Blutdrucksenker für Schwangere mit leichter Hypertonie?
Nichtschwangere erhalten standardmäßig blutdrucksenkende Arzneimittel ab einem Blutdruck von 140/90 mmHg. Hingegen ist der Schwellenwert für den Beginn einer medikamentösen Behandlung bei schwangeren Frauen umstritten und uneinheitlich: Während manche Fachgesellschaften erst bei einer schweren Hypertonie (Blutdruckwerte ab 160/110 mmHg) zu Arzneimitteln raten, empfehlen andere bereits bei 150/100 mmHg oder 150/95 mmHg bzw. sogar bei Werten ab 140/90 mmHg dazu (siehe Kasten).
Blutdrucksenkung birgt auch Gefahren
Hinsichtlich kardiovaskulärer Risiken ist eine frühe Blutdruckkontrolle vorteilhaft, doch kann bei Schwangeren eine zu strenge Blutdrucksenkung auch mit Gefahren einhergehen: So wird eine medikamentöse Behandlung von nur leichter Hypertonie (Blutdruckwerte 140–159/90–109 mmHg) mit einem erhöhten Risiko für ein geringes Geburtsgewicht des Babys in Verbindung gebracht.
Die Deutsche, die Österreichische und die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe geben auch zu bedenken, dass eine „drastische Blutdrucksenkung eventuell“ zur plazentaren Minderdurchblutung führen könne und dadurch den Fetus akut beeinträchtige.
Profitieren Schwangere, Fetus oder Neugeborenes von einer Blutdruckbehandlung?
Bei Schwangeren unterscheidet man bei Bluthochdruckwerten lediglich zwischen milder/moderater Hypertonie (140–159 mmHg systolisch und 90–109 mmHg diastolisch) und schwerer Hypertonie mit Blutdruckwerten ab 160/110 mmHg. Schwangere mit schwerer Hypertonie (ab 160/110 mmHg) zeigen ein erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie (s. Kasten)sowie Nierenversagen, Schlaganfall und Frühgeburt.
Ob auch bereits werdende Mütter mit moderat erhöhten Blutdruckwerten von Antihypertensiva profitieren, ist unklar. Denn bislang konnte lediglich gezeigt werden, dass blutdrucksenkende Arzneimittel bei leichter Hypertonie zwar die Phasen mit sehr hohen Blutdruckwerten verringern und somit das Risiko, dass sich aus einer milden eine schwere Hypertonie entwickelt. Aber dass sich das Outcome für die Schwangere, den Fetus oder dann das Neugeborene ebenfalls klinisch verbessert, ist bislang nicht erwiesen.
Studie an 2.408 Schwangeren soll für Klarheit sorgen
Der Antwort auf diese Frage sind nun Wissenschaftler um Professor Alan Tita, University of Alabama, ein Stück näher gekommen. Sie untersuchten 2.408 schwangere Frauen (Einlingsschwangerschaft) vor der 23. Schwangerschaftswoche mit leichtem chronischem Bluthochdruck (<160/105 mmHg).
Die Schwangeren erhielten entweder blutdrucksenkende Arzneimittel (61,7 Prozent Labetalol, 35,6 Prozent Nifedipin retardiert, die restlichen Teilnehmerinnen Amlodipin oder Methyldopa) oder keine Behandlung (Kontrollgruppe). Die Kontrollgruppe nahm nur dann blutdrucksenkende Arzneimittel ein, wenn sie eine schwere Hypertonie entwickelten und ihre Blutdruckwerte 160/105 mmHg erreichten oder überstiegen.
Erhöhtes Risiko für Frühgeburt, Präeklampsie und Tod?
Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob eine blutdrucksenkende Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft bei leichter Hypertonie das Risiko für Präeklampsie, Frühgeburt (weniger als 35 Schwangerschaftswochen), Plazentaablösung oder Tod des Fetus bzw. des Neugeborenen erhöht (kombinierter primärer Endpunkt). Als primärer Sicherheitsendpunkt der Studie war ein niedriges Geburtsgewicht definiert (unterhalb der zehnten Perzentile [= Vergleichsmaß, das das Gewicht eines Kindes mit dem Gewicht von Gleichaltrigen vergleicht] des für das Gestationsalter und Geschlecht erwarteten Gewichts).
Zur Erinnerung Was ist Präeklampsie?
Unter Präeklampsie versteht man eine Komplikation während der Schwangerschaft, die sich v. a. durch Bluthochdruck (Hypertonie) und Eiweiß im Urin (Proteinurie) auszeichnet. Um Folgen für Mutter und Kind zu vermeiden, sollte diese so schnell wie möglich erkannt werden.
Die Ergebnisse der CHAP-Studie Chronic Hypertension and Pregnancy haben die Forscher im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht Treatment for Mild Chronic Hypertension during Pregnancy“ . Die Studie lief offen und multizentrisch (mehr als 70 Studienstandorte) in den Vereinigten Staaten.
Blutdruck unter Behandlung niedriger
Nicht überraschen dürfte das Ergebnis, dass der mittlere Blutdruck bei Schwangeren, die Antihypertensiva erhalten hatten, um 3,1 mmHg systolisch und 2,3 mmHg diastolisch niedriger war als bei Frauen ohne Behandlung (129,5 mmHg vs. 132,6 mmHg Systole und 79,1 mmHg vs. 81,5 mmHg Diastole).
Weniger Komplikationen bei Blutdrucksenkung
Jedoch traten bei Schwangeren, die bereits bei leichter Hypertonie blutdrucksenkende Arzneimittel anwendeten, auch weniger Komplikationen auf (30,2 Prozent vs. 37 Prozent). Dazu zählten: Präeklampsie, Frühgeburt vor der 35. Schwangerschaftswoche, Planzentaablösung, Tod des Fetus oder Neugeborenen. Eine antihypertensive Arzneimitteltherapie reduzierte dadurch das Risiko für eines der Ereignisse um 18 Prozent.
Betrachtet man lediglich die Präeklampsie (mit schwerer Ausprägung), so erlitten 23,3 Prozent der behandelten Schwangeren diese Schwangerschaftskomplikation und 29,1 Prozent der nicht behandelten Schwangeren (Präeklampsie jeglicher Schwere: 24,4 Prozent vs. 31,1 Prozent).
Bei 12,2 Prozent der antihypertensiv eingestellten Frauen kam das Baby zu früh zur Welt (vor der 35. Schwangerschaftswoche), ohne Behandlung gebaren 16,7 Prozent der Frauen ihr Kind zu früh (Inzidenz einer Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche: 27,5 Prozent vs. 31,4 Prozent).
Uneinheitliche Empfehlungen zur Blutdrucktherapie
In der Leitlinie „Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie“ (Stand März 2019, gültig bis 30. April 2022) raten die Deutsche, Österreichische und Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, dass der Zielblutdruck zwischen 130–150 mmHg systolisch und 80–100 mmHg diastolisch betragen sollte, weswegen Schwangere mit Blutdruckwerten ab 150/100 mmHg antihypertensive Arzneimittel erhalten sollten.
Die European Society of Cardiology (ESC) und European Society of Hypertension (ESH) empfehlen laut der Leitlinie „Management der arteriellen Hypertonie“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Hochdruckliga (DHL), dass schwangere Frauen ab Blutdruckwerten von 150/95 mmHg medikamentös behandelt werden sollten. Es sei denn ...
- es liegt eine Gestationshypertonie (Hypertonie hat sich erst nach der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt und verschwindet meist sechs Wochen nach der Geburt)
- oder eine bestehende Hypertonie (Hypertonie bestand bereits vor der Schwangerschaft oder hat sich vor der 20. Schwangerschaftswoche entwickelt und besteht in der Regel auch sechs Wochen nach Geburt noch) überlagert von Gestationshypertonie vor
- oder es gibt bereits Organschädigungen.
Diese Schwangeren sollten bereits ab Blutdruckwerten von 140/90 mmHg antihypertensive Arzneimittel erhalten.
Die amerikanische Fachgesellschaft ACOG American College of Obstetricians and Gynecologists rät erst bei Blutdruckwerten ab 160/105 mmHg zur medikamentösen Behandlung von Bluthochdruck in der Schwangerschaft und strebt sodann Zielblutdruckwerte zwischen 120–159 mmHg systolisch und 80–109 mmHg diastolisch an.
Das NICE National Institute for Health and Care Excellence in Großbritannien möchte eine antihypertensive Behandlung bereits bei Werten ab 140/90 mmHg einleiten, bis der Zielblutdruck bei Werten ≤ 135/85 mmHg liegt.
Eine aktuelle Übersicht der zahlreichen und unterschiedlichen Empfehlungen zur Hypertoniebehandlung in der Schwangerschaft veröffentlichten Wissenschaftler im Februar 2022 im Fachjournal „Hypertension“.
Kein Einfluss auf das Geburtsgewicht
Und wie sieht es mit dem Sicherheitsendpunkt – dem möglicherweise niedrigen Geburtsgewicht – aus? Beim Vergleich der beiden Schwangerengruppen fanden die Wissenschaftler keine statistisch signifikanten Unterschiede – 11,2 Prozent unter Behandlung vs. 10,4 Prozent ohne Behandlung. Das heißt die Unterschiede könnten auch durch Zufall erklärbar sein. Insgesamt müssten der Studie zufolge 15 Schwangere mit leichter Hypertonie behandelt werden, um bei einer Schwangeren ein unerwünschtes Ereignis zu verhindern (Number needed to treat: 14,7).
Fazit: Blutdruckziel 140/90 mmHg
In der Studie reduzierte eine frühe antihypertensive Behandlung von nur leichtem Bluthochdruck in der Schwangerschaft das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen – ohne dadurch das Risiko eines niedrigen Geburtsgewichts des Babys zu erhöhen. Die Ergebnisse unterstützen den Wissenschaftlern zufolge eine antihypertensive Behandlung in der Schwangerschaft mit dem Ziel, den Blutdruck auf Werte unter 140/90 mmHg zu bringen.