Methylphenidat und seine Darreichungsformen: Hinweise zur Einnahme von Methylphenidat
Wie Apotheker Lukas Gockel und Professor Gerd Bendas (Pharmazeutische Chemie, Bonn) im aktuellen DAZ-Repetitorium erläutern, ist das häufig verschriebene Psychostimulans Methylphenidat in verschiedenen Darreichungsformen auf dem Markt. Bei den Retardtabletten (für Erwachsene) gilt es, die verschiedenen biphasischen Freisetzungskinetiken zu beachten:
Beispielsweise setzen Medikinet adult sowie Ritalin Adult ca. 50% der Dosis sofort frei und die andere Hälfte zeitlich verzögert. Bei der Retardform Concerta ist der Anteil der retardierten Wirkstoffmenge prozentual höher gewichtet und verringert damit die Anflutgeschwindigkeit, gleiches gilt für Equasym, das aber für Erwachsene nicht zugelassen ist.“
Diesen Aspekt lohnt es sich noch einmal gesondert zu betrachten, denn die britische Arzneimittelagentur (MHRA) riet Ende September zur Vorsicht bei Methylphenidat-Präparaten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung: Beim Wechsel müsse auf die Unterschiede bei der Formulierung geachtet werden.
Was ist beim Wechsel von Methylphenidat-Präparaten zu beachten?
Auch die MHRA weist auf die zwei verschiedenen – und in ihrem Verhältnis zueinander wechselnden – Phasen in den Präparaten mit verzögerter Freisetzung hin. Deshalb – und weil Patienten unterschiedlich stark auf Methylphenidat ansprechen – müssten oftmals mehrere Präparate ausprobiert werden, bis eines gefunden wird, das zu den individuellen Patienten passt. Die Umstellung auf eine andere Formulierung könne also dazu führen, dass sich das Symptommanagement ändert – und zwar zu für die Patienten wichtigen Tageszeiten.
Zu beachten seien bei einem Wechsel
- die verschiedenen Dosierungen,
- das Verhältnis von sofort freigesetzter Menge zu verzögert freigesetztem Wirkstoff,
- die Art des Freisetzungsmechanismus,
- die Pharmakokinetik,
- die Zeitprofile der Plasmakonzentration und die Bioverfügbarkeit sowie
- insbesondere die Abhängigkeit von der Einnahme mit oder ohne Nahrung.
Muss ein Präparat also wirklich gewechselt werden, sei eine Dosisanpassung wahrscheinlich notwendig und Patienten seien zudem ausdrücklich auf den Wechsel und die möglichen Folgen hinzuweisen. Die MHRA rät deshalb auch dazu, Methylphenidat-Präparate mit dem Markennamen und nicht nur als Wirkstoff zu verordnen.
Einnahmehinweise für in Deutschland erhältliche Methylphenidat-Präparate
Laut MHRA hat ein europäisches Verfahren kürzlich die Unterschiede zwischen Medikinet XL und anderen langwirksamen Methylphenidat-Formulierungen hinsichtlich oben geschilderter Aspekte untersucht. Dieses Verfahren kam zu dem Schluss, dass bei einem Wechsel Vorsicht geboten sei.
Da sich diese Empfehlung auch auf Deutschland übertragen lässt, finden Sie in nachfolgender Tabelle einige Einnahmehinweise der hierzulande verfügbaren retardierten Methylphenidat-Präparate (beispielhaft, kein Anspruch auf Vollständigkeit). Die Tabelle stützt sich auf Daten aus der Lauer-Taxe und den Fachinformationen (Stand 24. Oktober 2022) sowie auf einen Bericht des „Arznei-Telegramm“ vom 21. Oktober, in dem Sie weitere Beispielpräparate finden.
Präparate-Beispiel | Anmerkungen zur Freisetzungskinetik | Einnahmehinweis | Bemerkungen |
---|---|---|---|
Ritalin LA | 50 Prozent schnell freisetzend, Galenik imitiert die zweimal tägliche Gabe einer sofort freisetzenden Methylphenidat-Formulierung, 50 Prozent werden erst nach etwa vier Stunden freigesetzt. | Hartkapseln morgens zusammen mit oder ohne Nahrung einnehmen. | Die Kapseln können im Ganzen geschluckt oder alternativ durch Verteilen des Inhalts auf einer kleinen Menge Nahrung verabreicht werden. Die Hartkapseln dürfen nicht zerdrückt, zerkleinert oder zerkaut werden. |
Medikinet Retard | 50 Prozent schnell freisetzend, zweiter Anstieg etwa drei Stunden später. | Das Arzneimittel wird mit oder nach einer Mahlzeit eingenommen, um eine ausreichend verlängerte Wirkung zu erlangen und hohe Plasmaspitzen zu vermeiden. | Methylphenidathydrochlorid wird wesentlich schneller aus der vorliegenden Formulierung resorbiert, wenn das Arzneimittel auf nüchternen Magen eingenommen wird. In diesem Falle könnte die Freisetzung nicht adäquat verlängert sein. Daher soll das Arzneimittel nicht ohne Nahrung eingenommen werden. |
Equasym Retard | 30 Prozent schnell freisetzend. Das Retardarzneimittel ist dazu bestimmt, therapeutische Plasmaspiegel über einen Zeitraum von etwa acht Stunden aufrechtzuerhalten, was eher einem Schultag als einem ganzen Tag entspricht. Wenn die Wirkung des Arzneimittels am Spätnachmittag oder Abend zu früh nachlässt, können wieder Verhaltensstörungen und/oder Einschlafstörungen auftreten. | Die Retardkapseln sollten morgens vor dem Frühstück verabreicht werden. | Die Kapseln können als Ganzes mit Flüssigkeit geschluckt werden. Alternativ kann die Kapsel geöffnet, der Kapselinhalt auf eine kleine Menge (Esslöffel) Apfelmus gestreut und dann unverzüglich verabreicht werden. Die Kapseln und deren Inhalt dürfen nicht zerstoßen oder zerkaut werden. |
Methylphenidat-HCl-Ratiopharm Retardtabletten | Der resorbierte Anteil von Methylphenidathydrochlorid bei einmal täglicher Anwendung ist vergleichbar mit dem konventioneller schnell freisetzender Formulierungen, die dreimal täglich gegeben werden. Die maximalen Plasmakonzentrationen werden nach etwa 6 bis 8 Stunden erreicht. | Retardtabletten können einmal täglich morgens mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. | Die Tabletten dürfen nicht zerkaut, geteilt oder zerkleinert werden. Der Wirkstoff ist in einer nicht absorbierbaren Hülle enthalten, entwickelt für eine kontinuierliche Freisetzung des Wirkstoffes. Die Tablettenhülle wird vom Körper ausgeschieden; Patienten sollten nicht beunruhigt sein, wenn sie in ihrem Stuhl etwas Tablettenähnliches erkennen. |
Fazit: Hinweis auf Unterschiede bei Präparatewechsel notwendig
Die in der Tabelle aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass die einzelnen Präparate für verschiedene Lebenssituationen konzipiert sein können und aufgrund ihrer Zusammensetzung beziehungsweise ihres Freisetzungsmechanismus verschiedener Einnahmehinweise bedürfen. Die MHRA rät dazu, Patienten aktiv auf solche Unterschiede bei einem Wechsel ihrer Präparate hinzuweisen.