Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Warnung vor hohen Vitamin-D-Dosen bei MS
Vitamin D3 – auch bekannt unter der Bezeichnung Colecalciferol – gehört zu den wohl am häufigsten abgegebenen Präparaten in der Apotheke. Zwar ist Vitamin D sicherlich kein Wundermittel, dennoch ist allgemein anerkannt, dass die Bevölkerung in Deutschland vor allem in den Wintermonaten von einer Substitution profitieren kann.
Zudem kam eine Metaanalyse des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) erst dieses Jahr zu dem Schluss, dass speziell Krebspatienten ihre Mortalität signifikant senken können, wenn sie täglich 400 bis 4.000 IE Colecalciferol einnehmen. Die tägliche niedrigdosierte Einnahme scheint dabei gegenüber einer hochdosierten Anwendung einmal monatlich oder alle vier Monate (60.000 IE oder 100.000 IE) von Vorteil zu sein. Denn bei der hochdosierten Anwendung zeigte sich nämlich kein signifikanter Effekt auf die Mortalität.
AkdÄ warnt vor zu hohen Vitamin-D3-Gaben
Hohe Vitamin-D-Dosen scheinen also nicht (allgemein) besser wirksam bzw. sogar schlechter wirksam zu sein als niedrige Dosen. Unabhängig vom Anwendungsgebiet und der Wirksamkeit wird deshalb immer wieder öffentlich – anhand von Fallberichten – vor der Einnahme von hochdosiertem Vitamin D3 über einen längeren Zeitraum gewarnt.
Jetzt mahnt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) aktuell erneut: „Grundsätzlich sollte Vitamin D3 ohne wissenschaftlich belegte Indikation und ohne ärztliche Begleitung nicht in hoher Dosierung angewendet werden.“ Hintergrund ist die Einnahme des „Sonnenvitamins“ bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) im Rahmen des sogenannten Coimbra-Protokolls.
Zur Erinnerung: Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn, das Rückenmark und die Nervenfasern betrifft. Weltweit leben rund 2,8 Millionen Menschen mit der Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die Ummantelung (Myelinscheiden) der Nervenbahnen (Axone) angreift und beschädigt.
Botschaften, die über die Nerven transportiert werden, kommen in der Folge immer langsamer und ohne medizinische Behandlung gar nicht mehr an. Diese Schädigungen äußern sich dann häufig in Symptomen wie Sehstörungen, Taubheitsgefühlen und Lähmungserscheinungen.
Doch gibt es nicht „das eine“ typische Krankheitsbild. Symptome und Anzeichen können komplett unterschiedlich und für Außenstehende nicht direkt zu erkennen sein. MS wird daher auch als die Krankheit der 1.000 Gesichter bezeichnet.
Häufig sind Koordinationsprobleme, Sehstörungen oder Lähmungen. Aber auch Gefühlsstörungen der Haut, die sich als Kribbeln, Missempfindungen oder Taubheitsgefühl äußern, sind möglich. Viele berichten von „Fatigue“, einem Zustand massiver, oftmals unerklärlicher und vor allem wiederkehrender Erschöpfung. /cn
Coimbra-Protokoll wissenschaftlich nicht belegt
Anlass der Warnung ist der Fall eines 65-jährigen Patienten, der „über ein halbes Jahr 60.000 IE Vitamin D3 pro Tag zur Behandlung einer Multiplen Sklerose eingenommen und dann ein akutes Nierenversagen bei Hyperkalzämie (zu hoher Kalziumspiegel im Blut) entwickelt“ hatte.
Die AkdÄ beschreibt den Therapieansatz des Coimbra-Protokolls als wissenschaftlich nicht belegt. Als theoretischer Hintergrund diene zwar eine „individuelle Vitamin-D-Resistenz“ für die Anwendung hoher Dosen von Vitamin D3. Doch: „Dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechende Studien, die die Wirksamkeit und insbesondere die Sicherheit von hochdosiertem Vitamin D3 bei Multipler Sklerose belegen, liegen bislang nicht vor.“ Die AkdÄ rät somit ausdrücklich vom Coimbra-Protokoll bei Multipler Sklerose ab.
Gut zu wissen: Vitamin D in der Leitlinie zu Multipler Sklerose
In der aktuellen S2k-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose wird empfohlen, den Vitamin-D-Spiegel bei Patienten mit Multipler Sklerose zu überprüfen. Wird ein Mangel festgestellt, so soll dieser etwa durch Supplementation ausgeglichen werden.
Vor Vitamin D in hohen Dosierungen wird ausdrücklich gewarnt. Diese könnten akut toxisch sein und in einer Hyperkalzämie münden oder langfristige Gesundheitsschäden, wie z. B. Nierensteine oder -verkalkungen, nach sich ziehen. Zudem gebe es Hinweise auf eine erhöhte Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität, wenn dauerhaft zu hohe Vitamin-D-Dosierungen eingenommen würden.
Als sicher gilt für Erwachsene eine dauerhafte Zufuhr von täglich insgesamt 4.000 IE Vitamin D3. Die Leitlinienautoren äußern sich kritisch zu dem Coimbra-Protokoll, bei dem anhand des Parathormon-Spiegels auf bis zu 60.000 IE Vitamin D3 titriert wird. Risiken seien hier „nicht auszuschließen“. /cel