Kombinierte orale Kontrazeptiva: Leberschädigung bei Antibabypille möglich
Teils wirken sie abstrakt und mancher könnte sich fragen, ob sie wirklich jemals auftreten – die seltenen Nebenwirkungen in den Beipackzetteln von Arzneimitteln. Eine solche ist der Cholestatische Ikterus bei der „Pille“ mit dem Handelsnamen Evaluna® 20. Das kombinierte hormonale orale Kontrazeptivum (KOK) enthält 0,1 mg Levonorgestrel und 0,02 mg Ethinylestradiol. Das Präparat gehört damit zu den „Pillen“ mit dem geringsten Risiko für venöse Thromboembolien (VTE), und doch ist es natürlich nicht frei von möglichen Nebenwirkungen.
Fallbericht einer 18-Jährigen durch AkdÄ veröffentlicht
Neben dem Verweis auf die seltene Nebenwirkung (≥ 0,01% und < 0,1%) eines Cholestatischen Ikterus wird in der Fachinformation darauf hingewiesen, dass unter der Anwendung von KOK auch Leberschäden wie Hepatitis oder Leberfunktionsstörungen berichtet wurden. Ihre Häufigkeit lasse sich aus den Berichten jedoch nicht berechnen. Eine 18-jährige Patientin musste diese Nebenwirkungen aber leider am eigenen Leib erfahren.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet in ihrer Zeitschrift „Arzneiverordnung in der Praxis“ über den Fall einer 18-Jährigen, die über sechs Monate Evaluna® 20 eingenommen hat. Sie hatte keinerlei Vorerkrankungen und nahm keine anderen Arzneimittel ein.
Wie die AkdÄ berichtet, entwickelte die junge Frau eine schwere hepatitische Reaktion mit Dominanz der Cholestase (Gallenstauung; sichtbar durch Übelkeit, Erbrechen, Gelbsucht) und eine Panzytopenie – einen kombinierten Mangel aller drei Blutzellen. Nachfolgend „kam es zu einer schweren aplastischen Anämie, die wiederum eine allogene Knochenmarktransplantation notwendig machte“, heißt es zudem. Panzytopenie und aplastische Anämie seien dabei keine bekannten Nebenwirkungen von Evaluna®.
Welche Bedeutung hat dieser Fallbericht nun für die Allgemeinheit?
Gut zu wissen: Was ist eine aplastische Anämie?
Unter dem Begriff „aplastische Anämie“ werden verschiedene, pathogenetisch uneinheitliche Knochenmarkinsuffizienzen zusammengefasst.
Welche Symptome deuten auf eine Leberschädigung hin?
Wie die AkdÄ weiter erläutert, können Östrogene grundsätzlich cholestatische Leberschäden bedingen. Zur Cholestase komme es „durch Hemmung der Bilirubin- und Gallensäuresekretion“. Die Östrogene interagierten vermutlich mit Kernrezeptoren, die den Gallensäure- und Bilirubinstoffwechsel modulieren.
Frauen mit Cholestase durch KOK hätten oft eine Vorgeschichte mit Cholestase in der Schwangerschaft (mit Gelbsucht und/oder Juckreiz). Zudem seien genetische Variationen in den Gallensäuretransportergenen häufig. „Östrogene und KOK können daher eine leichte Hemmung der Bilirubinausscheidung verursachen, was bei Patienten mit Störungen des Bilirubinstoffwechsels zu Gelbsucht führt“, heißt es.
Östrogene und KOK könnten auch eine symptomatische cholestatische Leberschädigung verursachen, „die typischerweise während der ersten paar Therapiezyklen und selten nach sechs Monaten“ auftreten soll. Der Beginn ist schleichend, mit
- Müdigkeit und Juckreiz, gefolgt von
- Übelkeit,
- dunklem Urin und
- Gelbsucht (Ikterus).
Zur Erinnerung: Was ist Bilirubin?
Bilirubin ist ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, das aufgrund seiner schlechten Wasserlöslichkeit im Blut an das Protein Albumin gebunden vorliegt. In der Leber wird es im Rahmen einer Phase-II-Reaktion an Glucuronsäure gebunden.
Wenn die Gallenwege blockiert sind, kann Bilirubin nicht adäquat ausgeschieden werden. Für die Diagnose einer Cholestase wird daher auch die Bestimmung der Bilirubin-Serumkonzentration herangezogen. /at
Erhöhung der Leberenzyme im Serum möglich
Die Erhöhungen der Serumenzyme sind in der Regel gemischt oder cholestatisch, obwohl die Alanin-Aminotransferase (ALT) sehr früh deutlich erhöht sein kann (5- bis 20-fach).
Bekanntlich sprechen beobachtete (vermeintliche) Nebenwirkungen nicht immer für einen kausalen Zusammenhang. Doch wie die AkdÄ weiter erläutert, wurden Östrogene und insbesondere Kombinationen von Östrogenen und Gestagenen mit Episoden ausgeprägter Erhöhungen der Serum-Aminotransferasen (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) ohne Symptome, Gelbsucht oder Cholestase in Verbindung gebracht – wobei diese Anomalien schnell verschwinden sollen, wenn die Hormonbehandlung abgesetzt wird.
In den Zulassungsstudien von niedrig dosierten KOK wie Evaluna® 20 ist zudem zwar „keine statistisch signifikant erhöhte Rate an toxischen/akuten Leberschädigungen im Vergleich zu Placebo dokumentiert“. Die früheren, höher dosierten KOK sollen jedoch häufig zu Erhöhungen der Leberenzyme im Serum geführt haben.
Bei klinischen Zeichen Arzt aufsuchen
Tatsächlich sollen die Fachinformationen von KOK bis 2016 nur darauf hingewiesen haben, „dass akute oder chronische Leberfunktionsstörungen eine Unterbrechung der KOK-Einnahme erforderlich machen können, bis sich die Leberfunktionswerte wieder normalisiert haben“.
Erst Ende 2016 sei der cholestatische Ikterus als seltene Nebenwirkung in die entsprechenden Fachinformationen aufgenommen worden. Die Autoren des Artikels in „Arzneiverordnung in der Praxis“, Dr. med. Ulrich Rosien und Dr. med. Michael Zieschang, kommen zu dem Schluss:
Somit können auch neuere KOK mit niedrigeren Hormondosierungen eine Leberschädigung mit intrahepatischer Cholestase, aber in der Regel nur geringer Entzündung und Nekrose der Hepatozyten verursachen. Eine Kausalität zwischen den hepatischen Beschwerden und der Einnahme des KOK erscheint mindestens als möglich.“
Dennoch sei der geschilderte Fallbericht außergewöhnlich schwer und nicht als „Kausalität im Sinne einer Nebenwirkung des KOK anzusehen“, erklären sie weiter. Es sei eine „seltene Komplikation der Medikation mit einer sehr seltenen Komplikation der induzierten Hepatitis“ zusammengekommen. Die berichtete schwere aplastische Anämie sei als eine sehr seltene Komplikation der Hepatitis anzusehen, auch wenn eine aplastische Anämie durch eine akute Hepatitis jedweder Genese induziert werden könne und vor allem bei jüngeren Menschen beschrieben worden sein soll.
Die AkdÄ weist deshalb nun darauf hin, dass Anwenderinnen von KOK auf mögliche klinische Zeichen einer Leberschädigung wie Juckreiz, Gelbsucht und Abgeschlagenheit achten sowie sich beim Auftreten ärztlich vorstellen sollten.