Antibiotika-Resistenzen: Welche Keime sind gefährlich?
Mehr als 1,2 Millionen Menschen auf der Welt starben 2019 einer Schätzung zufolge unmittelbar an einer Infektion mit einem Antibiotika-resistenten Erreger – in Deutschland waren es im Jahr 2019 9.650 Todesfälle. Die zunehmende Resistenz von Erregern gegen Antibiotika bereitet Experten Sorgen.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Prof. Lothar Wieler, sieht in den Antibiotikaresistenzen eine „schleichende Pandemie“. Wieler mahnt, Antibiotika bei Mensch und Tier sachgerecht einzusetzen. Verlieren Antibiotika ihre Wirksamkeit, können Infektionen nur schwer behandelt werden. Schließlich sieht er „viele Therapien der modernen Medizin wie Krebsbehandlungen und Transplantationen“ in Gefahr, die ohne wirksame Antibiotika nicht mit demselben Erfolg wie bisher durchgeführt werden könnten.
Weiter betont der Präsident des RKI, wie wichtig eine kontinuierliche Surveillance sei, um der Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen entgegenzuwirken.
Zur Erinnerung: Was sind Antibiotikaresistenzen?
Von Antibiotikaresistenz sprechen Ärzte in der Regel, wenn Patienten auf ein Antibiotikum nicht reagieren. Das heißt: Die pathogenen Bakterien werden durch das Antibiotikum – anders als erhofft – nicht vernichtet.
Solch eine Widerstandsfähigkeit gegen Antibiotika kann in der Bakterienzelle auf verschiedenen Wegen entstehen:
- Das Bakterium kann bestimmte inaktivierende Enzyme bilden: Betalactam-Antibiotika wie Penicilline und Cephalosporine werden durch Betalactamasen noch vor Entfaltung ihrer Wirkung inaktiviert.
- Auch kann die Permeabilität (Durchlässigkeit) der Bakterienzelle so verändert werden, dass die antibiotische Substanz schlechter in die Zellen gelangen kann.
- Weiterhin können durch Bildung bestimmter Transportproteine die Wirkstoffe verstärkt aus der Zelle herausgepumpt werden.
WHO aktualisiert Liste mit gefährlichsten Bakterien
Jüngst hat nun die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Liste mit den gefährlichsten Bakterien, gegen die existierende Mittel oft versagen, aktualisiert. Die WHO rief dazu auf, dringend mehr in die Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren, um die weitere Ausbreitung antimikrobieller Resistenz (AMR) zu stoppen.
Nach WHO-Angaben trägt AMR weltweit zu rund fünf Millionen Todesfällen im Jahr bei. Besonders gefährlich sind demnach Erreger, die sich in Krankenhäusern ausbreiten.
Bakterium Acinetobacter baumannii an erster Stelle
An erster Stelle der Prioritätenliste steht wie auf der Liste von 2017 das Bakterium Acinetobacter baumannii. Es gefährdet im Krankenhaus vor allem abwehrgeschwächte Patienten. Neben Lungenentzündungen kann das Bakterium Wund- und Weichteilinfektionen, Harnwegsinfekte, Sepsis und Meningitis hervorrufen.
Ebenso höchste Priorität für die Forschung haben bestimmte Enterobakterien, die ebenfalls oft in Krankenhäusern auftauchen und ähnliche Infektionen auslösen können. Neu in der höchsten Kategorie ist der Haupterreger der Tuberkulose – Mycobacterium tuberculosis.
Etwas entspannter sei nach Angaben der WHO die Lage bei Pseudomonas aeruginosa, ebenfalls ein Krankenhauskeim. Die Resistenz dagegen sei nach jüngsten Berichten etwas gesunken.
Insgesamt umfasst die Liste 15 Pathogene, für die neue Mittel gebraucht werden.
Welche Keime verursachten die meisten Todesfälle?
In einer veröffentlichten Studie wurden die Folgen mikrobieller Resistenzen für die gesamte europäische Region der WHO untersucht, die 53 Länder umfasst. Dabei wurden 2019 etwa 541.000 Todesfälle mit einer antimikrobiellen Resistenz assoziiert, und 133.000 Todesfälle konnten direkt auf eine antimikrobielle Resistenz zurückgeführt werden.
Folgende Keime verursachten 457.000 Todesfälle, die mit einer antimikrobiellen Resistenz assoziiert waren. Die Auflistung erfolgt nach absteigender Mortalität:
- Escherichia coli,
- Staphylococcus aureus,
- Klebsiella pneumoniae,
- Pseudomonas aeruginosa,
- Enterococcus faecium,
- Streptococcus pneumoniae und
- Acinetobacter baumannii.
In der Studie wurden auch Kombinationen von Keimen und Arzneimitteln, gegen die sie resistent waren, ermittelt. Dabei waren in 27 Ländern Todesfälle, die direkt auf eine mikrobielle Resistenz zurückgeführt werden können, am häufigsten durch MRSA verursacht. In 47 Ländern standen Todesfälle, die mit einer mikrobiellen Resistenz assoziiert waren, am häufigsten mit Aminopenicillin-resistentem E. coli in Zusammenhang.
Trotz neuer Antibiotika keine Besserung in Sicht
Seit 2017 sind neun neue Antibiotika auf den Markt gekommen, so der WHO-AMR-Spezialist Hatim Sati. Allerdings handele es sich dabei oft um Abwandlungen existierender Medikamente, gegen die Bakterien schnell wieder resistent werden. Wenige seien zudem effektiv gegen multiresistente Bakterien, die gegen verschiedene Mittel unempfindlich sind.
Das Problem sei: Die Produkte gegen multiresistente Bakterien werden nur als letztes Mittel eingesetzt, deshalb sei der Markt relativ klein und der Anreiz für Pharmafirmen, sie zu entwickeln, gering. Zweites Problem sei der Preis neuer Medikamente. Sie stünden in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen oft nicht zur Verfügung. Dort sei das Resistenzproblem aber besonders groß.
„Eine der größten Herausforderungen des Gesundheitssystems ist es, der Entstehung und Weiterverbreitung multiresistenter Erreger (MRE) entgegenzuwirken“, so das RKI. Quelle:
- Ärztezeitung
- dpa
- The burden of antimicrobial resistance in G7 countries and globally: An urgent call for action. Broschüre des Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington und des Robert Koch-Instituts, 27. Juni 2022, doi: 10.25646/10218
- Antibiotikaresistenzen, eine schleichende Pandemie: Einweihung des WHO-Kooperationszentrums für Antibiotikaresistenz am RKI. Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts, 18. Oktober 2022
- Mestrovic T et al. The burden of bacterial antimicrobial resistance in the WHO European region in 2019: a cross-country systematic analysis. Lancet Public Health 2022;7(11):e897-e913, doi: 10.1016/S2468-2667(22)00225-0