Hitzewelle in Deutschland: Wieso das Temperaturempfinden unterschiedlich ist
Das Thermometer zeigt 27 Grad im Schatten. Wenn das mal keine Wohlfühltemperatur ist. Ja – und nein, sagt Biometeorologe Andreas Matzarakis. Er leitet das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg. „Selbst im angenehmen 20er-Temperatur-Bereich gibt es immer noch fünf bis zehn Prozent, die es zu warm oder zu kalt finden.“
Es sind viele Faktoren, die beeinflussen, wie jemand eine Temperatur empfindet. Der Biometeorologe erzählt vom Besuch in einer Schule. Dabei habe er die Schüler gefragt, wie warm es wohl an jenem Morgen draußen gewesen sei. „Die Antworten reichten von 12 bis 20 Grad – in Wirklichkeit waren es 14.“
Faktoren, die das Kalt-warm-Empfinden beeinflussen
Die Wissenschaft geht von etwa 70 Komponenten aus, die Einfluss auf unser Temperaturempfinden haben, erklärt Matzarakis. Dabei spielen Gesundheitszustand und Fitness eine große Rolle: Fühlt sich jemand nicht besonders gut, kann eine Temperatur anders wahrgenommen werden als bei jemandem, der topfit und gut drauf ist. Auch der Hormonhaushalt und der Anteil an Körperfett können sich auf das Empfinden von Wärme und Kälte auswirken.
Für die aktuelle Temperatur-Einschätzung kommt hinzu, wie aktiv jemand gerade ist oder zuvor war. Und natürlich, welche Kleidung getragen wird. Außerdem spielen auch die Wetter-Faktoren eine Rolle: Wie stark ist der Wind? Wie feucht ist die Luft? Steht man in der Sonne, bekommt man einen Input an Energie.
Temperaturwahrnehmung ist altersabhängig
Was passiert, wenn der menschliche Körper sich auf mehr als seine normale „Betriebstemperatur“ erwärmt, wie Matzarakis die standardmäßigen etwa 37 Grad Celsius nennt? Einfach so kann der Körper überschüssige Wärme nicht wieder loswerden. Das geht nur über Schwitzen: Gesteuert vom Nervensystem produzieren die Schweißdrüsen Flüssigkeit, die an der Hautoberfläche verdunstet – was abkühlt. „Wenn man den Schweiß allerdings sofort mit einem Handtuch wegwischt, funktioniert das mit der Verdunstung und dem Kühlen nicht“, erklärt der Biometeorologe.
Im Alter sei der Stoffwechsel nicht mehr so aktiv. Deshalb spüren ältere Menschen Wärme meist erst später als junge Menschen, so Matzarakis. Gleichzeitig können Ältere nicht mehr so stark schwitzen.
Körper auf Temperaturen trainieren
Ob man eigentlich als individuell unangenehm empfundene Temperaturen quasi durch Training irgendwann als „okay“ empfinden kann – da ist sich der Biometeorologe nicht sicher. Man könne sich allerdings ein wenig gewöhnen. Gut funktioniere das kurzfristig bei Wassertemperaturen. „Da spürt man zwar Unterschiede von ein oder zwei Grad. Doch man kann das ertragen.“ Was etwas banal klingt, aber grundsätzlich helfen kann: Wenn man darauf eingestellt ist, dass etwas nicht die gewohnte (Wohlfühl-)Temperatur hat.
Erhöhtes Risiko für gesundheitliche Hitzefolgen in Großstädten
Laut Jürgen Kropp, Leiter der Forschungsgruppe Urbane Transformation am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam, haben Großstädter ein erhöhtes Risiko, an gesundheitlichen Hitzefolgen zu leiden. Das liegt unter anderem an dem sogenannten urbanen Wärmeinseleffekt.
Der Beton speichert Wärme besser als natürliche Materialien. Weil Wärme immer von einem wärmeren zum kälteren System fließt, wird sie etwa von aufgeheizten Gebäuden an die Umgebungsluft abgegeben, sobald die Temperaturen abends sinken. Dann herrscht in Innenräumen, aber auch in Großstädten generell selbst nachts eine höhere Temperatur als auf dem Land. Bei Hitzewellen schwinden so die Chancen auf Erholung für den Körper.
Diesen Wärmeinseleffekt gab es grundsätzlich auch früher schon. Wie etwa Autoren einer französischen Studie im „International Journal of Environmental Research and Public Health“ erwähnen, verstärken häufigere und intensivere Hitzewellen aber das von dem Effekt ausgehende Risiko für Stadtbewohner. Dies sei eine unmittelbare Folge des Klimawandels.
Schwindel, Erschöpfung bis hin zum Tod
Das Umweltbundesamt verweist auf seiner Webseite auf Modellrechnungen, die für Deutschland prognostizieren, „dass zukünftig mit einem Anstieg hitzebedingter Mortalität von 1–6 Prozent pro einem Grad Celsius Temperaturanstieg zu rechnen ist. Dies entspräche über 5.000 zusätzlichen Sterbefällen pro Jahr durch Hitze bereits bis Mitte dieses Jahrhunderts“.
Die Bandbreite der gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze ist groß. Sie reiche von Schwindel und Erschöpfung über Schwellungen an Füßen und im Extremfall auch bis zum Tod, erläutert die Ärztin Nathalie Nidens, die bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug) in Berlin im Bereich Hitzeschutz tätig ist. „In starken Hitzeperioden steigt beispielsweise das Risiko für Herzinfarkte und ein Herzinfarkt kann auch mit bleibenden Einschränkungen verbunden sein“, so Nidens. Quelle: dpa / vs