Neue Leitlinie: So beugt man Migräneattacken vor
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) ihre S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ aktualisiert und im Dezember 2022 online gestellt.
Wie PTAheute bereits berichtete, gibt es mit den Wirkstoffen Lasmiditan (Rayvow) und Rimegepant (Vydura) Neues in der Behandlung akuter Migräneattacken. Als erstes Arzneimittel, das sowohl akut als auch prophylaktisch funktioniert, schlägt Rimegepant damit den Bogen zu Änderungen in der Migräneprophylaxe. Wie beugt man Attacken heutzutage wirkungsvoll vor?
Migräne-Antikörper: wirksam und gut verträglich
Eine wirksame Prophylaxe ermöglichen seit 2018 die Antikörper gegen CGRP (Eptinezumab in Vyepti®, Fremanezumab in Ajovy® und Galcanezumab in Emgality®) oder den CGRP-Rezeptor (Erenumab in Aimovig®) – und das sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne.
Zur Erinnerung: Wann ist eine Migräne chronisch?
Von chronischer Migräne spricht man, wenn an 15 oder mehr Tagen im Monat Kopfschmerzen auftreten, von denen mindestens acht Tage die Kriterien einer Migräneattacke erfüllen.
Bereits die vorherige Version der Migräne-Leitlinie berücksichtigte die innovative Migräneprophylaxe und stuft sie als gut verträglich und wirksamer als Placebo ein. Welcher von den mittlerweile vier zugelassenen Migräne-Antikörpern der „beste“ ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Hierzu fehlen Studien, die Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab direkt miteinander vergleichen.
Erenumab wirkt besser als Topiramat
Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass der CGRP-Rezeptor-Antikörper Erenumab wirksamer und verträglicher ist als das ebenfalls in der Prophylaxe eingesetzte Topiramat und dass Migränepatienten den Antikörper auch seltener aufgrund von Nebenwirkungen absetzen.
Daten hierzu lieferte die HER-MES-Studie, in der Novartis beide Arzneimittel direkt miteinander verglichen hatte. Die Konsequenz für die Erstattung: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) attestierte Erenumab einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber einer Migräneprophylaxe mit Topiramat, sodass die GKV seit 1. April 2022 die Kosten für Erenumab auch ohne Vortherapien übernimmt.
Rimegepant: Wenn andere Prophylaktika versagen oder unverträglich sind
In der Prophylaxe der episodischen Migräne ist ein weiteres neues Arzneimittel wirksam: Rimegepant. Der Wirkstoff ist der erste Vertreter einer völlig neuen Wirkstoffklasse. Die Gepanten adressieren – wie auch die Migräne-Antikörper – das CGRP-System, sind jedoch oral anzuwenden. Als erstes Arzneimittel dürfen Migränepatienten Rimegepant sowohl akut als auch vorbeugend einnehmen. Rimegepant ist in Deutschland derzeit allerdings noch nicht erhältlich.
Wie in der Akuttherapie der Migräne kommt Rimegepant auch bei der Prophylaxe episodischer Migräne vorerst lediglich eine Reserve-Funktion zu: „Rimegepant eignet sich für Patienten, bei denen die ,klassischen’ Migräneprophylaktika nicht wirksam sind, nicht vertragen wurden oder wenn Kontraindikationen bestehen“, erklären die Leitlinienautoren.
Sie fassen den vorbeugenden Effekt von Rimegepant mit „geringe Wirkung bei der Prophylaxe der Migräne“ zusammen und stützen sich dabei auf eine US-Studie. In dieser reduzierte Rimegepant (75 mg alle zwei Tage für neun bis 12 Wochen) die monatlichen Migränetage ausgehend von 10,1 Tagen um 4,3 Tage, Placebo schaffte 3,5 Migränetage und damit „nur“ 0,8 Tage weniger.
Zum Vergleich: Wie gut wirken Migräne-Antikörper?
Bei der monatlichen Reduktion der Migränetage schnitt in den Zulassungsstudien Erenumab 1,1 und 1,4 Tage besser ab als Placebo. Fremanezumab verringerte die Migränetage um 1,5 und 0,8 Tage stärker als Placebo und Galcanezumab um 1,9 Tage und 1,8 Tage.
Rimegepant weniger wirksam als Migräne-Antikörper, aber besser verträglich
Ob die CGRP-Antikörper beziehungsweise die CGRP-Rezeptor-Antikörper tatsächlich wirksamer sind als Rimegepant, dazu fehlen derzeit noch Studien. Die indirekten Vergleiche hinsichtlich der Effektivität (siehe voriger Abschnitt) lassen die Leitlinienautoren aber folgendes Fazit ziehen:
„Mit einer durchschnittlichen Abnahme der monatlichen Migränetage von einem Tag war Rimegepant jedoch in indirekten Vergleichen etwas weniger wirksam als beispielsweise die monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder die traditionellen Migräneprophylaktika, zeigte aber eine bemerkenswert niedrige Rate an UAE [unerwünschten Arzneimittelereignissen].“
Die Rate an Nebenwirkungen sei sogar niedriger als bei den Migräne-Antikörpern.
Die Leitlinienautoren formulieren eine gemeinsame Einschränkung für Rimegepant und die Antikörper Erenumab, Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab: So sollten Migränepatienten, die ein erhöhtes Risiko für vaskuläre Erkrankungen haben, „noch nicht“ mit den Migräne-Antikörpern oder Gepanten behandelt werden.
Neben Rimegepant, das bereits zugelassen ist, sind die Gepante Atogepant, Ubrogepant und Zavegepant bekannt. Diese befinden sich aktuell jedoch noch in der Entwicklung.
Topiramat so gut wie Propranolol
Neue Daten gibt es auch aus einer vergleichenden Studie„Cephalagia“: „TOP-PRO study: A randomized double-blind controlled trial of topiramate versus propranolol for prevention of chronic migraine“ mit zwei älteren Prophylaktika: Topiramat und Propranolol. Die Studienteilnehmerzahl fiel aufgrund der Corona-Pandemie geringer aus als geplant. Dennoch stellte sich heraus, dass Propranolol 160 mg und Topiramat 100 mg vergleichbar gut chronischer Migräne vorbeugen.
Die Unterschiede in der Reduktion der monatlichen Migränetage waren statistisch nicht signifikant, also möglicherweise auch dem Zufall geschuldet (Topiramat: 2,9 ± 0,7 Migränetage weniger, Propranolol: 4,6 ± 0,8 Migränetage weniger).
Migräne: Was tun bei Medikamentenübergebrauch?
Migränepatienten mit häufigen und/ oder schweren Attacken versuchen verständlicherweise durch Analgetika ihre Schmerzen zu lindern. Dabei laufen sie allerdings Gefahr, einen Übergebrauch von Arzneimitteln zu entwickeln, der zu einem medikamenteninduzierten Kopfschmerz führen kann.
Bei diesen Patienten könne dennoch eine prophylaktische Medikation mit Topiramat, OnabotulinumtoxinA oder einem Migräne-Antikörper begonnen werden, lautet die Empfehlung der Leitlinienautoren.
Migräneattacken ohne Medikamente vorbeugen
Sport zeigt in vielen Gesundheitsbereichen positive Effekte, auch bei der Vorbeugung von Migräne. „Ausdauersport ist in der Prophylaxe der Migräne wirksam“, so die kurze und klare Aussage der aktualisierten Leitlinie. Bewegung und Ausdauersport seien „mittlerweile als evidenzbasierte Empfehlung zu betrachten“. Die Motivation zu Bewegung und Ausdauersport könne bei Betroffenen dazu führen, dass sie „mehr selbstgesteuerte Kontrolle über ihre Kopfschmerzen erleben“.
Eine weitere Möglichkeit für Migränepatienten, die keine Arzneimittel anwenden möchten, könnte Cefaly® sein. Hier kleben die Patienten Elektroden über die Augenhöhlen auf die Stirn. Das Mikro-Impulsgerät beruhigt den überreizten Trigeminusnerv und soll dadurch das Schmerzempfinden der Patienten lindern. Diese „externe transkutane Stimulation des N. trigeminus im supraorbitalen Bereich (Cefaly®) ist zur Behandlung von akuten Migräneattacken und zur Migräneprophylaxe wirksam“, lautet das Fazit der Leitlinienautoren zu dieser Neurostimulation.