Vitaminpräparate: Die Werbeversprechen der Influencer
Ein Drittel der Bevölkerung nimmt mindestens einmal pro Woche Vitamine als Nahrungsergänzungsmittel ein. Das zeigte eine repräsentative Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). BfR-Präsident Professor Andreas Hensel erklärt: „Wer hoch dosierte Vitamine einnimmt, ohne dass es nötig ist, riskiert eine Überversorgung und damit unerwünschte Auswirkungen auf die Gesundheit.“
Die Verbraucherzentrale Hessen warnt zudem davor, den Gesundheits- und Heilversprechen der Hersteller und Vertreiber Glauben zu schenken. Vor allem im Internet und Direktvertrieb würden Vitamine als vermeintliche Wundermittel angepriesen. Die Anbieter versprächen eine gesundheitliche Wirkung oder sogar Heilung – damit täuschen sie den Verbraucher.
Was ein NEM ist, definiert § 1 der deutschen Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NEMV):
Wie der Name bereits selbst erklärt, sind NEM Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung lediglich zu ergänzen. Sie werden in dosierter Form in den Verkehr gebracht und sind ein Konzentrat aus Vitaminen und Mineralstoffen. Tatsächlich ist es so, dass die NEMV in Deutschland bislang nur Vitamine und Mineralstoffe regelt – alle „sonstigen Stoffe wie Aminosäuren, Fettsäuren oder Pflanzenextrakte“ nicht.
Nach § 2 dürfen NEM gewerbsmäßig auch nur in „Fertigpackungen“ in den Verkehr gebracht werden – was rein von der Packung eine enge Nähe zu Arzneimitteln schafft. Zudem erschwert die Darreichungsform in „dosierter Form“ – seien es Tabletten, Kapseln, Dragees, Portionsbeutel, Flüssigampullen – die klare Abgrenzung zum Arzneimittel.
Health Claims sollen Verbraucher schützen
Um diesen nicht belegten Gesundheitsversprechen ein Ende zu bereiten, hat die EU bereits 2006 die so genannte Health-Claims-Verordnung (HCVO), eine Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, erlassen. Nach dieser gilt grundsätzlich: Die gesundheitsbezogenen Aussagen zu einem Produkt müssen dem von der EU zugelassenen Wortlaut entsprechen. Auch muss der Anbieter immer die Substanz nennen, auf die sich das Versprechen bezieht.
Die Hersteller können die Zulassung von gesundheits- und nährwertbezogenen Aussagen für bestimmte Substanzen in ihren Produkten beantragen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prüft, ob ausreichend Belege für die versprochenen Wirkungen vorliegen. Zahlreiche beantragte Aussagen sind jedoch noch nicht bewertet. Hat der Hersteller vor dem 19.01.2008 bei der EU einen Antrag auf Zulassung einer Aussage gestellt, kann er sein Produkt mit dem entsprechenden Stoff bis zur abschließenden Prüfung weiterhin mit der Aussage bewerben.
Diese Aussagen sind erlaubt
Hersteller, die ihren Produkten bestimmte Mengen der Substanzen zusetzen, dürfen zum Beispiel mit folgenden Aussagen werben:
„Vitamin C trägt zur normalen Funktion des Immunsystems bei“,
„Beta-Glucane tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei“ oder auch
„Weizenkleie trägt zur Beschleunigung der Darmpassage bei“
Die Regelung gilt für alle Arten von Lebensmitteln, also auch für Nahrungsergänzungsmittel. Für die besonders schutzwürdige Zielgruppe Kinder gibt es spezielle Claims, so genannte Kinderclaims, die die Entwicklung und das Wachstum von Kindern berücksichtigen. Die so genannte Health-Claims-Liste wird fortlaufend erweitert.
Gesundheitsversprechen sind verboten
Grundsätzlich verboten sind für Nahrungsergänzungsmittel (und alle anderen Lebensmittel) Heilversprechen, sogenannte „krankheitsbezogene Werbung“ wie beispielsweise „Chrom hilft gegen Diabetes“. Nahrungsergänzungsmittel würden zwar von der Aufmachung her Arzneimitteln ähneln, seien jedoch definitionsgemäß Lebensmittel, die die normale Ernährung allenfalls ergänzen können, heißt es bei der Verbraucherzentrale. Sie könnten ein durch Nährstoffmangel bedingtes Risiko für eine Erkrankung reduzieren, z. B. „Beta-Glucan aus Gerste verringert / reduziert nachweislich den Cholesterinspiegel im Blut. Ein hoher Cholesterinwert ist ein Risikofaktor für die koronare Herzerkrankung“, aber keinesfalls eine Krankheit heilen.
Weil die Hersteller keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege erbringen konnten, sind seit 2012 beispielsweise folgende Aussagen nicht mehr erlaubt:
„Glucosamin für gesunde Knochen und Gelenke“
„Cranberry zur Stärkung der Blasengesundheit“
Nahrungsergänzungsmittel: Das ist verboten
Aussagen zu Nahrungsergänzungsmitteln dürfen grundsätzlich nicht:
- mehrdeutig oder irreführend sein, wie „Produkt xy schützt sie vor Arteriosklerose“
- Zweifel über die ernährungsphysiologische Eignung normaler Lebensmittel wecken
- zum Ausdruck bringen, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung generell nicht die erforderlichen Mengen an Nährstoffen liefern kann
- durch eine Textaussage oder durch Bilder beim Verbraucher Ängste auslösen Quelle: Verbraucherzentrale
Unzulässige Gesundheitsversprechen bei Instagram & Co.
Ein großes Problem sei das Marketing über Social-Media-Kanäle, sagt Christiane Seidel, Referentin Team Lebensmittel beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Dort würden oft unzulässige Gesundheitsversprechen gemacht – bis hin zu „hilft gegen Krebs“. Vitaminpräparate seien „ein superlukratives Geschäft“. Dem Direktvertrieb im Internet sei schwer beizukommen. Die illegale Werbung laufe oft über Influencer, die die Produkte gegen Provision bewerben oder weiterverkaufen. Viele Firmen sitzen im Ausland, es gibt oft kein Impressum, die Seiten poppen nur für kurze Zeit auf, „das ist ein Riesenproblem für die Rechtsdurchsetzung“. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben solche Geschäfte laut den Verbraucherzentralen enorm zugenommen.
Beratung in der Apotheke vor Ort
Bei der Abgabe von Nahrungsergänzungsmitteln müssen mögliche Wechselwirkungen mit Arzneimitteln überprüft werden: Betacarotin, eine Vorstufe zu Vitamin A, kann beispielsweise bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Auch eine Überdosierung ist nicht immer unbedenklich, so die Verbraucherzentrale Hessen. Zu viel Vitamin D könne etwa zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Nierenverkalkung führen. Sehr lange zu hohe Einnahme von Vitamin C könne zu Blasen- und Nierensteinen führen. Manchmal werde eine Überdosierung auch gar nicht erkannt: Denn zu den Pillen und Pulvern kommen noch die Mengen, die wir natürlich über die Nahrung zu uns nehmen oder die in mit Vitaminen angereicherten herkömmlichen Nahrungsmitteln stecken. Dass dafür keine Höchstmengen definiert sind, kritisieren Verbraucherschützer seit Jahren.
„Deutschland ist kein Vitaminmangelland. Die überwiegende Zahl der Menschen ist hierzulande mit Vitaminen ausreichend versorgt“, betont die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Nur in Ausnahmefällen wird die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln empfohlen, beispielsweise in der Schwangerschaft, nach einer Chemotherapie, bei sehr alten Menschen oder bei ausschließlich veganer Ernährung.
Boom der Immunstimulanzien durch Corona-Pandemie
Doch der Markt boomt: Allein in Apotheken haben die Kunden 2020 knapp 2,3 Milliarden Euro für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben, wie das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IQVIA berechnet hat. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Mineralstoffe und Vitamine. 2020 wurden davon elf Prozent mehr verkauft als 2019. Den höchsten Zuwachs verbuchten mit plus 12 Prozent Immunstimulanzien. Auch weitere Vitaminkategorien wie etwa Kombinationen aus Vitamin A und D oder Vitamin-C-Kombinationsprodukte sind zweistellig gewachsen.
„Dass einige Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Produkte aus Kombinationen der Vitamine A und D oder auch Vitamin C 2020 einen Boom erfuhren, dürfte mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen“, sagt Thomas Heil, Vice President Consumer Health bei IQVIA. „Verbraucher versprachen sich durch die Einnahme der Präparate einen gewissen Infektionsschutz.“
Fachleute winken ab: Es seien „keine Studien bekannt, die belegen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus bzw. vor der Auslösung der Erkrankung schützt“, heißt es beim Bundesinstitut für Risikobewertung. „Bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status ist bisher nicht nachgewiesen, dass die Einnahme eines Vitamin-D-Präparates einen diesbezüglichen Zusatznutzen hat“, sagt das Robert Koch-Institut. Quellen: dpa / BfR / EFSA