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Riechen und Gefühle: So wichtig ist der Geruchssinn

Blonde Frau riecht an einer halbgeschälten Clementine
Wenn wir nichts mehr riechen können, wirkt sich das auch auf den Geschmack aus. | Bild: DimaBerlin / AdobeStock 

Den Geruch vorübergehend zu verlieren, haben viele Menschen sicherlich schon erlebt, wenn sie von einer Erkältung mit starkem Schnupfen geplagt waren. 

Auch bei einer COVID-19-Infektion zählte der Verlust des Geruchssinns anfangs zu den häufigen Nebenwirkungen – allerdings ohne verstopfte Nase. „Bei den meisten kommt er aber innerhalb von drei, vier Wochen wieder. Etwa 15 Prozent der Betroffenen haben länger mit einem anhaltenden Riechverlust zu tun“, erklärt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 

Schon bei der Omikron-Variante war der Geruchssinn bereits seltener betroffen als bei einigen Vorgängern und bei nachfolgenden Virusmutationen verlor sich diese Nebenwirkung beinahe gänzlich.

Doch noch weitere Krankheiten oder Unfälle können zum Geruchsverlust führen. Das kann nicht nur gefährlich sein, wenn man keinen Rauch, kein Gas oder auch kein verdorbenes Lebensmittel erkennt. Die Nase steuert auch die Gefühlswelt, bis hin zu Sexualverhalten und Freundschaften. „Wenn der Geruchssinn beeinträchtigt ist, geht einem Menschen sehr viel an emotionaler Wahrnehmung verloren“, sagt Neurologe Berlit. Es besteht auch ein Zusammenhang mit Depressionen.

Gefühle verändern den eigenen Körpergeruch

„Der Geruchssinn wird oft unterschätzt“, sagt Berlit. „Viele sagen: Lieber den Geruchssinn verlieren als blind oder taub werden, aber der Geruchssinn spielt bei vielen Dingen eine zentrale Rolle. Er ist im Gehirn deutlich enger als andere Sinne mit dem limbischen System verschaltet, das für Emotionen zuständig ist.“ 

Angst, Stress, Frust – all das lässt den Körper Moleküle erzeugen, die sich im Achselschweiß nachweisen lassen und die andere Menschen wahrnehmen können. Die Konzentration ist aber so schwach, dass das meist unbewusst passiert.

„Die Menschen kommunizieren richtig über Düfte und Gerüche“, sagt Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums „Riechen und Schmecken“ am Uniklinikum Dresden. „Wenn man einen Infekt ausbrütet, ändert sich der Körpergeruch. Wenn sich die Laune ändert, man sich fürchtet oder freut, all das teilt man mit.“ 

Diese Kommunikation sei besonders ehrlich, weil der Aussendende sie nicht verändern könne, sagt Bettina Pause, Professorin für Biologische Psychologie und Sozialpsychologie an der Universität Düsseldorf. „Ich möchte jetzt mal nach Freude riechen, obwohl ich ängstlich bin – das geht nicht“, sagte sie 2021 bei einem Vortrag im Kortizes Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs. Man könne Parfüm aufsprühen, die Angstmoleküle würden aber trotzdem produziert.

Der Geruchssinn hat Einfluss auf das Sozialverhalten

Die Redensart „jemanden riechen können“ hat einen wahren Kern, denn der Geruchssinn beeinflusst unseren Umgang mit anderen Menschen. „Der Geruchssinn ist auch entscheidend für die Inzestschranke“, sagt Berlit. „Dass man keine sexuellen Beziehungen zu engen Verwandten hat, läuft über den Geruchssinn – auch, wenn das bewusst gar nicht wahrgenommen wird.“ 

Nach Angaben von Pause können Menschen gegenseitig das Immunsystem riechen. Menschen mit ähnlichem Immunsystem vermeide man als Liebespartner, sagte Pause. Das mache Sinn: Partner mit möglichst unterschiedlichen Immunsystemen könnten auch viele unterschiedliche Gene an ihren Nachwuchs vererben.

Bei Freundschaften ist es jedoch anders: „Das bei Weitem ähnlichste System zwischen Freunden ist die Genfamilie der geruchlichen Sinneszellen“, sagt Pause. „Freunde sind sich darin ähnlich, wie sie die Welt geruchlich wahrnehmen.“

Geruchsverlust als Frühwarnsystem von Erkrankungen

Was der Verlust des Riechens bedeuten kann, erlebt Hummel in der Klinik, die nicht nur COVID-19-Patienten, sondern auch andere Betroffene behandelt: „Die Menschen verlieren soziale Kompetenz und manche werden unsicher“, sagt er. Zwei Drittel der Patienten, die seine Praxis wegen Riechverlusts aufsuchen, seien leicht depressiv.

Ein Verlust des Geruchs kann viele Ursachen haben, etwa neurodegenerative Erkrankungen. „Es ist wie ein Frühwarnsystem, weil das oft schon passiert, bevor die typischen Symptome der Krankheit auftauchen, etwa die Verlangsamung bei Parkinson oder die Gedächtnisstörungen bei Demenzen“, sagt Berlit.

Eine Studie zeigte 2017, dass rund 90 Prozent der Parkinson-Patienten im Frühstadium einen nachlassenden Geruchssinn erleben. Anhaltender Riechverlust kann auch die Folge einer Grippe-Infektion oder von Kopfverletzungen etwa beim Fahrrad- oder Motorradfahren oder bei Reitunfällen sein. Auch mit dem Alter lässt der Geruchssinn nach.

Den Geruchssinn trainieren

Nicht für alle Menschen ist das ein Problem. „Man kann auch ohne Geruchssinn gut durchs Leben kommen“, sagt Hummel. Einer von etwa 1.000 Menschen könne von Geburt an nicht riechen. Patienten, die länger unter Riechverlust leiden, könne mit Riechtraining geholfen werden. Sie schnuppern monatelang morgens und abends an vier Düften: Rose, Zitrone, Gewürznelke und Eukalyptus, weil die einen großen Teil des Riechspektrums abdecken. Quelle: dpa / mia