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„Muscimol-Gummies“: Ver­giftung durch Gummibärchen

Bunte Gummibärchen kullern aus der Tüte heraus
Das im Fliegenpilz enthaltene Muscimol kann durch Einnahme beim Menschen eine halluzinogene Wirkung auslösen und zu Vergiftungssymptomen führen. | Bild: AlfaSmart / AdobeStock

In Hessen kam ein Mann mit einer Muscimol-Vergiftung ins Krankenhaus, nachdem er Muscimol-haltige Gummibärchen gegessen hatte. Muscimol kommt in Pilzen der Gattung Amanita vor, wie dem roten Fliegenpilz Amanita muscaria. Der Fliegenpilz enthält die instabile Ibotensäure, sie ist Ausgangsstoff für Muscimol, das daraus durch Decarboxylierung entsteht.  

Trocknung bei etwa 60 °C oder Lagerung des Pilzes begünstigen die Muscimol-Bildung, auch im Körper entsteht aus Ibotensäure der decarboxylierte Metabolit. Muscimol ist dabei etwa fünf- bis sechsmal psychoaktiver als Ibotensäure.

Muscimol wirkt halluzinogen

Doch was macht Muscimol so attraktiv, dass es sich lohnt, den Fliegenpilz-Inhaltsstoff in Gummibärchen zu packen? Muscimol wirkt als psychotropes Alkaloid halluzinogen. Wird Muscimol in Form von Pilzen konsumiert, tritt die Wirkung etwa nach 30 Minuten bis zwei Stunden ein und hält für vier bis acht Stunden an. 

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beschreibt die Wirkung Muscimol-haltiger Pilze, wie des Fliegen- oder Pantherpilzes, auch als „alkoholähnlich“. Raumwahrnehmung und Zeitgefühl seien gestört, ein Gefühl der Schwerelosigkeit und Euphorie sowie farbige Scheinbilder und eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen könnten auftreten.

Wo wirkt Muscimol?

Muscimol ähnelt strukturell der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) – dem wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter unseres Nervensystems –, was den Agonismus an GABA-Rezeptoren erklärt. Dabei wirkt Muscimol an extrasynaptischen GABAA-Rezeptoren als Superagonist und entfaltet dort 120–140 Prozent der endogenen GABA-Wirkung.  

Zur Erinnerung: GABAA-Rezeptoren sind Liganden-gesteuerte Chloridkanäle, die sich nach Aktivierung öffnen und die Nervenzelle hyperpolarisieren, was die neuronale Aktivität dämpft. Der Effekt: Sedierung, Anxiolyse (Linderung von Angstzuständen) und teils ein hypnotischer Effekt.

Muscimol aktiviert auch – allerdings niedriger affin – die GABAB-Rezeptoren (G-Protein-gekoppelte Rezeptoren). Anders als GABA wird Muscimol nicht von der GABA-Transaminase abgebaut.

Gut zu wissen: Was sind extrasynaptische GABAA-Rezeptoren?

Extrasynaptische GABAA-Rezeptoren sind nicht an Synapsen lokalisiert. Anders als synaptische GABAA-Rezeptoren, an denen GABA schnell hemmend wirkt, vermittelt GABA an extrasynaptischen Rezeptoren eine tonische Hemmung. Zustande kommt diese durch niedrige GABA-Konzentrationen im Extrazellularraum, die die Chloridkanäle längere Zeit öffnet und die Nervenzellen andauernd hyperpolarisiert.

Welche Symptome treten bei einer Muscimol-Vergiftung auf?

Ein „Zuviel“ an und eine Vergiftung mit Muscimol zeigt sich durch gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle sowie Schwindel. Aber auch vermehrter Speichelfluss, Ataxie und Psychosen sind beschrieben, ebenso Kreislaufversagen. 

„Bei einer größeren Menge kommt es zu Muskelzuckungen, Verwirrtheit, Bauchschmerzen und Erregungszuständen“, die bis zur Bewusstlosigkeit oder Koma führen könnten, erklärt die BZgA. 

Schwere, tödlich endende Vergiftungen seien zwar selten, aber möglich. Vor allem für Kleinkinder, ältere Menschen oder chronisch Kranke wird es schnell gefährlich.

Ab welcher Dosis ist Muscimol giftig oder tödlich?

Als tödliche Dosis LD50 bei Ratten nennt die Literatur 45 mg Muscimol pro kg Körpergewicht, bei Mäusen 22 mg/kg Körpergewicht. Diese Dosis wirkt oral bei der Hälfte der Versuchstiere tödlich. 

Beim Menschen sollen Vergiftungen ab einer oralen Aufnahme von 6 mg Muscimol auftreten. In natürlich vorkommenden Pilzen schwankt der Gehalt von Muscimol allerdings sehr (1 g Trockenpilz enthält circa 1–5 mg Ibotensäure und 3–10 mg Muscimol), sodass deren Wirkung nicht abzuschätzen ist.

Was tun bei Muscimol-Vergiftungen?

Gegen Muscimol gibt es kein spezifisches Antidot. Bei nach dem Verzehr von Pilzen auftretenden Vergiftungserscheinungen rät die BZgA, unverzüglich 20 bis 40 g medizinische Kohle einzunehmen und ein Krankenhaus aufzusuchen. 

Allerdings wird von der Einnahme von Kohle oder einer Magenspülung, sollten die Patienten agitiert sein, aufgrund der Aspirationsgefahr abgeraten. Dann sollte eher eine Sedierung mit einem Benzodiazepin erfolgen. 

Die Behandlung erfolgt symptomorientiert: Bei bestehenden gastrointestinalen Beschwerden muss an einen Flüssigkeits- und Elektrolytersatz gedacht werden. Bei Krampfanfällen können Benzodiazepine zum Einsatz kommen, sie könnten allerdings auch die neurotoxische Wirkung von Muscimol verstärken. Bei Verdacht auf Vergiftungen ist der Giftnotruf eine erste Hilfe.

BVL warnte bereits vor Muscimol-Gummibärchen

Bereits Mitte August warnte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vor Muscimol-haltigen Gummibärchen. Sie stuften die über den Onlinehandel vermarkteten „Muscimol Gummies“ als gesundheitsschädliche Substanz ein. Insbesondere Kinder sahen sie als gefährdet, da diese „Muscimol Gummies“ leicht mit „normalen Süßigkeiten“ verwechseln können. 

Die Packungseinheiten enthielten zwei oder vier Fruchtgummis mit je 5 mg Muscimol – das ist viel, mit dem Wissen, dass bereits 6 mg Vergiftungen verursachen können.