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Praxisbedarf: Rezeptur und Defektur sind auch möglich

PTA rührt Creme an
Ein neues Urteil stärkt die Rezeptur in der Apotheke. | Bild: Schelbert / PTAheute

Wie weit reicht das Rezepturprivileg bei Rezepturen für den Praxisbedarf? Dies ist – vereinfacht ausgedrückt – die zentrale Frage in einem Rechtsstreit, der acht Jahre lang in Schleswig-Holstein geführt wurde. Den Ausgangspunkt bildet ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 16. März 2017(Az: 1 A 123/14) , das zu Verunsicherung geführt hatte. 

Am 20. Juli 2022 hatte das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG)(Az.: 3 MR 1/17)  die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen. 

Inzwischen hat das OVG über diese Berufung entschieden und das erstinstanzliche Urteil geändert(Az.: 3 LB 11/22) . Diese Entscheidung vom 10. August 2023 wurde erst kürzlich bekannt. Das Gericht ist dabei inhaltlich seinen Ausführungen von 2022 gefolgt.

Rezepturen mit dem Arztnamen kennzeichnen

Gemäß der jüngsten Entscheidung können Rezeptur- und Defekturarzneimittel für den Praxisbedarf erlaubnis- und zulassungsfrei hergestellt und in Verkehr gebracht werden, ohne dass die Identität der Patienten vorab bekannt ist. 

Statt mit dem Patientennamen sei ein Rezepturarzneimittel dann mit dem Namen des verordnenden Arztes zu kennzeichnen. Eine Beschränkung der Anwendung auf einen einzelnen Patienten ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus einer Auslegung oder aus Unionsrecht. 

Denn anders als in Artikel 3 Nr. 1 der EU-Richtlinie 2001/83/EG (Humanarzneimittelkodex) habe der Gesetzgeber gerade nicht die Formulierung „für einen bestimmten Patienten“ übernommen. Auch aus der Gesetzesbegründung ergebe sich keine Begrenzung auf einen einzelnen Patienten.

In Apotheke keine industrielle Herstellung

Zum Kriterium der „apothekenüblichen“ Herstellung erklärte das OVG, diese Grenze sei erst bei einer Herstellung überschritten, „die nicht (mehr) durch eine handwerkliche, sondern standardisierte oder maschinelle Herstellung gekennzeichnet ist“. 

Es bestehe auch kein Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung. Denn die EU-Richtlinie 2001/83/EG beziehe sich auf gewerblich zubereitete Humanarzneimittel, womit unter Berücksichtigung anderer Sprachfassungen, beispielsweise englisch „industrially“, eine industrielle Herstellung gemeint sei. Die Richtlinie sei daher nicht auf in Apotheken hergestellte Rezeptur- oder Defekturarzneimittel anwendbar.

Rezepturvielfalt erhalten

Das OVG erklärte außerdem, eine Subsidiaritätsregel, nach der ein Rezepturarzneimittel nur hergestellt werden dürfe, wenn kein vergleichbares Fertigarzneimittel verfügbar ist, könne weder arzneimittel- noch apothekenrechtlichen Vorschriften entnommen werden.

Insbesondere ergebe sich dies nicht aus der Resolution CM/Res(2016)1 des Europarates, denn diese sei „eine bloße Empfehlung des Europarats, der keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zukommt“. 

Der Verordnungsgeber habe bei der Neuregelung des § 7 ApBetrO mit Blick auf die Beibehaltung der Rezepturvielfalt gerade von einer solchen Einschränkung abgesehen.

Packungseinheiten nicht gleichzusetzen mit Patientenanzahl

Gemäß der Entscheidung des OVG umfasst der Praxisbedarf jedes Arzneimittel, das der Arzt zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, „unabhängig davon, ob es an einer oder mehreren Personen angewendet wird“. Dabei dürften Defekturarzneimittel für den Praxisbedarf hergestellt werden, ohne dass zuvor häufige Verordnungen für benannte Patienten vorliegen. 

Die Beschränkung der Defektur auf 100 abgabefertige Packungen in § 1a Abs. 9 ApBetrO entspreche keiner Beschränkung auf Packungseinheiten für bis zu 100 Patienten. Denn eine Packung sei nicht die Menge für einen Patienten, sondern die Menge, die an einen Verbraucher abgegeben werden soll. Dies schließe auch Ärzte mit ihrem Praxisbedarf ein.

Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und dem Begriff der Packung und entspreche auch dem Normzweck. Die in § 1a Abs. 9 ApBetrO genannte Alternative einer entsprechenden Menge beziehe sich nicht auf die Abgabe an einen Endverbraucher, sondern auf Defekturarzneimittel, die von der Apotheke selbst weiterverarbeitet werden.

Stellenwert der Rezeptur gestärkt

Damit dürfte die Entscheidung für Rechtssicherheit beim Praxisbedarf sorgen und auch als Orientierung für andere Rechtsfragen zur Rezeptur dienen. Insgesamt wird die Rezeptur gestärkt, insbesondere durch die Bekräftigung, dass Rezepturen unabhängig von verfügbaren Fertigarzneimitteln zulässig sind. Quelle: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 10. August 2023, Az.: 3 LB 11/22