine Leberschädigung bleibt lange symptomlos. Gleichzeitig übernimmt die Leber wichtige Funktionen im Körper, weshalb eine Funktionseinschränkung gravierende gesundheitliche Folgen haben kann.
Nahrungsergänzungsmittel können die Leber überfordern
Die Leber stellt nämlich ein wichtiges Entgiftungsorgan des Körpers dar. Sie dient als Speicherorgan für Nährstoffe und bildet Eiweiße, Galle, Cholesterin sowie Fette.
Des Weiteren baut sie zahlreiche Stoffe ab, die der Körper nicht mehr benötigt. Dazu gehören Medikamente, Alkohol, Hormone, Blutzellen und Ammoniak, welcher durch die Zerlegung von Proteinen bei der Verdauung entsteht.
Zu viel von allem, sei es ein Überangebot an Nahrung, Medikamenten oder auch Nahrungsergänzungsmitteln, kann die Leber überfordern und Funktionseinschränkungen begünstigen.
Außerdem können Vorerkrankungen der Leber dazu führen, dass die genannten NEM bereits in kleinen Mengen das Organ zusätzlich schädigen. Zu typischen Lebererkrankungen gehören die alkoholische oder nicht-alkoholische Fettleber, Leberentzündungen sowie die Leberzirrhose.
NEM können bestehende Lebererkrankungen verschlimmern
Die nichtalkoholische Fettleber ist eine moderne Krankheit, die insbesondere durch ein Nahrungsüberangebot entsteht. Man geht davon aus, dass ca. jeder dritte Deutsche, auch unbemerkt, darunter leidet.
Charakteristisch ist die übermäßige Einlagerung von Fett im Organ, sodass die Leber in schweren Fällen bis auf das Doppelte ihrer herkömmlichen Größe anwachsen kann. Langfristig entstehen Entzündungen, Verhärtungen oder gar eine Leberzirrhose, bei der die Leberzellen absterben.
Die Einnahme potenziell hepatotoxischer (für die Leber giftiger) Substanzen kann das Organ zusätzlich belasten und das Voranschreiten der Erkrankung beschleunigen. Aufgrund der steigenden Häufigkeit von Lebererkrankungen sollten Kunden in der Apotheke vor der Einnahme bestimmter Nahrungsergänzungspräparate ausführlich zu diesem Sachverhalt aufgeklärt werden.
NEM aus dem Internet häufig unzuverlässig
Die Kunden sollten außerdem darauf hingewiesen werden, dass das Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln aus dem Internet kritisch zu prüfen ist. Vor allem die breite Vermarktung über soziale Netzwerke verharmlost den Einsatz stark, da der medizinische Bezug häufig verloren geht.
In Deutschland werden NEM als Lebensmittel eingestuft und müssen vor der Vermarktung nicht wie Arzneimittel auf Sicherheit, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit überprüft werden. So kommt es immer wieder zu Diskrepanzen zwischen deklarierten und tatsächlich enthaltenen Inhaltsstoffen, vor allem, wenn die Bezugsquelle nicht ausreichend bekannt ist oder bereits unseriös anmaßt.
So kann es auch vorkommen, dass den NEM apotheken- oder verschreibungspflichtige Wirkstoffe beigemischt werden, die nicht ausreichend deklariert werden. In Curcuma-Präparaten fanden sich beispielsweise schon Schmerzmittel, welche eine besonders gute Wirksamkeit vorgaukeln sollen.
Außerdem fallen die enthaltenen Stoffmengen teilweise deutlich höher aus als die maximal empfohlenen Tagesdosen. Beide Sachverhalte sind äußerst problematisch und können schwere Nebenwirkungen verursachen oder gar für Menschen mit Vorerkrankungen strikt kontraindiziert sein. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Beratung im Apothekenalltag besonders wichtig.
NEM und Arzneimittel: Wechselwirkungen im Blick behalten
Generell gilt, je höher die Dosis und je mehr potenziell hepatotoxische Stoffe eingenommen werden, desto höher ist das Risiko für eine Leberschädigung. Da neben den Nahrungsergänzungspräparaten auch hepatische Vorerkrankungen und Arzneimittel wie Statine, Antibiotika, Immunsuppressiva, Tumormedikamente oder Schmerzmittel die Leber in Kombination belasten, ist ein Beratungsgespräch in der Apotheke immer ratsam.
Kunden sollten daher beim Kauf hochpotenter Nahrungsergänzungsmittel immer gefragt werden, ob weitere Arzneimittel eingenommen werden oder Vorerkrankungen bestehen. Außerdem muss auf die Einhaltung der auf dem Produkt angegebenen Tageshöchstmenge hingewiesen werden, um Überdosierungen zu vermeiden.
Zusätzlich sollte bei der Belieferung oder auch Abholung von Arzneimitteln, welche die Leber belasten, nach der Einnahme von NEM gefragt werden. So kann ein potenziell auftretender Leberschaden langfristig verhindert bzw. aufgehalten werden.
Tipp für den HV: Die Leber regeneriert sich nach einiger Zeit wieder ganz von selbst, wenn eine Schädigung noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Das verdeutlicht erneut die Wichtigkeit einer umfassenden Aufklärung in der Apotheke. Literatur:
https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2821951
https://de.statista.com/infografik/24797/umfrage-zum-konsum-von-nahrungsergaenzungsmitteln-in-deutschland/#:~:text=Etwas%20mehr%20als%2075%20Prozent,Studien%2DTeilnehmer%3Ainnen%20einnimmt.
https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/nahrungsergaenzungsmittel-leber-100.html
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38313314/
https://www.bfr.bund.de/cm/343/ashwagandha-schlafbeeren-praeparate-mit-moeglichen-gesundheitsrisiken.pdf
https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/gar-nicht-so-harmlos-gruenteeextrakt-80386
https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/cholesterinsenkung-mit-folgen-nahrungsergaenzungsmittel-mit-rotschimmelreis-nur-nach-aerztlicher-ruecksprache-einnehmen.pdf